Zu heiß, zu nass, zu unbeständig: Über nichts kann man sich diesen Sommer mehr aufregen als über das Wetter, jede hat eine Meinung dazu, jeder macht sich seinen eigenen Klimareim darauf. Dabei spielt bei der schönsten Freizeitbeschäftigung von allen Gluthitze oder Dauerregen keine große Rolle: Kino geht immer, im Sommer sogar noch öfter. Wohlfühltemperaturen in klimatisierten Kinosälen allein reichen natürlich nicht, es braucht auch die passenden Filme. Die Münchner Programmkinos wollen sie liefern: Seit 1953 veranstalten sie ihre Filmkunstwochen mit Previews, Retros, Reihen, Lectures und prominenten Gästen. Eine stolze Lichtspiel-Leistungsschau, derer es im Sommer 2024 mehr denn je bedarf.
Denn das Kinogeschäft ist schwieriger geworden, auch wenn die Filmkunstwochen-Organisatoren bei ihrer Programm-Präsentation von „einer Renaissance des Kinos“ sprechen. Die nackten Zahlen sprechen eine andere Sprache: Während die Zahl der Leinwände in den Programmkinos im Verlauf eines Jahrzehntes gestiegen ist (von 531 im Jahr 2013 auf 578 im Jahr 2022), gingen die Besucherzahlen deutlich nach unten: Laut einer Studie der Filmförderungsanstalt (FFA) wurden 2013 in den deutschen Programmkinos 15,8 Millionen Tickets verkauft, 2022 waren es nur noch 10,1 Millionen – ein Minus von 36 Prozent. Es ging zwar insgesamt nach unten, vor zwei Jahren litten auch alle Kinobetriebe unter den Auswirkungen der Pandemie. Dass sich das Kulturgut Kino in Zeiten der Dauerberieselung und Allzeitverfügbarkeit von filmischen Inhalten weiterentwickeln muss, dürfte aber allen klar sein.
An einem heißen Juli-Tag nimmt man die größte Veränderung auf der Bühne des Leopold-Kinos wahr. Dort haben sich bei der Programmvorschau einige neue Gesichter eingefunden: In den Münchner Kinos hat ein Generationswechsel stattgefunden. Marlies Kirchner etwa hat im Januar nach sagenhaften 66 Jahren ihre Theatiner-Filmkunst an das junge Kinomacher-Duo Bastian Hauser und Claire Schleeger übergeben, Thomas Kuchenreuther verkaufte kurze Zeit später seine Schwabinger Kinos (ABC und Leopold) an Daniela Bergauer und Michael Hehl vom Augsburger Liliom-Kino. Auch das Kino Solln hat seit Ende vergangenen Jahres einen neuen Betreiber (Thomas Wilhelm, dem auch das Neue Rex gehört), das City-Kino wird jetzt von Holger Trapp geleitet. Sie alle führen Bewährtes fort, setzen aber auch neue Akzente.

Eröffnet werden die Filmkunstwochen im Theatiner mit dem französischen Spielfilm „Paris Paradies“, darin müssen sich fünf Großstädter mit ihrer Endlichkeit auseinandersetzen. Der Film mit Monica Bellucci und André Dussollier läuft als Preview, ist also noch vor seinem offiziellen Kinostart im August zu sehen. Ebenfalls als Preview gezeigt wird der US-Horror-Hit „Longlegs“ mit Nicolas Cage (im City-Kino), das von Viggo Mortensen auf dem Filmfest vorgestellte Western-Drama „The Dead Don’t Hurt“ (im Rio und im City), der poppig-bunte Kostümfilm „Gloria!“ aus Italien (im Maxim) und das auf der Berlinale gefeierte Holocaust-Trauma-Drama „Treasure“ (im City).
Im Maxim stehen „Female Directors“ im Mittelpunkt, gezeigt werden Filme von Paola Cortellesi („Morgen ist auch noch ein Tag“), Celine Song („Past Lives“) oder Alice Rohrwacher („La Chimera“). Ansonsten ist die Filmgeschichte ja eher männlich geprägt: Im ABC, Theatiner und Studio Isabella gibt es ein Wiedersehen mit italienischen Meisterregisseuren, mit Michelangelo Antonioni („Blow Up“), Pier Paolo Pasolini („Accattone“) oder Federico Fellini („La dolce vita“). Das Leopold zeigt alle Filme von Quentin Tarantino in der Originalfassung; im Arena, Rio und Monopol feiert man den „Coppola-Clan“, mit Filmen von Francis Ford Coppola („Der Pate 1–3“), seiner kürzlich verstorbenen Ehefrau Eleanor Coppola („Paris kann warten“) und ihrer Tochter Sofia Coppola („Priscilla“).

Eine Hommage bekommt auch der Österreicher Josef Hader, im Kino Solln und im Neuen Rex werden Filme von und mit ihm gezeigt: „Komm, süßer Tod“, „Wilde Maus“ oder „Andrea lässt sich scheiden“. Im Neuen Rottmann laufen Taxifilme wie „Night on Earth“, „Daddio“ oder „Taxi Teheran“, das ABC zeigt Tonfilme mit Karl Valentin („Orchesterprobe“) und widmet Wim Wenders eine Retrospektive („Paris, Texas“). Auch die Münchner Filmbranche ist zu Gast bei den Filmkunstwochen: Michael von Ferrari präsentiert seine Doku „Ruinenschleicher & Schachterleis“ (unter anderem im Rex und Rottmann), Aaron Arens stellt im City sein mit dem Starter Filmpreis ausgezeichnetes Spielfilmdebüt „Sonnenplätze“ vor. Und Edith Eisenstecken zeigt im Theatiner ihren Dokumentarfilm über ein Südtiroler Kloster: „Saeben“.
Zwölf Kinos, drei Wochen, weit mehr als hundert Filme: Die Filmkunstwochen haben viel zu bieten, vielleicht tragen sie zu einer Renaissance des Kinos bei. Es bedarf vieler Anstrengungen, um das Publikum zu halten, beziehungsweise zurückzuholen: Zuvorderst stehen natürlich die Filme, Programmkinohits wie „Anatomie eines Falls“, „Perfect Days“ oder „Back to Black“ (die allesamt bei den Filmkunstwochen laufen) sind nach wie vor zu rar gesät. Die Kinos setzen derweil auf ihre kuratorischen Kompetenzen. Das Rottmann veranstaltet eine moderierte Reihe zum Thema „Psychiatrie im Film“, das Studio Isabella zeigt jede Woche spanischsprachige Filme. Im Theatiner finden regelmäßig Sonderveranstaltungen statt, im Monopol und im (nicht an den Filmkunstwochen teilnehmenden) Werkstattkino auch. Und im City gibt es das ganze Jahr über Filmreihen für ein schwul-lesbisches Publikum oder für Horrorfans.

Im September soll es wieder das bundesweit stattfindende „Kinofest“ geben, mit stark ermäßigten Eintrittspreisen werden auch Menschen ins Kino gelockt, die lange nicht mehr da waren. Die Programmkino-Gäste sind dagegen recht treu: Laut FFA-Studie gingen sie 2022 durchschnittlich 7,5 Mal ins Kino – deutlich öfter also als das reguläre Publikum. Auch deshalb werden immer häufiger Kino-Abos angeboten, im Arena, Rio, City oder Maxim etwa, im Lichtspielhaus Fürstenfeldbruck oder den Breitwand-Kinos in Gauting und Starnberg. Damit wird ein Kinobesuch noch einmal deutlich komfortabler – egal, ob es regnet, stürmt oder schneit.
72. Filmkunstwochen München, Mi., 24. Juli, bis Mi., 14. August, www.filmkunstwochen-muenchen.de