München:Kleine Welten hinter Glas

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Öffentliche Bücherschränke erfahren einen regelrechten Boom in der Stadt. Rund um die Uhr bieten sie kostenlosen Lesestoff für jedermann. Doch ihre Umsetzung ist nicht einfach und erfordert Engagement

Von Sonja Niesmann, Andrea Schlaier und Ulrike Steinbacher, München

Von wegen, keiner liest mehr. Und schon gar nicht auf Papier Gedrucktes. Seit 2013 am Nordbad der erste offene Bücherschrank eingerichtet worden ist, erlebt das Prinzip des kostenlosen Lektüre-Handels einen regelrechten Boom in der Stadt. Ein Viertel nach dem anderen schickt sich an, einen Schmökerkasten aufzustellen. Alle sind sie rund um die Uhr zugänglich, wetterfest und von schlankem Design. Jeder, der ein eigenes Buch ausgelesen hat und es nicht mehr ins heimische Regal stellen will, kann es dort in die Reihe schieben, auf dass ein anderer es wieder herauszieht und damit seinen Hunger auf Geschichten stillt. Einfach unter dem Arm klemmen und ab nach Hause damit.

Dieses Prinzip funktioniert in der Regel wunderbar unkompliziert. Es dauert aber und ist zudem recht aufwendig, diese so einfach anmutende Idee umzusetzen. Mal geht es um den Standort, mal um die künftige Pflege der Einrichtung. Oftmals sind es begeisterte Büchermenschen, die in Bezirksausschüssen (BA) vorsprechen, um ihr Engagement für das gläserne Bord anzubieten. Zwar stoßen sie meist auf offene Ohren, stehen in manchen Vierteln aber erst mal allein da, wenn es um die Realisierung geht.

Elfie Freudenreich ist es in Laim so gegangen. Die ehemalige Buchhändlerin hatte im BA angeregt, eins der Modelle auf den Laimer Anger zu stellen, nachdem sich bereits im November die Bürgerversammlung für einen Bücherschrank im Viertel ausgesprochen hatte. Sie rannte einerseits offene Türen ein. Andererseits blieb die Planung erst einmal an ihr allein hängen. Denn die Bezirksausschüsse dürfen laut Statuten der Stadt keine Trägerschaft für den Bücherschrank übernehmen. "Ich hab' einen Antrag beim Kreisverwaltungsreferat gestellt, formlos, mit allen vorhandenen Unterlagen wie Standortkarte, Fotos, Kostenvoranschlag", erzählt Freudenreich etwas matt nach den ersten Wochen des Engagements. Es stellte sich heraus, dass die Gründung eines Vereins für den Zweck sinnvoll wäre. "Aber ich will nicht noch einen gründen, nachdem ich schon Vorsitzende des Jazzclubs München bin." Freudenreich informierte sich bei den Pionieren in Schwabing. Nach monatelangem Einsatz konstatiert die Laimerin: "Ich hätte nicht gedacht, dass mich das so viel Zeit kostet." Immerhin: Nach den Ferien will der BA über die Finanzierung des Bücherschranks entscheiden.

In Bogenhausen sind sie schon einen Schritt weiter. Andreas Baier und seine Mitstreiter haben den Verein "Öffentliche Bücherschränke Bogenhausen" gegründet, am Dienstag, 3. Oktober, 11 Uhr, wird der Standort am Cosimabad eröffnet. Unter dem Dach des Vereins will Susanne Taggruber auch die Kultur-Oase samt Bücherschrank ansiedeln, mit der sie die Wiese im Herzen Daglfings aufwerten möchte. In Neuhausen kocht das Thema seit sechs Jahren hoch, kühlt ab, kocht auf. Der BA hatte zuletzt zahlreiche Vereine gefragt, ob sie die Trägerschaft übernehmen würden, die meisten wollten sich das nicht aufhalsen. Der Nachbarschaftstreff Hirschgarten wäre zwar interessiert, doch der Standort beim "Forum am Hirschgarten" ist Privatgrund, man bräuchte also das Einverständnis der Eigner.

© SZ vom 24.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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