Süddeutsche Zeitung

Neues Kerzengeschäft:"Nach fünf Minuten Traurigkeit stand für mich fest, dass es weitergehen muss"

Claudia Slanzi hat fast 20 Jahre im Geschäft "Der Wachszieher am Dom" gearbeitet. Der Traditionsladen musste schließen - und sie hat einen neuen aufgemacht.

Interview: Julia Schriever

Bei Claudia Slanzi im Laden ist einiges los. Ihre Eltern sind aus Italien angereist. Ihre Mutter kümmert sich ums Buffet, Mozzarella-Spießchen, Mini-Tramezzini und selbstgebackene Plätzchen. Ihr Vater bietet jedem, der den Laden betritt, einen Rotwein an. Ihre Tochter hat eine Freundin mitgebracht. Mittendrin im Gewusel steht Claudia Slanzi, 46. Es ist ihr großer Tag. Nachdem sie Kunst in Bologna studiert hat und fast zwei Jahrzehnte als Verziererin im Geschäft "Der Wachszieher am Dom" angestellt war, eröffnet sie jetzt ihren eigenen Kerzenladen, "Cera-Kerzen" in der Sendlinger Straße 62. Noch am Morgen hat ihr früherer Chef Franz Fürst sie hier besucht, hat ihr Glück gewünscht und ein Geschenk vorbeigebracht: ein kleines hölzernes Jesus-Kreuz. Er hat es vor vielen Jahren von seinem Vater geschenkt bekommen, zur Eröffnung seines Ladens am Dom.

SZ: Was ging in Ihnen vor, als Sie gehört haben, dass das Geschäft "Der Wachszieher am Dom" schließen muss? Sie hatten dort ja fast 20 Jahre gearbeitet - bis der Mietvertrag nicht mehr verlängert wurde.

Claudia Slanzi: Das war erst mal ein Schock. Ich habe Bauchkrämpfe bekommen. Franz Fürst, der Eigentümer des Ladens, hatte sich schon überlegt, wie es mit uns Angestellten weitergehen kann. Er bot an, dass er uns bei einem anderen Kerzengeschäft empfehlen kann. Aber in dem Moment dachte ich mir: nee. Nach fünf Minuten Traurigkeit stand für mich fest, dass es weitergehen muss. Dass ich meinen eigenen Laden aufmachen muss. Es kann doch nicht sein, dass es nur noch Billigkerzen in München zu kaufen gibt.

Ist das ringsum so?

Ja. Ich habe in den letzten Jahren sehr viel über Kerzenqualität gelernt. Eine Kerze muss richtig brennen, muss tropfsicher sein. Sie darf keine Giftstoffe enthalten. Das ist eine Wissenschaft für sich. Es gibt in München Gott sei Dank noch viele Kundinnen und Kunden, die auf Qualität achten. Für sie mache ich weiter. Die handgezogenen Kerzen stellt weiterhin Franz Fürst her, die Verzierungen mache ich.

Wie haben Sie den Laden gefunden?

Ich habe viele Monate gesucht. Ich wollte am liebsten ein kleines Geschäft in der Altstadt. Irgendwann sah ich, dass die Fenster dieses Ladens hier am Sendlinger Tor zugeklebt waren. Ich fragte bei den Nachbarn, da sagten sie: "Die suchen niemanden, die wollen gefunden werden." Sie gaben mir die Nummer der Vermieter, ich rief an und vereinbarte einen Besichtigungstermin. Der Laden ist viel größer, als ich gedacht hatte, er hat hinter dem Verkaufstresen noch einen großen Raum. Aber ich war sofort hin und weg: Es war Liebe auf den ersten Blick. Da entschied ich, dass ich Atelier, Lagerraum und Geschäft hier unterbringen werde.

Sie haben an diesem Montag eröffnet. Wie lief der Start?

Als ich morgens um zehn aufgemacht habe, war ich aufgeregt. Ich habe meinen Nachbarn noch schnell fragen müssen, ob er Wechselgeld für mich hat. Das hatte ich vergessen. In den letzten Wochen hatte ich wahnsinnig viel Arbeit. Ich habe tausend Verträge unterschrieben, alte Möbel gestrichen, gebohrt, Regale aufgehängt, Kerzen ausgeräumt. Ich war mir bis zum Schluss nicht sicher, ob ich rechtzeitig fertig werde. Aber dann dachte ich, es muss nicht alles perfekt sein. Ich bin jetzt total erschöpft, aber auch glücklich. Und das Adrenalin sorgt dafür, dass ich trotzdem neue Kräfte habe. Bisher lief es sehr gut. Gleich am Eröffnungsvormittag kamen acht Kunden vorbei und kauften Trauerkerzen, Christbaumkerzen, gezogene Kerzen in Weiß.

"Der Wachszieher am Dom" war seit 160 Jahren ein Traditionsgeschäft in München. Denken Sie, die Stammkunden werden mit zu Ihnen ans Sendlinger Tor ziehen?

Ja, ich bin da zuversichtlich. In den letzten Monaten haben wir im alten Geschäft rund 1500 Postkarten an die Stammkunden verteilt. "Es geht weiter", stand darauf und die Adresse meines neuen Ladens. Viele Kunden sagten dann: "Gott sei Dank, dann weiß ich, wo ich hingehen muss."

An Weihnachten werden wohl am meisten Kerzen angezündet, erwarten Sie jetzt erstmal eine ruhigere Zeit im Laden?

Ich denke, sehr bald wird schon richtig was los sein. Ab März brauchen die Leute ja wieder Kerzen für Taufe, Kommunion, Hochzeit und Ostern. Ich darf mir also keine Sorgen machen, wenn heute nicht sofort der ganze Laden voll ist. Ich habe schon jede Menge gute Zeichen bekommen, dass alles gut laufen wird: dass ich mich selbständig machen konnte, dass ich diesen Laden gefunden habe. Außerdem starten wir gerade ins Jahr 2023 und die 23 ist meine Glückszahl. Es muss also gut laufen.

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