Tarifstreit im öffentlichen Dienst:Jede vierte städtische Kita bleibt zu

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Zu wenig Lohn für zu viel Arbeit und Verantwortung: Unter anderem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Kliniken und Kitas streiken deshalb. (Foto: Robert Haas)

Mehr als 3000 Angestellte legen am Montag die Arbeit nieder. Das Angebot der Gegenseite nennen die Gewerkschaften "eine Frechheit".

Von Lea Arbinger und Jakob Wetzel

Tausende Münchner Kinder haben den Montag statt in ihrer Krippe, im Kindergarten oder im Hort daheim verbracht: Mehr als jede vierte städtische Kindertagesstätte sei geschlossen geblieben, teilt das Bildungsreferat mit. Die Gewerkschaften Verdi und GEW hatten zum Streik im öffentlichen Dienst aufgerufen. 142 von insgesamt 495 städtischen Kitas hätten keine Kinder aufnehmen können, heißt es von der Stadt. In 41 weiteren Einrichtungen war demnach der Betrieb eingeschränkt. 191 Kitas hatten geöffnet; von 121 Einrichtungen stand am späten Nachmittag die Rückmeldung noch aus.

Die Streikenden stehen am Montag unter anderem auf der Theresienwiese. "Erst Applaus vom Balkon und jetzt woll' ma mehr Lohn", rufen sie. Sie wollen zeigen, dass sie gebraucht werden - und dass sie wütend sind. Darauf, dass die Arbeit im öffentlichen Dienst finanziell nicht wertgeschätzt werde. Und auch über das Angebot, das die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) am Freitag veröffentlicht hat: 3,5 Prozent mehr Lohn innerhalb von drei Jahren, ein Prozent mehr Gehalt für Auszubildende und dazu einmal 300 Euro Prämie. Die Gewerkschaft Verdi fordert dagegen eine Erhöhung um 4,8 Prozent für ein Jahr.

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Verdi hat am Montag bundesweit vielerorts städtische Mitarbeiter zum Streik aufgerufen. In München trafen sich ab 9 Uhr laut Gewerkschaft etwa 450 Menschen auf der Theresienwiese; beteiligt hätten sich gar 2800 Mitglieder, heißt es von Verdi, darunter viele Mitarbeiter städtischer Kliniken, zudem von Sozialeinrichtungen, im Straßenbau, bei den Stadtwerken, der Müllabfuhr oder bei der Stadtentwässerung. Von der Theresienwiese zogen sie dann demonstrierend zum Sitz des Kommunalen Arbeitgeberverbands Bayern an der Hermann-Lingg-Straße. Zur gleichen Zeit hatte die Bildungsgewerkschaft GEW zur Versammlung auf den Stachus gerufen. Mehr als 500 Mitglieder hätten sich dort am Streik beteiligt, sagt die Münchner GEW-Geschäftsführerin Siri Schultze - der Großteil davon Kita-Personal. Die Stimmung sei gut gewesen, heißt es von beiden Gewerkschaften. Die Bereitschaft auch zu weiteren Streiks sei hoch.

Zu spüren bekommen haben den Warnstreik nicht zuletzt Eltern: Etwa die, deren Kinder das Haus für Kinder besuchen, in dem normalerweise Johanna Koltermann arbeitet. An diesem Montag steht die Kinderpflegerin mit einer GEW-Fahne in der Hand auf dem Stachus, zwischen Brunnen und Karlstor. Sie sei gekommen, "damit man unseren Beruf mehr sieht", sagt sie; ihre Einrichtung sei geschlossen. Das Angebot der Arbeitgeber reiche nicht. Das sieht auch Pino Barbaritano so: Er macht gerade eine Ausbildung zum Erzieher und hilft als Ordner bei der Versammlung der GEW. Zuletzt war er in einem Hort eingesetzt gewesen, derzeit hat er wieder Schule. Auch die Ausbildung müsse attraktiver werden, findet er, dann würden sich auch mehr Menschen für den Beruf interessieren. Aber es gehe nicht nur ums Geld, sondern um eine gesellschaftliche Frage: Der Beruf sei wichtig. Das Angebot der Arbeitgeber sei da "ein bisschen wenig", findet Barbaritano.

Streik auf der Theresienwiese. (Foto: Robert Haas)

Daniel Merbitz wird deutlicher. Der Jurist gehört zum Bundesvorstand der GEW und leitet für seine Gewerkschaft die Verhandlungen mit der VKA. Deren Angebot sei "eine Frechheit", sagt er am Montag auf dem Stachus ins Mikrofon, ein "Schlag ins Gesicht der Kolleginnen und Kollegen, die dieses Land hier am Laufen halten". Siri Schultze sagt, das Angebot hätte nicht nur keine Steigerung, sondern einen Reallohnverlust bedeutet. Noch dazu würden die Arbeitgeber die Eingruppierung in die Tarife ändern wollen: Das könne ein Schlupfloch sein, um Leute schlechter zu bezahlen, sagt sie: "Wir sind absolut dagegen."

Bei Verdi ist die Stimmung ähnlich. Mit der neuen Eingruppierung sollten die Beschäftigten die ohnehin geringe Lohnerhöhung noch selber bezahlen, sagt Heinich Birner, Geschäftsführer von Verdi München. Dabei sei Geld da, das zeigten die Milliardenhilfen des Staates etwa für die Lufthansa, hatte Angelika Thaler von Verdi den GEW-Mitgliedern am Stachus zugerufen. Man müsse um die Verteilung kämpfen. Und auf der Theresienwiese ärgert sich Roland Groß. Ihm stinke es, dass der Gesundheitsschutz nicht angemessen entlohnt werde, sagt er. Mit seinen Kollegen von der Stadtentwässerung hat er einen Bollerwagen mitgebracht, oben drauf ein dank einer Nebelmaschine dampfender Kanaldeckel. Und ein Schild: "Ohne uns stinkt's."

© SZ vom 20.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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