„Underdox“ in München:Wie ein Filmfestival das Bewusstsein erweitern soll

Lesezeit: 2 Min.

Auf Erkundungstour durchs Baskenland: Regisseur Oskar Alegria mit seinem Esel Paolo in „Zinzindurrunkarratz“, dem stillen, bildstarken Eröffnungsfilm beim Münchner „Underdox“-Festival. (Foto: Oskar Alegria)

Stille Bilder mit großer Wirkung: Das Münchner Festival für Dokument und Experiment widmet sich in seiner diesjährigen Ausgabe dem Thema „Awareness“.

Von Jürgen Moises

Auf Reisen zu gehen, das gehört zu den Grundbewegungen des Kinos. In „Zinzindurrunkarratz“, dem Eröffnungsfilm des diesjährigen „Underdox“-Festivals, geht der spanische Regisseur Oskar Alegria mit dem Esel Paolo auf Erkundungstour durchs Baskenland. Ausgestattet mit der mehr als 40 Jahre alten Super-8-Kamera seines Vaters, sucht er nach einem vergessenen Pfad in den Bergen, den früher sein Großvater als Hirte mit seinen Ziegen und Schafen nahm.

Für den Zuschauer geschieht das weitgehend tonlos, weil die Ton-Aufzeichnung der Kamera nicht mehr funktioniert. Texte gibt es, sie werden lesbar eingeblendet, während die Stille die Aufmerksamkeit für das Visuelle, für Gesten, Felder, Pflanzen, Tiere oder Traditionen schärft.

Damit führt der am 10. Oktober um 19 Uhr im Münchner Filmmuseum gezeigte Film anschaulich vor, um was es bei der 19. Ausgabe des „Underdox“-Festivals für Dokument und Experiment schwerpunktmäßig geht: Awareness. So lautet das diesjährige Motto. Gemeint ist damit ganz lapidar eine bewusste oder geschärfte Wahrnehmung. Also „keine Esoterik“ und keine „Art von moralischer Empfindsamkeit“, wie die Festival-Macher im Einführungstext des Kataloges schreiben.

Einüben kann man diese Wahrnehmung vom 10. bis 16. Oktober mithilfe von Lang- und Kurzfilmen, die neben dem Baskenland von Oskar Alegria, der in diesem Jahr „Artist in Fokus“ ist, unter anderem nach Frankreich, Namibia, Jordanien oder auf die Philippinen führen.

Wie ein Gemälde: Szene aus „Makamisa: Phantasm of Revenge“, dem handkolorierten Stummfilm des philippinischen Künstlers Khavn. (Foto: Khavn)

Letzteres passiert in „Makamisa: Phantasm of Revenge“, dem Abschlussfilm, der von der Kolonialgeschichte des philippinischen Volkes handelt. Gedreht hat ihn Khavn, der in diesem Jahr als Künstler ebenfalls „im Fokus“ steht, auf handkolorierten 35 Millimetern und ebenfalls als Stummfilm. Der seit gut 20 Jahren als Wunderkind und „Bad Boy“ des philippinischen Kinos gefeierte Khavn wird bei der Vorführung anwesend sein. Auch die Schauspielerin Lilith Stangenberg, die in dem Film mitspielt, ist angefragt. Und genauso Alexander Kluge, mit dem Khavn mehrfach zusammengearbeitet hat.

Beim danach gezeigten Kurzfilm „This Is Not A Lost Film“ wird Khavn übrigens als Pianist auch in die Tasten greifen. Ansonsten gehört der in Cannes mit dem Regie-Preis ausgezeichnete Film „Grand Tour“ von Miguel Gomes zu den Höhepunkten. Darin geht es zurück ins Jahr 1917 und in die britischen Kolonien in Asien. Eine junge Frau will dort ihren Verlobten treffen, der aber ständig vor ihr flüchtet. Ebenfalls spannend: „Schneewittchen“ von Stanley Schtinter, ein Schwarzfilm mit Off-Stimmen, die unter anderem Julie Christie und Hanns Zischler gehören. Und dessen Geschichte auf einem Dramolett von Robert Walser basiert.

Claire Angelini spürt in „Jeanne fait des siennes“ der frühen Weltreisenden Jeanne Barret nach, Lucy Kerr zeichnet das „Family Portrait“ einer texanischen Middle-Class-Familie. Und dann wartet im Filmmuseum, Werkstattkino und Theatiner noch viel mehr filmisches Material, um das Bewusstsein zu schärfen oder zu erweitern.

19. Underdox-Filmfestival, Donnerstag, 10., bis Mittwoch, 16. Oktober, München, verschiedene Orte, underdox-festival.de

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