Süddeutsche Zeitung

Mangel an Betreuungsplätzen:"Es bleibt uns nichts anderes übrig"

Lesezeit: 3 min

Die Vergabe läuft noch mehrere Wochen, doch mehr als die Hälfte der Kitaplätze in München sind bereits neu vergeben. Für manche Familien stellt sich schon jetzt die Frage, ob sie auf eine Zusage hoffen oder in eine teure private Einrichtung investieren.

Von Kathrin Aldenhoff

Sabine Böhme ist Lehrerin, sie hat zwei Kinder. Einen Sohn, der in den Kindergarten geht, und eine Tochter, die von September an in einer Krippe betreut wird. Für beide Plätze werden sie und ihr Mann fast 1100 Euro im Monat zahlen: 400 Euro für den Kindergarten, 700 für die Krippe. Hätten sie Plätze in städtischen Einrichtungen, wären es höchstens 127 Euro im Monat. Sabine Böhme und ihr Mann zahlen diese Summe nicht, weil sie unbedingt eine private Kita für ihre Kinder wollen. Sie machen das, weil sie über den Kitafinder, das städtische Online-Vergabeportal für Kitaplätze, keine Betreuungsplätze bekommen haben.

Stichtag für die Anmeldung im Kitafinder war der 10. März, rund 30000 Kitaplätze in München wurden von diesem Tag an neu vergeben, so hatte es das RBS Ende Februar mitgeteilt. Die erste Vergaberunde ist inzwischen abgeschlossen, es werden aber weiter Plätze vergeben. Nach Auskunft des Referats für Bildung und Sport (RBS) sind Stand Anfang April 15 500 Kinder mit einem Betreuungsplatz versorgt. Wie viele Anmeldungen noch offen sind, wie viele Familien noch keine Zusage für einen Betreuungsplatz bekommen haben, das sei nicht zu ermitteln, heißt es vom RBS.

Antje Neitsch ist wie Sabine Böhme eine von denen, die noch keine Zusage von der Stadt München bekommen hat. Sie sucht einen Kindergarten für ihre Zwillingsmädchen. Im Moment besuchen sie eine Einrichtung für Kinder unter drei Jahren, im Herbst sollen sie wechseln. "Mein Mann und ich sind beide berufstätig, deshalb ist der Druck groß", sagt sie. Bisher hatten sie und ihre Familie Glück mit dem Kitafinder: Sie haben einen Hortplatz für ihre ältere Tochter gefunden und, nach einem Umzug, auch unter dem Jahr Krippenplätze für ihre Zwillinge. Deshalb vertraut Antje Neitsch darauf, dass sie eine Zusage kommt.

Sabine Böhme wollte darauf nicht vertrauen. Sie hat vor dem Stichtag in ihrer Wunsch-Kita angerufen, hat mit der Leiterin telefoniert und sie gefragt, ob sie ihre Tochter bei ihr anmelden kann. Sie werde keinen Platz bekommen, sagte man ihr. Zu viele Geschwisterkinder, die einen Platz brauchen, die Einrichtung ist voll. Mit ihrem Mann hat sie dann alles durchgerechnet. Der arbeitet in der Gastronomie, erzählt sie, ist beruflich schwer gebeutelt von Corona. Sie haben sich trotzdem für den teuren Platz in der privaten Kita entschieden. "Es bleibt uns nichts anderes übrig", sagt sie. Von September an wird sie wieder voll als Lehrerin arbeiten.

Zwar steigt die Zahl der Kindergarten- und Krippenplätze in München stetig an. Aber ebenso steigt der Bedarf. Es leben immer mehr Kinder in München und immer mehr Kinder sollen in einer Kita betreut werden. Im Jahr 2000 gab es in München rund 4360 Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren. Heute sind es 23 850 Plätze - und es reicht immer noch nicht.

Der Versorgungsgrad für Kinder zwischen einem und drei Jahren liegt bei 68 Prozent. Das bedeutet, dass 68 Prozent der in München lebenden Kinder zwischen einem und drei Jahren mit einem Betreuungsplatz versorgt werden können. Wie viele Kinder einen Kitaplatz bräuchten und wie viele Kinder ohnehin zuhause betreut werden sollen, das ist der Stadt nicht bekannt. Auch die Zahl der Kindergartenplätze nimmt stetig zu. Es gibt heute rund 20 000 Kindergartenplätze mehr als vor 20 Jahren, nämlich 47 750. Der Versorgungsgrad liegt bei 94 Prozent. Und trotzdem steht Antje Neitsch bisher nur auf der Warteliste.

Wer bis Juni keine Zusage bekommt, der erhält vom RBS ein Schreiben und kann sich an die Elternberatungsstelle wenden. Die berät und unterstützt seit 2013 Familien bei der Suche nach einem Kitaplatz. In sogenannten Versorgungsrunden sucht die Beratungsstelle nach freien Plätzen, die dann direkt an die Eltern vermittelt werden. Die Eltern, so heißt es vom RBS, hätten Anspruch auf einen wohnort- oder arbeitsplatznahen Platz. Maximal 30 Minuten Fahrtzeit müssten aber in Kauf genommen werden.

Die Elternberatungsstelle darf außerdem im ersten Jahr die Plätze einer neuen Kita, die im sogenannten Betriebsträgermodell gebaut wurde, vergeben. Konkret sieht das so aus: Die Stadt baut eine Kita, richtet sie ein und übergibt sie dann schlüsselfertig an einen freien Träger, der sich bei den Elternentgelten an die städtische Gebührensatzung hält. Man versorge mit diesen Plätzen Familien, die schon lange auf einen Kita-Platz warten, heißt es vom RBS. Mehr als die Hälfte der über den Kitafinder angemeldeten Kinder habe bis heute einen Platz in der Wunscheinrichtung bekommen, erklärt das RBS. Das bedeutet allerdings umgekehrt: Fast die Hälfte hat das nicht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5259087
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 09.04.2021
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.