Süddeutsche Zeitung

Kinderschutzbund München:Ausgerechnet jetzt fehlen die Helfer

Viele Familien aus der Ukraine brauchen dringend Unterstützung, doch nach zwei Jahren Pandemie hat der Kinderschutzbund viele Ehrenamtliche verloren. Nun sucht der Verein neue Freiwillige.

Von Sven Loerzer

Vielen Familien hat die Zeit der Pandemie mit Lockdown und Homeschooling schwer zugesetzt. Wichtige unterstützende Angebote wie etwa die ehrenamtliche Familienhilfe des Kinderschutzbundes München waren in dieser Zeit der Kontaktbeschränkungen ausgeschaltet: "Wir konnten nicht reingehen in die Familien", sagt Martha Arnold, Koordinatorin des Angebots. Und ausgerechnet jetzt, da es wieder möglich und die Nachfrage nach Unterstützung groß ist, fehlen Menschen, die sich zwei bis vier Stunden pro Woche ehrenamtlich engagieren wollen. Gerade auch für Geflüchtete aus der Ukraine, die Hilfe benötigen, um sich zurechtzufinden.

Viele Familienhelfer, die schon lange Jahre ehrenamtlich tätig waren, hätten sich während der Pandemiezeit altersbedingt verabschiedet, sagt Martha Arnold. Sie selbst ist schon seit acht Jahren dabei, hat vor einem halben Jahr die Koordination übernommen. Nach dem Ende ihres Berufslebens als Lehrerin fand die heute 75-Jährige über einen Zeitungsartikel zum Engagement als Familienhelferin. Weil in der Pandemiezeit die Anwerbung und Ausbildung neuer Kolleginnen und Kollegen nicht möglich war, sucht der Kinderschutzbund nun um so dringender Nachwuchs, um der großen Nachfrage nachkommen zu können.

Gerade Familien, die mit vielen Problemen zu kämpfen haben, kann praktische Lebenshilfe im Alltag Entlastung verschaffen. Etwa bei Familien, in denen ein Kind mit Behinderungen aufwächst und wo deshalb wenig Zeit und Aufmerksamkeit für die Geschwister bleibt. Wenn sich einmal die Woche eine Familienhelferin oder ein Familienhelfer um die nichtbehinderten Geschwister kümmert und mit ihnen etwas unternimmt, verschafft das der ganzen Familie mehr Luft. Von Vorteil beim Einsatz sei, "dass wir nur in Familien gehen, die uns auch wollen", sagt Martha Arnold. Die Vermittlung erfolgt meist über Sozialbürgerhäuser, Jugendamt, Kindergärten und auch den Kinderschutzbund selbst.

"Wir müssen sehr behutsam sein", sagt Martha Arnold. Im Schnitt betreuen die Helfer eine Familie etwa zwei Jahre, denn Ziel sei es immer, sie wieder unabhängig zu machen von Hilfe. Die kann ganz unterschiedlich ausfallen: Mal ist es die Begleitung zu einem Behördengang, die Unterstützung bei der Suche nach einer Wohnung, die gezielte Förderung der Kinder und das Motivieren der Eltern, geeignete fachliche Hilfen in Anspruch zu nehmen. "Wir gehen aber auch mit in die Schule zu Gesprächen, wenn das erwünscht ist."

Praktische Problemlösungen sind gefragt

Für die Familienhilfe kommen Frauen wie Männer gleichermaßen infrage, sagt Martha Arnold. So könne es sich als sehr hilfreich erweisen, einen Mann einzusetzen, der sich um den Sohn einer Alleinerziehenden kümmert. Das Alter spiele eigentlich keine Rolle. Häufig engagierten sich Menschen, die gerade in Rente gegangen seien. Die Grenze zieht Martha Arnold bildlich dort, wo Ältere nicht mehr in der Lage sind, "Kindern auf dem Spielplatz hinterherzulaufen".

Ob man selbst Kinder groß gezogen habe, spiele keine Rolle, viel wichtiger sei es, Toleranz mitzubringen: "Wir kommen in Familien rein, wo es völlig anders läuft, als wir denken, dass es laufen müsste." Ziel des Einsatzes sei nicht, die Familie zu verändern, sondern Vertrauen aufzubauen und zu schauen, "dass es dem Kind gut geht, wenn es den Eltern gut geht". Praktische Problemlösungen sind deshalb gefragt, etwa den Kontakt zur Münchner Tafel herzustellen, um das zu knappe Haushaltsbudget zu entlasten.

Auf das für die Familien kostenlose Angebot werden die Helfer mit einer Fortbildung an einem Wochenende vorbereitet. Dann gehen sie mit in die 14-tägig stattfindende Supervision, bei der alle Probleme besprochen werden und die neuen Fälle vorgestellt und verteilt werden. Erst nach einigen Treffen übernehmen sie die Unterstützung einer Familie. "Das kann jeder machen, der interessiert ist an anderen Kulturen", sagt Martha Arnold, "und an anderen Menschen."

Und niemand müsse sich vor Überforderung fürchten, denn die Aufgabenstellung für die seit fast 40 Jahren angebotene Familienhilfe habe sich geändert: "Früher sind die Familienhelfer rein, wenn es gebrannt hat. Heute holen uns die Therapeuten, wir sind nicht mehr Feuerwehr, sondern versuchen durch unsere Arbeit, die Familien zu stabilisieren." Und deshalb sei es das Wichtigste, erst einmal zuzuhören.

Wer sich für eine ehrenamtliche Tätigkeit als Familienhelferin oder -helfer interessiert, kann sich beim Kinderschutzbund unter Telefon 089/55 53 59 oder per E-Mail unter familienhilfe@dksb-muc.de melden. Am 11. Oktober, 18 Uhr, lädt der Kinderschutzbund außerdem zu einem Informationsabend über die Familienhilfe in seinen Räumen in der Kapuzinerstraße 9c ein.

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