Missbrauch in der katholischen Kirche:243 Priester unter Verdacht, nur einer angeklagt

Missbrauch in der katholischen Kirche: Zum Gebet gefaltete Hände von kirchlichen Vertretern in München.

Zum Gebet gefaltete Hände von kirchlichen Vertretern in München.

(Foto: Alessandra Schellnegger/Alessandra Schellnegger)

Weil viele Fälle von Missbrauch in der katholischen Kirche verjährt oder mutmaßliche Täter gestorben sind, tun sich die Staatsanwaltschaften nach einem Bericht des bayerischen Justizministeriums schwer mit der Strafverfolgung.

Von Annette Zoch

Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) hat Betroffene von sexuellem Missbrauch ausdrücklich dazu aufgefordert, Strafanzeige zu stellen. Zwar seien Missbrauchsgutachten für die Aufarbeitung innerhalb der Kirche und für die öffentliche Debatte wichtig und bedeutsam, sagt Eisenreich zur SZ: "Für die Strafverfolgung sind die Ergebnisse dieser Gutachten aber nur sehr begrenzt nutzbar." Durch die sehr langen Untersuchungszeiträume von 1945 an sei ein Teil der mutmaßlichen Täter bereits verstorben, vieles verjährt. "Das Wichtigste für die Strafverfolgungsbehörden sind Anzeigen von Geschädigten und Hinweise von Zeugen", so Eisenreich. "Ich kann an Betroffene sexuellen Missbrauchs deshalb nur appellieren: Melden Sie sich bei der Justiz, zeigen Sie die Taten an."

Am Donnerstag hat Eisenreich dem Bayerischen Landtag einen Bericht vorgelegt zur Frage, welche strafrechtlichen Konsequenzen die bayerische Justiz aus Missbrauchsgutachten der katholischen Kirche gezogen hat, konkret aus der bundesweiten MHG-Studie von 2018, aus dem ersten Münchner Gutachten von 2010 und aus dem Anfang 2022 veröffentlichten Münchner Missbrauchsgutachten.

Laut dem Bericht, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt, wurden danach mehr als 800 Fälle staatsanwaltschaftlich überprüft. Bei 243 Fällen davon seien Kleriker die Verdächtigen, zu einer Anklage kam es dann aber nur in einem Fall. Der Grund: Viele Fälle waren verjährt oder die mutmaßlichen Täter waren gestorben. In einer Vielzahl von Fällen hätten bayerische Staatsanwaltschaften in der Vergangenheit bereits unabhängig von Gutachten Verfahren eingeleitet, die auch zu Verurteilungen führten. In der Erzdiözese München und Freising habe zumindest in 24 Fällen aus dem Münchner Gutachten von 2022 bereits eine strafrechtliche Verurteilung vorgelegen.

Eisenreich will Gesetzeslücken bei der Aufsichtspflicht schließen

Bislang ist München die einzige bayerische Diözese, für die ein Missbrauchsgutachten existiert. Eisenreich nahm deshalb auch die 2018 veröffentlichte deutschlandweite MHG-Studie als Grundlage, um bei bayerischen Staatsanwaltschaften nachforschen zu lassen. Aus den Daten der MHG-Studie seien für Bayern 204 noch lebende Kleriker namentlich identifizierbar gewesen. Gegen 148 davon wurden Vorermittlungs- bzw. Ermittlungsverfahren eingeleitet. Beim Rest der Fälle habe es entweder bereits ein Verfahren gegeben oder es habe keine strafrechtlich verfolgbare Straftat vorgelegen. Und von den 148 Verfahren seien 139 entweder wegen Verjährung eingestellt worden oder weil sich der Verdacht nicht erhärten ließ. Sieben Verfahren seien an Staatsanwaltschaften außerhalb Bayerns übergeben worden.

Das 2010 für München erstellte erste Gutachten wurde nicht veröffentlicht und erst 2019 auf Nachfrage des Justizministeriums der Staatsanwaltschaft übergeben, heißt es in dem Bericht weiter. Dies, so kritisieren die Landtags-Grünen, sei ein grober Fehler gewesen. "Fakt ist: Die Strafverfolgungsbehörden hätten ermitteln müssen. Sie sind dazu gesetzlich verpflichtet, sobald ein Verdacht auf eine Straftat besteht. Dieser bestand definitiv seit dem Gutachten von 2010", sagt Gabriele Triebel, religionspolitische Sprecherin der Grünen. "Die Staatsanwaltschaften hätten dieses Gutachten aktiv anfordern und ermitteln müssen."

Die Verjährungsfristen sind inzwischen deutlich nach oben korrigiert worden. Bei Kindesmissbrauch beträgt die Verjährung heute 20 Jahre und die Frist beginnt erst mit dem vollendeten 30. Lebensjahr des Betroffenen. Eisenreich sieht aber eine gesetzliche Schutzlücke in Fällen, in denen Aufsichtspersonen - zum Beispiel in Kirchen, Vereinen oder Institutionen - ihre Pflichten grob verletzen. Bei der Justizministerkonferenz Anfang Juni forderte er deshalb, diese Lücke im Strafrecht zu schließen.

Nach geltendem Recht könnten Personen, die sexuellen Missbrauch von Kindern durch Tun oder Unterlassen fördern, nur dann strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, wenn ihnen dabei Vorsatz nachgewiesen werden kann. Eisenreich: "Bei einer Körperverletzung kann hingegen bereits einfache Fahrlässigkeit zu Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren führen. Es ist unverständlich, warum der strafrechtliche Schutz vor Körperverletzungen an dieser Stelle weiter reicht als bei sexuellem Missbrauch von Kindern."

Einen Appell an die Kirche richtet der Justizminister beim Umgang mit Betroffenen: "Hier erwarte ich von der Kirche eine deutliche Verbesserung. Die Betroffenen müssen in den Mittelpunkt gerückt werden, sie müssen transparent informiert und unabhängig beraten werden", sagt Eisenreich der SZ. "Wenn die Kirche das selbst nicht schafft, dann muss der Staat hier klare Verbesserungen einfordern."

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