Ein Konzert mit der Symphonie zu beginnen und erst nach der Pause das Solokonzert folgen zu lassen (eine der üblichen Konzertouvertüren wird obendrein eingespart), entspricht nicht verbreiteten Reflexen der Programmgestaltung. An diesem Abend mit dem Geiger Christian Tetzlaff und dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg unter der Leitung des einstigen Münchner Opern-Generalmusikdirektors Kent Nagano in der Isarphilharmonie ergibt es dramaturgisch aber viel Sinn. Denn was man noch nicht weiß, als man lauscht, wie Nagano und sein Orchester also zum Auftakt Beethovens Achte Symphonie anpacken: Ihr kraftvoller Zugriff temperiert das musikalische Empfinden im prall gefüllten Saal schon mal ideal für die Glut von Tetzlaffs späterer Interpretation des Brahms-Violinkonzerts.
Dabei ist die Darbietung der Symphonie gar nicht durchweg gelungen. Im vierten Satz driften die Orchesterinstrumente zwischendurch merklich auseinander, bevor man weitgehend synchron dem Ende entgegenstürmt. Insgesamt jedoch ist schön, wie Nagano mit zwar sparsamer, aber dezidierter Gestik auf prägnante Akzentuierung und ordentlichen Vortrieb zielt. Das passt gut zu dieser von zwei Allegro-vivace-Sätzen eingerahmten Symphonie, in der auch der zweite Satz nicht langsam, sondern ein Allegretto scherzando ist und das Menuett kein höfisches Getrippel, sondern eher dem erdigen Tanzboden entsprungen.
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Dann aber lässt einen Tetzlaffs Brahms-Konzert den Beethoven fast vergessen. Tetzlaff legt gleich bei seinem ersten Einsatz mit so mächtigem Strich los, dass schon nach wenigen Sekunden gerissenes Rosshaar um seine Bogenspitze fliegt. Natürlich wird das Feuer des Finalsatzes später ebenso flackern, wird die innige Ruhe des Adagios, von Tetzlaff mit geschlossenen Augen vorgetragen, genießerisch sein. Aber im Grunde enthält bereits der erste Satz in seiner Ausdrucksvielfalt all jene Merkmale, die diese Interpretation ausmachen.
Tetzlaffs energische Doppelgriffe haben die Kraft (und die Haltung) eines Rockgitarrenriffs. Die nachdenklichen Passagen, die er oft recht vibratoarm spielt, sind von geradezu sakraler Kühle, seine zauberische Solokadenz wirkt fast gläsern fragil. Dann wiederum singt sein Instrument die schönsten Melodien mit einem breit tragenden Ton voller Wärme. In jeder Ausdrucksrichtung strebt Tetzlaff nach dem Maximum - und Nagano folgt mit dem Orchester. Mehr Intensität geht nicht.