Süddeutsche Zeitung

Kinderbetreuung:Kitas bleiben kostenlos

Die weitgehende Gebührenfreiheit stand nach einem Gerichtsurteil auf der Kippe. Grün-Rot präsentiert nun eine Lösung, trotzdem zeigen sich die Regierungsfraktionen zerstrittener denn je.

Von Heiner Effern und Anna Hoben

Gute Nachricht für die Eltern von Kita-Kindern: Die Stadt will die weitgehende Gebührenfreiheit für die Kinderbetreuung trotz rechtlicher Probleme erhalten. Dazu bringt die grün-rote Rathauskoalition an diesem Dienstag einen Antrag ein, der ein Lösungsmodell vorschlägt.

Die Beitragsentlastung stand nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts auf der Kippe, das bisherige Modell wurde untersagt. Hätte sich keine Lösung gefunden, hätte dies für Zehntausende Eltern vom nächsten Kita-Jahr an drastisch höhere Kosten bedeutet. Das will die Rathauskoalition vermeiden, zumal in Zeiten hoher Inflation. "Die Kita-Gebührenfreiheit steht für uns außer Frage", sagte Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD).

Um das Projekt rechtssicher fortführen zu können, soll das jetzige Zuschusssystem in ein Defizitausgleichssystem umgewandelt werden. Dabei sichert die Stadt den Kita-Trägern zu, mögliche Defizite zu übernehmen. Sie finanziert dann zusätzlich zur staatlichen Förderung die notwendigen Personal- und Sachkosten für alle Kita-Träger, die den neuen Vertrag eingehen.

Damit kein Anreiz für höhere Gebühren entsteht, sollen Überschüsse durch entsprechend geringere Zuschüsse ausgeglichen werden. So soll vermieden werden, dass ein Kostendruck entsteht, den die Träger mit höheren Gebühren an die Eltern weiterreichen müssten.

Die Stadt hatte im Jahr 2019 die Betreuungsgebühren in den Kitas deutlich gesenkt - Kindergartenplätze wurden kostenlos, ein Krippenplatz kostet die Eltern monatlich höchstens 162 Euro. Haushalte, die weniger als 80 000 Euro im Jahr zur Verfügung haben, zahlen nach ihrem Einkommen gestaffelt niedrigere Beiträge. Das gilt allerdings nur für Kitas, die der Münchner Förderformel oder dem alternativen Modell für Eltern-Kind-Initiativen, Eki plus, beigetreten sind. In anderen Einrichtungen von privaten Trägern kostet ein Krippenplatz bis zu 1000 Euro, manchmal sogar mehr. Ein privater Träger hatte gegen das bisherige Fördermodell geklagt.

Das nun erarbeitete Modell ermögliche eine soziale Gebührengestaltung, erhalte die hohen Qualitätsstandards und erfülle gleichzeitig die Vorgaben aus dem Gerichtsurteil, heißt es in einer Mitteilung der SPD/Volt-Fraktion. Auch die Grünen stehen hinter der Lösung. "Im Stadtrat gibt es eine breite Mehrheit für die neue Regelung, von der alle Münchner Kinder und ihre Familien profitieren können", sagte Fraktionsvize Sebastian Weisenburger. Das System der Defizitverträge werde für Verlässlichkeit sorgen.

Damit endete allerdings die Einigkeit von Grünen und Sozialdemokraten. Statt den Erfolg gemeinsam vorzutragen, warfen sie sich in einen erbitterten Kampf, wer die Lorbeeren für die gute Nachricht erhalten soll. Und sie streiten auch darüber, wer sich überhaupt wie um die kostenlosen Kindergarten- und die günstigen Hortplätze bemüht hat. In den Augen der SPD wollten die Grünen die Entlastung in der jetzigen Form nicht mehr, sondern hätten lieber ein gestaffeltes Gebührenmodell nach Einkommen gehabt.

Die Grünen wiederum sind schwer angesäuert, weil das ihrer Wahrnehmung nach nicht der Wahrheit entspricht und zudem Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) mit Äußerungen den Eindruck erweckt, sie sei die Retterin der Kitakosten-Entlastung für die Eltern. Dabei sei sie in den Koalitionsrunden dazu nur einmal dabei gewesen und da habe sie keinen Beitrag geleistet, ist zu hören. Deshalb erklärten sie in einer eigenen Mitteilung ohne die SPD, wie Eltern künftig entlastet werden sollen.

Für die Neuregelung der Kitagebühren hatte das Bildungsreferat nach Auskunft der SPD zunächst vorgeschlagen, Eltern künftig mit der Wirtschaftlichen Jugendhilfe zu entlasten oder alle Familien mit München-Pass zu entlasten. Bis zu 75 Prozent aller Familien hätten dann mehr bezahlt.

"Die Vorschläge des Referats liefen immer darauf hinaus, dass wir es nach dem Urteil nicht schaffen, die Eltern weiter zu entlasten", sagte Bürgermeisterin Dietl. Das sei für ihre Partei nicht hinnehmbar gewesen - es gehe schließlich nicht um Millionäre, sondern um Familien, die ohnehin an der finanziellen Belastungsgrenze lebten. Das nun vorgeschlagene Modell des Defizitausgleichs solle kombiniert werden mit gedeckelten Elternbeiträgen.

Dem widersprach am Montag Stadtschulrat Kraus in einer Mitteilung. Das Verwaltungsgericht habe in seiner Entscheidung deutlich gemacht, "dass eine Verpflichtung der Träger durch die Landeshauptstadt München, die Elternbeiträge zu deckeln, rechtlich nicht zulässig ist". Ob eine freiwillige Selbstverpflichtung der Träger praktisch und rechtlich umsetzbar wäre oder erneut gerichtlich moniert werden würde, könne das Referat nicht beurteilen. Ob die Träger einem solchen Modell zustimmen würden, liege in deren Entscheidung.

Das Modell des Defizitausgleichs jedenfalls habe man bereits von einer Kanzlei rechtlich prüfen lassen, sagte Dietl. Andere Kommunen nutzten es auch. Grünen-Fraktionsvize Weisenburger sagte, seine Fraktion habe immer verhindern wollen, dass der Masse der Münchner Eltern höherer Gebühren drohten. Wenn jemand etwas anderes behaupte, "dann stimmt das nicht". Die Koalition habe eine Chance verpasst, "gemeinsam stark aufzutreten". Das hätten Bürgermeisterin Dietl und ihre SPD-Fraktion zunichte gemacht. Der Streit sei bedauerlich, "das wäre nicht nötig gewesen".

Das sieht auch SPD-Fraktionschefin Anne Hübner so, meint aber das Verhalten der Grünen. "Frech und ungehörig" sei deren Verhalten. Monatelang hätten weder die Fraktion noch ihr Stadtschulrat großes Interesse gezeigt und schließlich nur eingelenkt, weil es auch eine Mehrheit ohne sie gegeben hätte. Die SPD-Fraktion habe den Antrag selbst ausarbeiten müssen, weil im Bildungsreferat ein Jahr lang fast nichts passiert sei. Wenn die Grünen sich nun als Mitinitiatoren des neuen Modells gäben, sei das "eine weitere Stillosigkeit in einer Koalition, in der es eh kaum Anstand gibt".

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