Süddeutsche Zeitung

Kinderbetreuung in München:Kita-Betreiber warnen vor Kollaps

Hunderte Stellen in der Stadt und im Umland können nicht besetzt werden. Was das für den Nachwuchs bedeutet.

Von Kathrin Aldenhoff

Die Situation an den Kindertagesstätten in München spitzt sich zu. Nun warnt der Caritasverband der Erzdiözese München und Freising vor einem Kollaps der Kinderbetreuung. In vielen Kitas sei Mangelverwaltung an der Tagesordnung, das Personal arbeite an der Grenze der Belastbarkeit. "Die Folgen sind fatal", sagte Caritas-Direktor Hermann Sollfrank am Mittwoch. "Es gib mehr Krankheits- und Burnout-Fälle und eine höhere Fluktuation." Sollfrank forderte die Politik zum Handeln auf, es sei dringend eine Fachkräfteoffensive nötig. Es brauche mehr Ausbildungsplätze, die Wertschätzung für den Beruf in der Gesellschaft müsse steigen. Auch müssten ausländische Abschlüsse endlich schneller geprüft und anerkannt werden, es brauche mehr Geld für das Personal, mehr Geld in den Einrichtungen.

Auch bei der Stadt München zeigt sich der Fachkräftemangel deutlich

Die Caritas ist Träger von 178 Kitas, Mittagsbetreuungen und Heilpädagogischen Tagesstätten (HPT) in München und Oberbayern, dort werden fast 14 000 Kinder betreut. Mehr als 100 offene Stellen zählt die Caritas, im Schnitt fehlen in jeder Einrichtung ein bis zwei Arbeitskräfte.

Auch bei der Stadt München zeigt sich der Fachkräftemangel deutlich, in den 450 städtischen Kitas fehlen derzeit 377 Erzieherinnen, elf Prozent der Stellen sind unbesetzt. Außerdem mangelt es an 141 Kitapflegern, das entspricht knapp acht Prozent der Stellen. "Personalmangel ist für alle Träger in München und auch im Umland ein Problem", sagte ein Sprecher des Referats für Bildung und Sport. "Der Rechtsanspruch für die Ganztagsbetreuung wird außerdem dazu führen, dass noch mehr Personal benötigt wird."

"Wir kämpfen täglich mit dem Arbeitskräftemangel", sagte Gabriele Stark-Angermeier, Vorständin des Diözesan-Caritasverbands. "Den Betrieb aufrechtzuerhalten, ist derzeit die wichtigste Aufgabe der Kitaleitungen." Dabei sei es besonders in der aktuellen Situation wichtig, dass Kitaleitungen für die Mitarbeiterinnen da seien und sie auch vor Überlastung schützten. Wenn die Herausforderungen zu groß würden, könnte das am Ende sogar gefährlich für die Kinder werden, so Stark-Angermeier.

Immer wieder müssten Buchungszeiten gekürzt und Gruppen über Wochen geschlossen werden, weil Mitarbeiter fehlen. Die Kitaleitungen müssten bei der Betreuung aushelfen, anstatt ihre eigentlichen Aufgaben wahrzunehmen, so die Vorständin. Wenn eine Küchenhilfe ausfalle, dann spüle die Kitaleiterin auch noch das Geschirr, sagte Stark-Angermeier. Ihre Forderung: eine Hilfskraft für jede Kitagruppe, damit Erzieherinnen pädagogisch arbeiten können.

Dem gesamten Bildungsbereich in Bayern, von der Krippe bis zum Schulabschluss, drohe durch den immer akuteren Fachkräftemangel ein regelrechter Kollaps - so hatten es auf Initiative der Stiftung Pfennigparade auch mehrere bayerische Kita-Betreiber, private und freie Träger, Mitte Dezember in einem Brief an Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) geschrieben. Viele Betreuungsgruppen und Einrichtungen könnten Träger gar nicht erst öffnen, "da schlicht das Personal fehlt", heißt es in dem Brief.

Um die Problemlage in den Heilpädagogischen Tagesstätten (HPT) zu schildern, braucht Caritas-Fachdienstleiter Alfred Ranner nur wenige Worte: "Zu wenig Leute, zu viele Kinder." Ranner leitet die HPT Josefine Kramer, eine große Einrichtung der Caritas in München mit 118 Plätzen - theoretisch zumindest, denn im Moment fehlen Ranner zwei Erzieherinnen, er kann nur 104 Plätze besetzen. Die Wartelisten für einen Platz in einer HPT sind lang: 50 bis 100 Familien, pro Einrichtung. "Wir haben Wartezeiten von zwei Jahren", so der Caritas-Experte.

Protagonistin bei der Caritas-Pressekonferenz war auch die 22-jährige Sara Birzer, Erzieherin im dritten Ausbildungsjahr. Sie habe sich für diesen Beruf entschieden, weil sie mit "den Menschen arbeiten will, die unsere Zukunft sind. Das war meine größte Motivation." Sie erzählt, wie stolz sie war, als ein Schulkind vor ihr stand, das sie in seiner Kitazeit begleitet hatte und an dessen Entwicklung sie einen großen Anteil hatte. Ein schöner Beruf, sagt Birzer - zwei Aspekte aber fehlten ihr, etwa genügend Anerkennung: "Viele denken immer noch, Erzieherinnen säßen nur herum und spielten." Was ihr auch fehlt: Eine faire Bezahlung. Bereits während ihrer Ausbildung mache sie sich Gedanken, wie sie als Erzieherin in München überhaupt über die Runden komme.

Der Personalmangel in den Kitas sei seit Jahren absehbar gewesen, sagte Caritas-Direktor Sollfrank. Es brauche mehr Ideenreichtum beim Aufbau des Personals. Ein Vorschlag der Caritas: ein besserer Anstellungsschlüssel. Anstatt einer Erzieherin für elf Kinder sei eine Erzieherin für neun Kinder nötig. Am Ende sei das aber alles Rechnerei, sagt Gabriele Stark-Angermeier und schlägt ein flexibles System vor, mit Gruppen, die so groß sind, wie es den Bedürfnissen der Kinder entspräche.

Vieles im Kita-Bereich müsse auf den Prüfstand gestellt werden, fordern Sollfrank und Stark-Angermeier. Kitas müssten vollumfänglich über das Bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz (Baykibig) finanziert werden. Im Moment decke der Pflichtanteil von Freistaat und Kommunen die Kosten der Kitas bei Weitem nicht.

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