Süddeutsche Zeitung

Queer-Gottesdienst in München:"Arbeiten Sie als Maulwurf, aber machen Sie keine Hügel!"

Seit 20 Jahren feiert die queere katholische Community in München einmal im Monat einen Gottesdienst - unter strengen Auflagen. Denn die Szene soll möglichst unsichtbar bleiben. Zum Jubiläum kommt einer, der das ändern könnte: Kardinal Reinhard Marx.

Von Andrea Schlaier

Sonntagabend im Café im schwulen Kulturzentrum Sub an der Müllerstraße. Die Discokugeln an der Decke blinken warm im Rhythmus zu sanftem 70er-Jahre-Pop. Die Stühle um die kleinen Bistro-Tische sind nur spärlich besetzt. Erst in eineinhalb Stunden wird es in dieser Männerwirtschaft kaum mehr einen freien Platz geben. Die kleine Gruppe, die vorne links neben dem Eingang vor dem großen Schaufenster zur Straße sitzt, ist dann schon wieder gegangen.

Es sind katholische Christen, die noch auf ein Bier sitzengeblieben sind, nachdem sie sich zusammen mit zehn anderen in einem der funktionalen Gruppenräume im Bauch des Kulturzentrums gemeinsam beim "Erzählcafé" erinnert haben. An die Zeit vor 20 Jahren, an Diskriminierungen, an eine Idee und deren Umsetzung.

Und an den guten Rat, den ein Weihbischof damals dem Aids-Seelsorger der Erzdiözese München und Freising mit auf den Weg gegeben hatte: "Arbeiten Sie als Maulwurf, aber machen Sie keine Hügel!" Es war die Zeit, die der Münchner Pastoralreferent Gerhard Wachinger und der katholische Religionslehrer Michael Brinkschröder für reif befanden, endlich ein pastorales Angebot für Homosexuelle in der katholischen Kirche zu bieten: den "Queer-Gottesdienst", der von da an jeden Monat stattfinden sollte. 20 Jahre später wird ihn an diesem Sonntag mit Kardinal Reinhard Marx erstmals ihr Erzbischof in St. Paul zelebrieren.

Für den 70-Jährigen, einer aus der kleinen Runde am vorderen Tisch, ist Marx längst nicht mehr sein Erzbischof. Der freundliche ältere Herr im grauen Strickjanker ist zu den liberalen Altkatholiken gewechselt. "In der katholischen Kirche hätte ich es nicht mehr erlebt, meinen Mann heiraten zu dürfen", sagt er und streckt einem lächelnd den Finger samt Trauring entgegen. Aber Respekt für den Schritt des Kardinals, den habe er.

Michael Brinkschröder sitzt am anderen Tischende. Er hat sich kürzlich in der ARD-Dokumentation "Wie Gott uns schuf" als einer von hundert gläubigen queeren Menschen, die im Dienst der katholischen Kirche stehen, geoutet. Nach kirchlichem Arbeitsrecht mehr als ein Wagnis. Wer sich - öffentlich - bekennt, fliegt. Auch davon erzählt der Film.

Michael Brinkschröder spricht von "großer Freude", dass Marx kommt. Viele Jahre hätten die Verantwortlichen in der Erzdiözese darauf abgezielt, den queeren Gottesdienst unterhalb der Wahrnehmungsschwelle zu halten. "Wir durften in den ersten Jahren keine Interviews geben, praktisch nur in Szene-Magazinen auf uns aufmerksam machen, und die Münchner Kirchenzeitung hat 20 Jahre nicht über uns berichtet." Mit seinem Besuch schaffe der Erzbischof Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit.

Wie verunsichert die Community nach 20 Jahren noch immer ist, zeigt sich, als wenige Tage vor dem Erzählcafé, bei dem auch zwei Vertreter der Amtskirche zugegen sind, entschieden wird, sich doch ohne das Ohr der Presse auszutauschen. Deshalb erzählt Gerhard Wachinger, nachdem auch die kleine Gruppe am Tisch ihr Bier ausgetrunken hat und gegangen ist, allein von der Bewegung.

"Wir haben uns damals selbst ermächtigt zu tun, was wir für richtig hielten", sagt der schlanke Mitfünfziger, schwarze Jeans, schwarzes T-Shirt mit regenbogenfarbenem Queer-Gottesdienst-Logo. Eine Initiative von unten, die möglich machen wollte, wozu die offizielle Kirche sich außer Stande sehe. "Die wichtigste Motivation war, zu zeigen, dass man katholisch bleiben kann, auch wenn man entdeckt, dass man schwul oder lesbisch ist."

Die Teilnehmer der ersten Stunde, es kommen bis heute zumeist Männer, im Schnitt um die 40 pro Messe, hätten oft massive Diskriminierungserfahrungen gemacht. "Die hatten das Bedürfnis, in der Kirche einen Ort zu finden, wo das vorkommen darf und das auch bearbeitet werden kann."

"Wir haben das getan, was wir im Evangelium gelesen haben."

Nach den ersten queeren Gottesdiensten in Frankfurt und Münster in den 1990er Jahren zogen die Münchner 2002 nach - ohne die Amtskirche um ihr Okay zu bitten. "Wir haben sieben Priester gefunden, die mitgemacht und mehrere Pfarrer, die uns angeboten haben, die Kirche aufzusperren." Wachinger nippt an seinem Bier. "Und wir haben das getan, was wir im Evangelium gelesen haben: Jesus is(s)t mit den Menschen, mit denen die Pharisäer nicht zusammen sein wollen."

Treffpunkt war die Neuperlacher Stephanskirche, gefeiert wurde nach traditioneller Form. Als nach dem vierten Gottesdienst ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung erschien, habe sich der Seelsorge-Referent der Erzdiözese eingeschaltet und alle Priester und Wachinger zu sich gebeten. "Er hat uns Vorgaben gemacht, woran wir uns in den Gottesdiensten zu halten haben. Das war für uns im Großen und Ganzen akzeptabel."

Auch, dass sie nicht von einem queeren Gottesdienst sprechen durften, sondern von einer "Abendmesse". Ein Outing schwuler und lesbischer Mitarbeitenden vor dem Altar solle es keinesfalls geben. "Das", sagt, Wachinger, "haben wir ein bisschen weiter ausgelegt." Er schaut lächelnd auf. Das Discolicht blinkt ihm ins Gesicht.

Es war und ist die Lebenswirklichkeit, die das Organisationsteam, das heute aus zehn Leuten besteht, vor dem Altar in Beziehung zu den biblischen Texten setzt: zu Ausgrenzungen, zu schwul-lesbischen Partnerschaften. "Es geht um die Suche nach Freundschaft, nach Liebe, nach Gott. Und da tut es einfach gut, nicht 'übersetzen' zu müssen, was gepredigt oder gebetet wird, sondern es so formulieren und hören zu können, wie es gemeint ist." Der 55-Jährige gibt ein Beispiel: "Da betet einer für seinen Mann oder dankt für die Liebe zu ihm und in der Predigt werden Lesben, Schwule, Queers benannt. Alles mit großer Selbstverständlichkeit."

Das Kommen des Erzbischofs wird als starkes Signal gewertet

Konservative Kräfte aus der Nachbarschaft des neu gegründeten Neuperlacher Pfarrverbands seien es dann gewesen, die dem queeren Team nach sieben Jahren "massiv Probleme" bereitet hätten, erzählt der Pastoralreferent, der heute in der Seniorenseelsorge im Münchner Norden arbeitet. Die Gruppe wurde verdrängt. Der Seelsorge-Referent habe ihnen geholfen, in St. Paul an der Schwanthalerstraße ein neues Domizil zu finden.

Wachinger wertschätzt den Kollegen auch dafür bis heute. Nach außen sollte sehr vieles nicht dringen. Nach außen gilt der katholische Katechismus, eine Art Handlungs-Unterweisung. Derzufolge gilt Homosexualität als unheilbare Krankheit und "traurige Folge einer Zurückweisung Gottes".

Doch auf Konfrontation will Wachinger sich in dem, was er über die katholische LGBTIQ+-Gemeinde in München und ihre Beziehung zur Amtskirche sagt, nicht einlassen. Er bevorzugt die Moderation. "Dinge müssen von unten her wachsen, bevor sie anerkannt werden." So ordnet er auch die Zusage von Marx ein, den Festgottesdienst am 13. März zu zelebrieren. Er selbst habe ihn im Herbst dazu eingeladen, kurz nachdem der Erzbischof bekundet habe, auf die Menschen zugehen zu wollen. "Er sagte zu und bat um ein Treffen mit Lesben, Schwulen, Queers und Trans, das im Oktober dann auch stattgefunden hat."

Der Besuch zur Messe lasse sich gar nicht hoch genug einschätzen. "Es ist nicht entscheidend, was er sagt. Sein Kommen ist eine Riesen-Anerkennung." Michael Brinkschröder, der schon vor einer Stunde das Café im Sub verlassen hat, spricht von einem Signal "dass in der Kirche niemand Berührungsängste im Umgang mit queeren Menschen zu haben braucht".

20 Jahre queerGottesdienst München, Sonntag, 13. März, 18.30 Uhr, St. Paul, St.-Pauls-Platz 11 ( https://www.queergd.de).

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