Englischer Garten:"Hecht! Hecht! Wo kommt der Hecht hin?"

Kleinhesseloher See wird abgefischt

Bis die Bagger den überflüssigen Schlamm vom Grund des Kleinhesseloher See geschaufelt haben, müssen seine Bewohner umziehen.

Was früher die Natur selbst erledigte, muss heute der Mensch machen: Damit der Kleinhesseloher See nicht verschlammt, wird das Wasser abgelassen. Die Muscheln kommen in einem eigenen Hotel unter, manche Karpfen müssen aufs Land umziehen.

Von Julian Hans

Spaziergänger im Englischen Garten sind auf vieles gefasst: auf Jogger und Yogis, Federballspieler und Fakire, auf nackte Senioren und Fußballturniere im Gänsekot. Aber dass sich im Morgengrauen eines Novembertages drei Dutzend Männer in Matschhosen zu einem Kreis aufstellen und durch den Kleinhesseloher See waten, so etwas kommt dann doch nur alle paar Jahrzehnte vor.

Vor dem Bauzaun, mit dem die bayerische Schlösser- und Seenverwaltung den Schauplatz abgesperrt hat, sammeln sich am Samstag müde Väter mit ihren früh ausgeschlafenen Kleinkindern. Heute wird was geboten: In wasserdichten Hosen, die ihnen bis unter die Achseln reichen, ziehen die Isarfischer ein Netz durch die Senke vor dem Ablauf am nördlichen Ende des Sees, wo sich der Rest des Wassers gesammelt hat. 50 Meter ist das Zugnetz lang, oben ist es mit Schwimmern bestückt, unten mit Blei.

Kleinhesseloher See wird abgefischt

Im Frühsommer soll das Wasser wieder eingelassen werden.

(Foto: Sebastian Gabriel)

Fast eine Tonne Fisch werden die Männer so aus dem Wasser holen. Vor allem Karpfen, viele so groß und so schwer, dass sich die Kescher biegen. Er habe mit viel mehr gerechnet, gibt Willi Ruff zu, der Vorsitzende des Fischereivereins. Aber die Vögel sind ihnen zuvorgekommen: Seit die Seenverwaltung den Zulauf abgedreht und die Abläufe geöffnet hat, waren täglich vier Kormorane da, außerdem zwanzig Gänsesäger und ein paar Fischreiher. Im flachen Wasser waren die Fische eine leichte Beute. Aber die Karpfen waren den Vögeln dann doch zu groß. "Unsere größte Befürchtung war, dass in diesen kleinen Pfützen Kleinfische zurück bleiben, die wir gar nicht bergen können, weil der Schlamm einfach zu hoch ist", sagt Ruff. "Das haben jetzt alles die Reiher erledigt."

Am Ufer spülen die Männer ihren Fang in großen Bottichen mit klarem Wasser. Es wird sortiert und Buch geführt: "Hecht! Hecht! Wo kommt der Hecht hin?" ruft einer. Von der reichen Beute kommt nichts in den Kochtopf; eigentlich ein Jammer, würden solche Prachtkerle doch gerade jetzt zu Weihnachten und Silvester jede Festtafel krönen. Aber das gäbe höchstens Eifersüchteleien zwischen den Vereinsmitgliedern, sagt Tobias Ruff. Der Sohn des Vorsitzenden hat Forstwirtschaft studiert und arbeitet als Fischereifachberater beim Bezirk Oberbayern. Die Karpfen sind für ihn nicht in erster Linie Speisefische, sondern treue Mitarbeiter. Denn sie halten das Wasser schön trüb. Mit ihren Mäulern wühlen sie den Schlamm auf, dadurch dringen weniger Sonnenstrahlen durch und die Pflanzen wachsen nicht so wild.

Aber jetzt werden die Fische erst einmal auf andere Gewässer verteilt. Einige Großstadtkarpfen dürfen in München bleiben, sie kommen in die Wassergräben des Tierparks Hellabrunn. Andere müssen aufs Land umziehen, zum Beispiel nach Eizenberg bei Iffeldorf, nach Moosinning und in den Regattasee der Rudergesellschaft in Oberschleißheim. Die Isarfischer sind an diesem Wochenende ein großes Fischumzugsunternehmen mit hundert Umzugshelfern.

Kleinhesseloher See wird abgefischt

Die Muschel auf dem Bild ist schon länger nicht mehr bewohnt.

Der Kleinhesseloher See sei ursprünglich ein sogenanntes Altwasser, erklärt Michael Degle, der in der Gärtenabteilung der Schlösserverwaltung für den Englischen Garten zuständig ist. Ein Altwasser, das ist ein ehemaliger Flussarm, der keine Verbindung mehr zum Hauptgewässer hat und so zum stehenden Gewässer geworden ist. Früher, bevor der Hofgärtner Friedrich Ludwig Sckell auf Geheiß des Kurfürsten den Englischen Garten anlegte, überschwemmte der Fluss regelmäßig die Auen und dort, wo heute die Tretboote fahren, blieb nach jedem Hochwasser ein Tümpel zurück. Auf diese Weise wurde der Schlamm immer wieder mal fortgespült und die Tierwelt aufgefrischt.

Friedrich Ludwig von Sckell hat diese Gewässer in den Englischen Garten integriert. Reinhard Freiherr von Werneck hat dann 1802 den Kleinhesseloher See angelegt, damals noch kleiner als heute. Sckell hat dann 1812 den Kleinhesseloher See auf seine jetzige Größe erweitert - immerhin acht Hektar groß. Gespeist wird er vom Oberstjägermeisterbach.

Seit die Isar begradigt und der Englische Garten angelegt ist, müssen Menschen die Aufgabe übernehmen, die der Fluss früher selbst erledigt hat: die Altgewässer durchspülen und den Schlamm mitnehmen, der sich über die Jahre angesammelt hat. 1986 - vor 34 Jahren - wurde der Kleinhesseloher See zum letzten Mal abgelassen und ausgebaggert.

Kleinhesseloher See wird abgefischt

Fast eine Tonne Fisch holen die Männer aus dem Wasser.

Ein "Riesentheater" habe es um den Biberbau in der Seemitte gegeben, sagt Willi Ruff. Naturschützer hatten gefordert, für den Biber ein Reservat im See einzurichten, in dem er ausharren kann, bis das Wasser wieder eingelassen wird. Die Fische sind über das Fischereirecht geschützt, die Biber über den Naturschutz. Da sind die Zuständigkeiten streng getrennt. Auch über den richtigen Zeitpunkt wurde gestritten: Einige meinten, man hätte früher abfischen müssen der Muscheln wegen; die seien dann noch nicht so tief im Schlamm vergraben und man könnte sie leichter einsammeln.

Aber dann wären Frösche und Kröten noch aktiv gewesen. Jetzt hocken die Amphibien im Laub oder in Erdhöhlen am Ufer und warten auf den Frühling. Und die Fischer haben eine Sorge weniger. Dass der Biber sein Reservat annimmt, bezweifelt Ruff: "Wenn es dem Biber nicht mehr gefällt - und es wird ihm nicht mehr gefallen -, dann wird an die Isar rüber gehen und das Ganze ist erledigt", sagt er.

Mehr Sorgen machen dem Vereinsvorsitzenden die Vögel und die Bitterlinge. Die Reiher, Kormorane und Gänsesäger ließen gar keinen Fischnachwuchs aufkommen, fürchtet er. Hätte der Verein nicht so große Karpfen ausgesetzt, dass kein Vogel mit ihnen fertig wird, stünde es schlecht um die Population im Gewässer. Von den Aalrutten, die sie eingesetzt haben, waren nur einzelne im Kescher, vielleicht sind sie auch in den Bach entwischt, als der Abfluss geöffnet wurde. Vielleicht auch die Bitterlinge, die selten größer werden als neun Zentimeter und auf der Roten Liste stehen.

Kleinhesseloher See wird abgefischt

Das abgelassene Wasser fördert nicht nur Getier zu Tage.

Wenige Eltern, die mit Kinderwagen ihre Runden um den Kleinhesseloher See drehen, denken wohl dabei daran, wie viel Aufwand in nächster Nähe andere Spezies für ihren Nachwuchs betreiben. Der karpfenähnliche Bitterling hat ein silbernes Schuppenkleid und eine Besonderheit: Er braucht bei der Fortpflanzung die Hilfe von Dritten. Die Weibchen legen ihre Eier durch eine Legeröhre im Kiemenraum von Muscheln ab. Dort haben sie es besonders gut, denn die Muscheln filtern das Wasser und sorgen so für ständige Zirkulation. Mit dem Atemwasser der Muschel gelangt auch das Sperma der männlichen Bitterlinge zu den Eiern und befruchtet sie. Wenn die Eier reif sind, lassen sie sich von der Teichmuschel wieder auspusten. Eine Muschel beherbergt in der Regel nur ein bis zwei Eier. Die Muschel stören die Gäste nicht, im Gegenteil - sie profitiert ihrerseits von den Bitterlingen, weil sie ihre Larven an die Fische anhängt und auf diesem Weg verbreiten lässt.

In ihren Wathosen stampfen die Isarfischer durch den schmatzenden Schlamm und sammeln Muscheln ein. Die Teichmuschel und die Große Teichmuschel sind nicht nur für den Bitterling überlebenswichtig, sie zählen auch selbst zu den bedrohten Arten. Die Wochen, in denen die Mitarbeiter der Seenverwaltung den Kleinhesseloher See ausbaggern und aufräumen, werden sie im Muschelhotel in einem Aquarium verbringen. Ein kleiner Bereich des Sees, in dem besonders viele Teichmuscheln leben, soll außerdem für die Dauer der Arbeiten mit Sandsäcken abgegrenzt und feucht gehalten.

Dass es immer weniger solcher Altgewässer gibt, in denen Teichmuscheln und Bitterlinge sich wohl fühlen, ist ein Nebeneffekt des Hochwasserschutzes. Denn die Auen werden nicht mehr überflutet. Ein Altgewässer, das nicht mehr frisch überschwemmt wird, würde über die Jahrzehnte immer weiter zuwachsen und immer flacher werden, bis irgendwann ein Moor entsteht, auf dem vielleicht nach Jahrhunderten ein Wald wächst. Weil sich das der Hofgärtner Friedrich Ludwig Sckell so nicht vorgestellt hat, muss der Mensch nun alle paar Jahrzehnte die Arbeit machen, die der Fluss früher von alleine erledigt hat.

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Daniela Bohlinger. Sie ist passionierte Anglerin und beruflich Design-Chefin für nachhaltige Materialien bei BMW.  Beim Fliegenfischen in der Isar unterhalb der Muffathalle

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Daniela Bohlinger ist eine der wenigen Frauen, die in der Isar fischen. Für die 51-Jährige ist ihre Leidenschaft Meditation - und ganz nebenbei praktizierter Naturschutz.

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