Geldmangel in der Kindermedizin:"Wenn wir nicht weitermachen, würde alles hier zusammenbrechen"

Geldmangel in der Kindermedizin: Blaue Sofas und der Blick in den Himmel: Den Aufenthaltsraum in der onkologischen Tagesklinik des Haunerschen Kinderspitals haben die Elterninitiativen mit Spendengeldern finanziert.

Blaue Sofas und der Blick in den Himmel: Den Aufenthaltsraum in der onkologischen Tagesklinik des Haunerschen Kinderspitals haben die Elterninitiativen mit Spendengeldern finanziert.

(Foto: Florian Peljak)

Elterninitiativen erleichtern das Leben für krebskranke Kinder und ihre Familien auf den onkologischen Stationen so gut es geht - auch mit Therapien für die Seele. Denn den Münchner Kliniken selbst fehlt dafür das Geld.

Von Nicole Graner

Die blauen Sofas sind sehr begehrt. Und alle besetzt. Lässt sich gut darauf lümmeln. Gerade, wenn eine Chemo-Infusion durch den Körper tropft, die den Krebs besiegen soll. Im Aufenthaltsraum der onkologischen Tagesklinik des Dr. von Haunerschen Kinderspitals lesen die jungen Patienten oder spielen Spiele auf ihrem Handy. Ein Vater lernt mit seinem Sohn.

Der Raum unter dem Dach ist hell. Wer auf dem Sofa liegt, kann durch die Fenster über sich Wolken am blauen Himmel vorbeiziehen sehen. Da sind Lampions, Kuschelkissen. Draußen auf dem Gang der Station hängen schöne Bilder. Eine große Pippi-Langstrumpf-Puppe hängt an einem Mast. Sie hält Ausschau und blickt durch ein Fenster in die Berge. Können die Kinder auch: Wenn sie auf einen extra angelegten Tritt steigen, sehen auch sie den Horizont.

Geldmangel in der Kindermedizin: Pippi Langstrumpf schaut auf der onkologischen Tagesklinik durch ein Fenster in die Berge.

Pippi Langstrumpf schaut auf der onkologischen Tagesklinik durch ein Fenster in die Berge.

(Foto: Florian Peljak)

All diese Dinge, die das Leben der an Krebs erkrankten Kinder im Alter von null bis 18 Jahren bunter machen, gäbe es nicht, hätten sich nicht zwei Elterninitiativen darum gekümmert. Sie haben mit Spendengeldern Möbel und Bilder gekauft, sich der Beleuchtung angenommen.

Aber nicht nur das: Die Elterninitiative Intern 3 und die Kinderkrebshilfe Ebersberg kümmern sich unter anderem auch um Investitionen in der Medizintechnologie, um die Finanzierung von psychologischen Betreuungen, sozialrechtlichen Beratungen und psychosozialen Fachkräften, also Erzieher, Psychologen, Ergotherapeuten, Ernährungsberater.

"Nach der Diagnose Krebs öffnet sich für die Eltern des Kindes eine Falltür, durch die man ins Bodenlose stürzt", sagt Tobias Feuchtinger, Leiter der Abteilung für Pädiatrische Hämatologie, Onkologie, Hämostaseologie und Stammzelltransplantation. In diesem "emotionalen Ausnahmezustand" gehe es nicht nur um die medizinische Versorgung, sondern auch um psychologische Hilfe oder soziale Beratung. "Sechs von acht Stellen", sagt Tobias Feuchtinger, "sind hier von den Elterninitiativen finanziert worden."

2200 Kinder erkranken jedes Jahr neu an Krebs

Warum können sich die Kinderkliniken so vieles nicht mehr leisten? Oder nur noch mit Hilfe von Spendengeldern? Jedes Jahr erkranken an die 2200 Kinder und Jugendliche neu an Krebs. Leukämie ist die häufigste Form, die vor allem im Krabbelalter oder in der Pubertät diagnostiziert wird. "Alle großen Kinderkliniken in Deutschland schreiben rote Zahlen", sagt Feuchtinger, seien "grundsätzlich defizitär". Das liege nicht an den Kliniken oder an den Kassen, sondern am "System der Fallpauschalen", kritisiert der Arzt.

Im sogenannten DRG (Diagnosis Related Groups)-System bekommen die Krankenhäuser von den Kassen Festbeträge: je nach Diagnose und unabhängig davon, wie lange die jungen Patienten in den Kliniken liegen.

Gerade die Kindermedizin oder die Kinderonkologie lasse sich aber nicht in "Fallpauschalen abbilden", sagt Julia Hauer, Chefärztin des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin an der Schwabinger Kinderklinik, eine Kooperation der München Klinik und des TU-Klinikums rechts der Isar. Die Leistungen für Erwachsene seien nicht mit den Leistungen in der Kindermedizin gleichzusetzen.

Die 44-Jährige nennt ein Beispiel: Das MRT eines Dreijährigen sei ungleich schwerer. Es dauere länger, das Kind müsse "sediert", also ruhiggestellt werden. Viele Kinderuntersuchungen dauerten oft dreimal so lang, ergänzt Feuchtinger und macht klar. "Wenn wir weiter anhand der Struktur der Erwachsenenmedizin bemessen werden, haben wir keine Chance."

"Alle krebskranken Kinder betreuen wir zehn Jahre"

Zwei Drittel der krebskranken Kinder werden wieder gesund. Aber die intensive Behandlung dauere, so erklärt der 49-jährige Arzt weiter, meist zwischen drei und 18 Monaten. Dann spiele auch die Nachsorge eine große Rolle. "Alle krebskranken Kinder betreuen wir zehn Jahre", sagt er. Den tatsächlichen Aufwand der Versorgung berücksichtige die Fallpauschale nicht. Seit der Einführung der Fallpauschalen 2003 habe sich die prekäre Lage der Kindermedizin nicht verbessert, sondern "noch verschlechtert."

Dazu kommen die Richtlinien des "Gemeinsamen Bundesausschusses" (GBA), dem höchsten Gremium im Gesundheitswesen, über Maßnahmen zur Qualitätssicherung der stationären Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit hämato-onkologischen Krankheiten. Ein Ziel dieser Richtlinie ist es, so heißt es, alle Kinder unabhängig von Wohnort oder sozioökonomischer Situation "qualitativ hochwertig" zu versorgen.

Der Richtlinien-Katalog fordert unter anderem den Einsatz von Mitarbeitern des psychologisch-psychotherapeutischen sowie des sozialpädagogisch-sozialarbeiterischen Bereiches. "Aber ohne die Elterninitiativen", sagt Hauer, "könnten wir diese Kriterien des GBA gar nicht erfüllen." Was heißt: Mittlerweile machen die Spendengelder einen Teil der Basisversorgung aus.

Geldmangel in der Kindermedizin: Die Ärzte Tobias Feuchtinger und Julia Hauer fordern ebenso wie die Elterninitiativen-Vertreter Matthias Mögel, Angelika Andrae-Kiel und Alois Fruth (von links) die Abschaffung der Fallpauschalen in der Kindermedizin.

Die Ärzte Tobias Feuchtinger und Julia Hauer fordern ebenso wie die Elterninitiativen-Vertreter Matthias Mögel, Angelika Andrae-Kiel und Alois Fruth (von links) die Abschaffung der Fallpauschalen in der Kindermedizin.

(Foto: Florian Peljak)

Seit 40 Jahren gibt es den Verein Kinderkrebshilfe Ebersberg. Alle Mitglieder arbeiten ehrenamtlich. Das Budget beträgt eine Million Euro. Genauso hoch ist es bei der Elterninitiative Intern 3. Die "Initiative Krebskranke Kinder München", die 1985 betroffene Eltern gegründet haben, hat mittlerweile sogar zehn fest angestellte Mitarbeiter. Seit 2003 kümmert sich der Verein auch um die psychosoziale Nachsorge. Und alle kämpfen um Spender, versuchen immer wieder zu erklären, warum Gelder mehr denn je gebraucht werden.

"Denn viele fragen sich natürlich, warum sie spenden sollen, wenn die Leistungen eigentlich mit der Regelversorgung abgedeckt sein müssten", sagt Angelika Andrae-Kiel von der Schwabinger Initiative.

In der Küche der Transplantationsstation des Haunerschen hängen kleine Schubladen. Voll mit Schokolade, Gummibärchen. Chemotherapien, Transplantationen machen anders hungrig, zu anderen Zeiten. In der Küche, die auch über Spendengelder finanziert worden ist, können die Eltern kochen, wann immer es nötig ist.

Große Dankbarkeit bei den Eltern

Anna ist zwei. Sie liegt in ihrem Bettchen, schmal, blass. Sie hat Leukämie. Zwölf Wochen liegt sie schon in der Klinik - mit vielen Auf und Abs. Trotz all dem Schmerz, den ihre Eltern gerade durchmachen, finden sie Worte der Dankbarkeit. Dass sie nur zehn Minuten entfernt in einer Wohnung wohnen können und gleich bei ihrer Tochter sind, sei "ein Geschenk", sagt die Mutter, die im Moment aber bei Anna schläft.

Der Vater, ein Lehrer, der im Moment arbeitsunfähig ist, spricht von einem "magischen Moment", als Anna eine Musiktherapiestunde bekam. Gitarrenklänge und Wohnungen - auch die sind von den Elterninitiativen finanziert. "Fünf Wohnungen hat die Intern 3 gekauft", sagt Alois Fruth, 55.

So viel ist durch die Elterninitiativen passiert. Nicht nur durch Anschaffungen, Stellenbeschaffungen, die Verschönerungen der Stationen oder auch durch die Unterstützung von Forschungsprojekten. Auch durch viele Gespräche in politischen Gremien. Sogar eine Petition gegen den Pflegenotstand haben die Initiativen der Haunerschen Kinderklinik 2018 im Bayerischen Landtag eingereicht. Passiert sei bis jetzt aber nichts, sagt Fruth.

Die Politik sehen die Ärzte der beiden Kliniken und die Elterninitiativen aber in der Verantwortung. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat im Mai nach einem Besuch in einer Kinderklinik getwittert: "(...) Kinderkliniken kommen aus der Fallpauschale, dann gibt es auch kein Defizit mehr."

Bis dahin ist noch ein langer Weg, darin sind sich alle einig. Und so lange wird die Arbeit der Elterninitiativen unerlässlich sein. "Wenn wir nicht weitermachen, würde alles hier zusammenbrechen", sagt Fruth. Matthias Mögel von der Ebersberger Kinderkrebshilfe formuliert es noch drastischer: "Das wäre der Super-GAU!"

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