Kostüme der Kessler-Zwillinge:"Tänzerin zu werden, würde ich nicht empfehlen"

Lesezeit: 6 Min.

Ellen und Alice (rechts) Kessler bei der Präsentation ihrer Bühnenkostüme, die jetzt versteigert werden. (Foto: Catherina Hess)

Alice und Ellen Kessler haben auf den großen Showbühnen der Welt in Hunderten Kostümen getanzt. Jetzt lassen sie ihre Kleider versteigern - für die Opfer der Flutkatastrophe im Ahrtal. Ein Gespräch über Design, Showkollegen und die heutige Zeit.

Interview von Sabine Buchwald

Mit 15 sind sie das erste Mal als Revue-Tänzerinnen aufgetreten, im Palladium in Düsseldorf, kurz nach der Übersiedlung von Leipzig. "Wir waren damals viel zu jung", sagt Ellen Kessler 46 Jahre später im Theater am Gärtnerplatz. Auch hier standen die Zwillinge schon auf der Bühne, 1976 in dem Ballett "Die sieben Todsünden" nach Bertolt Brecht. Nun sitzen die beiden Damen neben Intendant Josef Köpplinger: schlank und langbeinig, so wie man sie kennt, die blonden Haare kinnlang, perfekt geschminkt. Um sie herum stehen Büsten mit ihren Bühnenkostümen aus verschiedenen Jahrzehnten.

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Die Kleider sollen versteigert werden, von 12. bis 30. Oktober, online im Auktionshaus Neumeister ( www.neumeister.com) Der Erlös kommt den Opfern der Flutkatastrophe im Ahrtal zugute. Die Kameras klicken. Alice und Ellen Kessler waren das gewöhnt, jahrzehntelang. Sie waren omnipräsent im deutschen Fernsehen, haben in den Fünfzigerjahren am Lido in Paris getanzt, fünf Jahre dort gelebt, sind regelmäßig in Shows von Dean Martin und Frank Sinatra aufgetreten, waren in Las Vegas wie zu Hause, viele Jahre haben sie in Italien gewohnt. Seit 1986 leben die beiden mittlerweile 86 Jahre alten Damen in München Grünwald. Gemeinsam. Unzertrennlich. Das Interview entstand vorab am Telefon.

SZ: Alice und Ellen Kessler, welche Kostüme werden jetzt versteigert?

Alice Kessler: Alle, die wir schon länger nicht mehr getragen haben und auch nicht mehr tragen möchten.

Ellen Kessler: Eigentlich alle Bühnenkostüme, die bei uns zu Hause herumhingen und keine Aufgabe mehr für uns hatten, von denen haben wir uns jetzt getrennt. Wir treten nicht mehr auf.

Aber Sie haben noch welche im Schrank?

Ellen Kessler: Wir haben drei Kostüm-Paare behalten: Das rosa Kostüm, das wir bei unserem letzten Auftritt im Pariser Lido getragen haben. Das war 1977. Wir haben die Kostüme zum Abschied geschenkt bekommen, sie haben eine große emotionale Bedeutung für uns. Und dann noch je ein langes Pailletten-Kleid, das wir noch wunderbar tragen könnten für große Events und noch einen Pailletten-Anzug.

Wie viele hatten Sie insgesamt?

Ellen Kessler: Hunderte. Allein in der "Kessler Kabarett Show" in Italien und Deutschland sind wir an einem Abend mit 17 verschiedenen Kostümen aufgetreten.

Das Kostüm "Meerjungfrau" ist über und über mit Pailletten bestickt. Handarbeit, die heute kaum noch zu bezahlen wäre. (Foto: Catherina Hess)

Die Stücke sind teilweise schwer und kostbar, sie sind aufwendig von Hand mit Pailletten bestickt oder haben Seidenfransen. Auf was kam es Ihnen an beim Design?

Ellen Kessler: Sie mussten natürlich effektvoll sein, vor allem aber gut passen und bequem sein. Egal, ob Kleider oder Hosen.

Alice Kessler: Die Hosen mussten sitzen beim Tanzen wie eine zweite Haut. Ich mochte Hosen, weil man flache Schuhe anziehen kann dazu, das empfand ich als Vorteil.

In Ihren Kostümen sind auf den Etiketten der Modelabels handschriftlich Ihre Namen vermerkt. Sind ihre Körper unterschiedlich?

Ellen Kessler: Nein, überhaupt nicht. Die Kostüme haben immer uns beiden gepasst. Selbst zur Anprobe hätte eigentlich immer nur eine von uns gehen müssen. Aber wir wollten nicht in das Kostüm der anderen schlüpfen. Dieses Stück Individualität war uns wichtig.

Viele Kostüme sind in Größe 34/36, sie sind 1,76 groß. Mussten Sie auf vieles verzichten, um sich so schlank zu halten?

Alice Kessler: Wir konnten immer alles essen, was wir wollten. Wir essen ausgesprochen gerne, am liebsten Italienisch und Asiatisch.

Auch mal eine Portion Pommes mit Mayo?

Alice Kessler: Natürlich. Wir essen sicher nicht bewusst fettarm.

Sie haben Ihr Leben lang gearbeitet und unabhängig gelebt. War das für Sie ein wichtiges Kriterium in Ihrer Karriere?

Ellen Kessler: Die totale Unabhängigkeit war immer das Wichtigste für uns. Das war der Motor. Wir haben uns in der Kindheit bereits vorgenommen, selbstständig und finanziell unabhängig zu werden. Bereits im Lido in Paris haben wir unsere Verträge selbst verhandelt und die Kürze unserer Röcke selbst bestimmt.

Das orangefarbene Kasack-Ensemble wurde nach der Vorliebe von Frank Sinatra angefertigt. Er soll die Farbe Orange geliebt haben. (Foto: Catherina Hess)

Sie sind jetzt 86 und haben nie ein Hehl aus Ihrem Alter gemacht. Fühlen Sie sich noch wohl auf dieser Welt, in der sich so viel verändert hat?

Alice Kessler: Ganz ehrlich, ich finde die Entwicklungen der vergangenen Jahre überhaupt nicht schön. Erst die Pandemie, dann der Krieg in der Ukraine und die Folgen daraus.

Ellen Kessler: Wir haben unbeschwertere Zeiten erleben dürfen. Manchmal sehen wir im Fernsehen Bilder von Paris oder Rom. Wir erkennen Straßen wieder, durch die wir oft gelaufen sind. Wir könnten auch noch in die Städte reisen, aber in der Pandemie machen wir das nicht.

Alice Kessler: Wir wollen diese mittlerweile üblichen Unannehmlichkeiten nicht erleben: Verspätungen, Annullierungen, Koffer gehen verloren. Es ist auch vieles zu unsicher geworden. Ich brauche Sicherheit, um mich wohlzufühlen.

Ellen Kessler: Wir haben ja die ganze Welt gesehen, wir haben alles gehabt.

Was raten Sie jungen Frauen?

Alice Kessler: Lernt einen guten Beruf! Frauen ist ja heute nichts mehr verwehrt, sie können sogar Astronautin werden, wenn sie das möchten.

Ellen Kessler: Stellt euch auf eigene Beine und macht euch nicht abhängig. Schon gar nicht von einem Mann.

Und jungen Künstlerinnen?

Ellen Kessler: Tänzerin zu werden, würde ich nicht empfehlen, das harte Training fordert schon viel ab. Wenn man auf die Bühne will, dann lieber in Richtung Musical. Das ist jetzt gefragt: tanzen und singen zu verbinden.

Was kann man von Ihnen lernen?

Alice Kessler: Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit.

Ellen Kessler: Von mir Disziplin.

Sie haben mit Franz Sinatra gearbeitet, Elvis Presley kennengelernt. Wie waren diese männlichen Stars damals?

Ellen Kessler: Elvis haben wir am Lido in Paris erlebt. Er kam fast jedes Wochenende nach Paris und wir gingen zusammen zum Essen. Eigentlich war er sehr schüchtern und verklemmt.

Alice Kessler: Er hat uns ein bisschen leidgetan.

Ellen Kessler: Manche andere, wie etwa Sammy Davis junior, waren wahnsinnig kollegial und hilfsbereit. Sammy wollte uns sogar seine Arrangements schenken.

Alice Kessler: Mit Marcello Mastroianni, das war 1966 oder 67, haben wir damals jedes Jahr eine Fernsehshow gemacht, der wollte unbedingt mit uns tanzen á la Fred Astaire. Das war sein Traum. Das haben wir dann verwirklicht. Er war toll. Er war ein ganz bodenständiger Mensch.

Alice (links) und Ellen Kessler bei der Premiere im Hansa-Variete-Theater Hamburg im Jahr 2010. Inzwischen treten sie nicht mehr auf. (Foto: Malte Christians/dpa)

Die Männer von damals waren chauvinistischer, als sie heute sein dürfen. Haben Sie Übergriffe erlebt?

Ellen Kessler: Wir mussten uns nie wehren. Ich glaube, weil wir zu zweit waren, wirkten wir immer ein bisschen wie eine Wand. Eine alleine hätte vielleicht Übergriffiges erlebt. Aber zu zweit ...

Alice Kessler: ... haben wir keine schlechten Erfahrungen gemacht. All die Jahre nicht.

Ellen Kessler: Vielleicht signalisierte auch unsere Körpersprache: Lasst uns in Ruhe.

Diese Wand, von der Sie sprechen, war die manchmal hinderlich für die Liebe?

Alice Kessler: Für einen Mann war es sicherlich nicht einfach, mit einem Zwilling liiert zu sein, aber irgendwie hat es dann doch geklappt.

Das Frauenbild hat sich geändert. Was würden Sie heute nicht mehr machen wollen?

Ellen Kessler: Da gibt es eigentlich nichts, wir haben nie etwas machen müssen, was wir nicht wirklich wollten.

An welche Zeit denken Sie besonders gerne zurück?

Ellen Kessler: An die Anfangszeit in Paris, als wir jung waren und ohne Verantwortung. Wir sind jeden Abend nach der Vorstellung durch die Stadt gezogen und haben Paris genossen.

Jetzt sind Sie in München gelandet. Ist die Stadt nicht langweilig für Sie?

Ellen Kessler: Wir kamen nach München, als wir unseren ersten Film gedreht haben "Solang' es hübsche Mädchen gibt" mit Grethe Weiser und Georg Thomalla, das war 1955. Da haben wir gesagt: Wenn Deutschland, dann München, und dann nach Grünwald, das wir durch die Bavaria Film kannten.

Wie sieht jetzt Ihr Alltag aus?

Alice Kessler: Vormittags macht eine von uns immer ihre Gymnastik. Die andere kümmert sich um die Post und kocht zu Mittag. Wir wechseln uns damit ab. Nachmittags habe ich immer meine Lesestunden.

Ellen Kessler: Ich lese gerade "Liebe in Zeiten des Hasses", das spielt in der Zeit von 1933 bis 1939 in Berlin. Da kommen alle Berühmtheiten dieser Zeit vor, die flüchten mussten: Marlene Dietrich, Billy Wilder, die Mann-Familie.

Früher waren Zwillinge etwas Besonderes, es gab weniger als heute. Haben Sie sich als außergewöhnlich empfunden?

Alice Kessler: Eigentlich nicht, für uns war es ganz normal, gleich auszusehen und alles gemeinsam zu machen.

Was würden Sie Zwillings-Eltern raten oder Zwillingen selbst?

Alice Kessler: Auf Eigenständigkeit zu achten. Wir mussten immer genau gleich aussehen, selbst die Haarspangen waren gleich. Unser Vater wollte das so, er war sehr stolz auf seine Zwillinge. Das ist für die Entwicklung eines jungen Menschen aber sicher nicht optimal.

Ellen Kessler: Erst als wir in Paris waren, haben wir angefangen, unsere Kleidung wenigstens in verschiedenen Farben zu kaufen.

Waren Sie sich in Geschmacksfragen immer einig?

Alice Kessler: Wenn sie mehr als 70 Jahre gemeinsam auftreten, dann sind Meinungsverschiedenheiten in Geschmacksfragen nicht zu vermeiden.

Warum soll der Erlös der Versteigerung den Opfern des Ahrtals zu Gute kommen?

Ellen Kessler: Wir haben damals schon spontan gespendet, als das Ausmaß der Flutkatastrophe sichtbar wurde. Die Idee mit den Kostümen entstand bald danach. Aber erst jetzt können wir sie verwirklichen. Auch der Kunst- und Kulturbereich in der Region ist massiv von den Folgen der Katastrophe in Mitleidenschaft gezogen worden: Wir haben uns entschieden, den Wiederaufbau des Kurhauses und des Kurparks in Bad Neuenahr mit dem kompletten Erlös aus der Auktion zu unterstützen.

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