Folgen des Tarifabschlusses:Finanzierungslücken bei der Jugendhilfe

Folgen des Tarifabschlusses: Zwischenmahlzeit im Kinderhaus in Pasing.

Zwischenmahlzeit im Kinderhaus in Pasing.

(Foto: Catherina Hess)

Nach Tarifverhandlungen, die Zulagen für Erzieherinnen und Sozialpädagogen vorsehen, bleiben Kindereinrichtungen auf den Kosten sitzen.

Von Kathrin Aldenhoff

Der Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst vom Sommer bringt Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen in München in Finanznöte. "Zusammen mit den gestiegenen Energiekosten und der hohen Inflationsrate bringen die Tarifsteigerungen des Sozial- und Erziehungsdienstes des Öffentlichen Dienstes einige Einrichtungen in existenzielle Not", sagt Claudia Holtkamp, Referentin für Kinder, Jugend und Familie des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Betroffen sind Einrichtungen, die von den Kommunen über sogenannte Entgelte finanziert werden; beispielsweise die stationären Jugendhilfeeinrichtungen. Claudia Holtkamp geht von rund 60 Einrichtungen in München aus.

Andere Einrichtungen, auch aus dem Bereich Bildung und Soziales, die nicht Entgelte, sondern Zuschüsse von der Stadt bekommen, erhalten im kommenden Jahr 20 Millionen Euro von der Stadt, um die gestiegenen Tarif- und Energiekosten auszugleichen. Das hatte der Stadtrat Anfang Dezember beschlossen. Aber beispielsweise der HPKJ, Träger von etwa 20 Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe in München, hat nach Angaben der geschäftsführenden Vorständin Angela Bauer eine Finanzlücke von 100 000 Euro.

Grund für diese Finanzlücke sind die Zulagen, die Gewerkschaften und kommunale Arbeitgeber in diesem Jahr vereinbart haben. Die Zulagen müssen die Träger rückwirkend ab 1. Juli dieses Jahres unter anderem an Erzieherinnen und Sozialpädagogen zahlen. Die Stadt berücksichtigt die Zulagen aber erst vom 1. Dezember 2022 an bei ihren Zahlungen an die Träger.

"Den Trägern entstehen so Finanzierungslücken", sagt Claudia Holtkamp vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Sind sie tarifgebunden, müssen sie die Zulagen zahlen. Aber auch wenn sie nicht an den Tarifvertrag gebunden sind, müssten sie eigentlich zahlen, wegen des Fachkräftemangels, sagt Holtkamp. "Sonst wechselt das pädagogische Personal schnell den Arbeitgeber." Klar ist: Die Träger bleiben auf den Kosten der Zulage von Juli bis Dezember sitzen.

Auch für die Landeshauptstadt München sei die Situation nicht zufriedenstellend, teilte ein Sprecher des Sozialreferats mit. Die Stadt könne an dem Umstand derzeit selbst aber nichts ändern. Nötig wäre es, die Regelungswerke für die Entgeltsystematik anzupassen. Diese bundesgesetzlichen Vorschriften verbieten im Moment eine rückwirkende Finanzierung.

Wie groß die Finanzierungslücken bei den Trägern sind, ist dem Sozialreferat nicht bekannt. Da die tatsächlichen Kosten der Einrichtungen nicht klar seien, könne zum Umfang der Finanzierungslücken nichts Näheres gesagt werden, teilte ein Sprecher mit.

Die Stadt München habe bereits einen Sonderweg gewählt, um die freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe finanziell unterstützen zu können, heißt es aus dem Sozialreferat: Sie finanziert die Zulagen ab dem 1. Dezember, und wartet nicht ab, bis Neuverhandlungen mit den einzelnen Trägern anstehen. In der Regel werden die Entgelte, die stationäre Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen von den Kommunen erhalten, für ein Jahr ausgehandelt. Es bleiben also fünf Monate, in denen die Träger Zulagen an ihre Mitarbeiter zahlen müssen, sie diese aber nicht erstattet bekommen.

"Fakt ist, die Stadt würde einen Weg finden, das zu finanzieren", sagt Angela Bauer. Es könne keine Lösung sein, die Zulage einfach nicht zu zahlen. "Wir machen keinen Gewinn. Es geht um die Bezahlung der Mitarbeiter und am Ende des Tages um eine gute Qualität für Kinder und Jugendliche."

Folgen des Tarifabschlusses: Plötzlich Finanzprobleme: Angela Bauer ist die geschäftsführende Vorständin des Jugendhilfeträgers HPKJ.

Plötzlich Finanzprobleme: Angela Bauer ist die geschäftsführende Vorständin des Jugendhilfeträgers HPKJ.

(Foto: Stephan Rumpf)

Der HPKJ zum Beispiel hat 200 Mitarbeiter, 110 von ihnen haben einen rechtlichen Anspruch auf die Zulage. Sie arbeiten in mehr als 20 Einrichtungen in München, zum Beispiel in einem Haus für alleinerziehende Mütter mit Kind, die nicht in der Lage sind, ein eigenständiges Leben zu führen, in der Krisenhilfe für Familien oder als Betreuer in einer therapeutischen Wohngruppe.

Larissa Kleisl arbeitet seit zehn Jahren in einer solchen Wohngruppe, sie betreut neun Jugendliche abwechselnd in Tag- und Nachtschichten. Die Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren leben hier, weil sie Depressionen haben, weil sie Gewalt in der Familie oder Vernachlässigung erlebt haben. Hier sollen sie ein selbständiges Leben lernen.

Folgen des Tarifabschlusses: Immer ansprechbar: Die Mitarbeiterin einer therapeutischen Wohngruppe im Gespräch mit einem Jugendlichen.

Immer ansprechbar: Die Mitarbeiterin einer therapeutischen Wohngruppe im Gespräch mit einem Jugendlichen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Dank des Tarifabschlusses erhält Larissa Kleisl ab 1. Juli dieses Jahres jeden Monat eine Zulage von 180 Euro brutto. "Das ist ein willkommener Bonus", sagt die Pädagogin. Die andere Perspektive ist die ihres Arbeitgebers. Angela Bauer als geschäftsführende Vorständin des HPKJ freut sich zwar, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr verdienen - aber die Umsetzung sei schwierig.

Auch die Stadt ist Träger entgeltfinanzierter Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen, beispielsweise des Münchner Waisenhauses. Auch dort könne keine rückwirkende Finanzierung erfolgen, dort bestehe ebenfalls eine Lücke der Refinanzierung von fünf Monaten, teilte ein Sprecher des Sozialreferats mit. "Die Landeshauptstadt München als Trägerin von Einrichtungen muss somit wie alle anderen betroffenen freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe versuchen, die Kosten der Refinanzierungslücke an anderer Stelle einzusparen oder diese aus anderen Mitteln zu beglei­chen."

Angela Bauer wird nun prüfen, welche Investitionen zurückgestellt werden können. Die Wände in der therapeutischen Wohngruppe werden trotzdem neu gestrichen, aber vielleicht müsse bei den Ferienfahrten gespart werden oder bei den Sommerfesten der verschiedenen Einrichtungen, überall ein bisschen. Und sie will sich nun um Spenden bemühen.

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