Tod von Papst FranziskusGemischte Gefühle beim Blick auf die Bilanz

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In zehn Etappen mit dem Fahrrad von München nach Rom: Richard Kick (links) und Betroffene sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche haben Papst Franziskus am Ziel ihrer Pilgerreise vor zwei Jahren ein durchlöchertes Herz überreicht.
In zehn Etappen mit dem Fahrrad von München nach Rom: Richard Kick (links) und Betroffene sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche haben Papst Franziskus am Ziel ihrer Pilgerreise vor zwei Jahren ein durchlöchertes Herz überreicht. (Foto: Robert Kiderle/EOM)

Münchens Kirchen tragen Trauer. Geläut und Gedenkgottesdienste erinnern an Papst Franziskus. Missbrauchsbetroffene, ein Jesuit und ein Queerseelsorger blicken persönlich, aber auch kritisch auf das Pontifikat.

Von Andrea Schlaier

In allen katholischen Kirchen Münchens und der gesamten Erzdiözese München und Freising wird am Mittwoch und Donnerstag und damit insgesamt drei Tage in Folge um 16 Uhr Trauergeläut erklingen. Zum Gedenken an den am Ostermontag gestorbenen Papst Franziskus. Außerdem werden alle Gebäude von Kirche, Freistaat und Stadt auf halbmast beziehungsweise mit Trauerflor beflaggt. Der Tod des Kirchenoberhaupts ist damit auch in der Landeshauptstadt sehr präsent.

Für Robert Köhler ist Franziskus ganz persönlich noch sehr real. Er hat vor zwei Jahren eine Fahrrad-Pilgertour von Betroffenen sexuellen Missbrauchs in der Erzdiözese München und Freising von München nach Rom mitorganisiert. Auf dem Petersplatz überreichte Köhler mit seiner Gruppe Franziskus die Skulptur eines durchlöcherten Herzens – als Ausdruck der Verletzungen und Mahnmal gegen das Vergessen. „Ich habe den Papst bei dem Zusammentreffen als sehr, sehr zugewandt erlebt“, sagt Köhler, der wesentlich dazu beigetragen hat, den Missbrauch in Kloster Ettal aufzuarbeiten und sich heute in der Aufarbeitungskommission der deutschen Ordensgemeinschaften engagiert.

Robert Köhler erinnert sich an einen sehr zugewandten Papst. Vor zwei Jahren hat er ihn mit einer Gruppe Missbrauchsbetroffener aus dem Erzbistum München und Freising bei einer Audienz in Rom besucht.
Robert Köhler erinnert sich an einen sehr zugewandten Papst. Vor zwei Jahren hat er ihn mit einer Gruppe Missbrauchsbetroffener aus dem Erzbistum München und Freising bei einer Audienz in Rom besucht. (Foto: Stephan Rumpf)

„Wir haben ihm bei der Audienz auf dem Petersplatz gesagt, er soll mithelfen, dass die Priester nicht vor uns davonlaufen. Auf Deutsch.“ Franziskus habe nachgedacht. „Und dann hat er uns das Signal gegeben, verstanden zu haben. Wir haben gemerkt, er hört zu, hat aber gleichzeitig zu erkennen gegeben, wo seine Grenzen sind.“

Das Missbrauchsthema sei bei Franziskus angekommen, trotzdem hätte er nach Köhlers Dafürhalten noch konsequenter handeln können. Gleichzeitig sehe er die Schwierigkeit, in den großen Machtapparat Kirche hineinzuwirken, „über alle Länder hinweg, mit dem ganzen Gegenwind, das ist wahnsinnig schwierig“. Dass Franziskus 2019 die Bischöfe zu einem Missbrauchsgipfel gerufen habe, wertet Köhler als starkes Zeichen nach innen und klare weltweite Positionierung. „Bei Ratzinger wäre das anders gewesen, weil er diese Kircheninstitutionen vielmehr im Vordergrund gesehen hat.“

„Arrivederci, Papa Francesco“

Richard Kick hat auf seinem Instagram-Account ein Foto gepostet, wie er bei dieser Rad-Pilger-Audienz den Papst im Stehen stützt,  „Arrivederci, Papa Francesco“ steht darunter. Kick ist Sprecher des Betroffenenbeirats der Erzdiözese. „Für mich war dieser Papst einer der menschlichsten in der gesamten Ära von Päpsten, der etwas übrig hatte für Menschen, die arm, die in Not waren.“ Auf diesen Kern müsse sich die Kirche besinnen, „sonst hat sie keine Chance“.

Wolfgang Rothe blickt mit „gemischten Gefühlen“ auf das Pontifikat zurück. Der Münchner Priester ist Queerseelsorger in der Erzdiözese und Mitglied im Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz. „Er hat die Thematik queerer Menschen zur Sprache gebracht und damit Hoffnungen geweckt, dass sich an der menschenverachtenden Lehre der katholischen Kirche etwas ändert.“ Das sei bisher nicht der Fall. „Ich hätte mir von ihm gewünscht, dass er zumindest ansatzweise Anstrengungen unternimmt, um die wirklich offenkundig menschenrechtswidrige und menschenverachtende Sexualmoral der katholischen Kirche auf den Prüfstand zu stellen und dann vielleicht auch zu ändern.“

Priester Wolfgang Rothe hat 2021 bei der Aktion "#liebegewinnt" ein queeres Paar gesegnet – als dies der Vatikan noch untersagt hatte.
Priester Wolfgang Rothe hat 2021 bei der Aktion "#liebegewinnt" ein queeres Paar gesegnet – als dies der Vatikan noch untersagt hatte. (Foto: Felix Hoerhager/dpa)

Rothe hatte sich im Frühjahr 2021 in München an der Aktion „#liebegewinnt“ beteiligt, und queere Paare innerhalb eines Gottesdienstes gesegnet – als Reaktion auf ein Verbot aus dem Vatikan, der solche Segnungen unter gleichgeschlechtlichen Paaren untersagt hatte. Zwei Jahre später dann die Kehrtwende: Homosexuelle Paare können seit Dezember 2023 ganz offiziell in der Kirche gesegnet werden – allerdings nicht innerhalb eines Gottesdienstes. „Damit hätte ich nie gerechnet“, sagt Rothe anerkennend. „Das hat nachhaltige Spuren hinterlassen, was man schon allein am Widerstand erkennen kann, den diese Erlaubnis in der Weltkirche hervorgerufen hat.“

Er sei auch sehr dankbar dafür, was Franziskus dadurch in Gang gesetzt habe. Die Öffnung habe in den Gemeinden für Diskussionen gesorgt. „Das ist gut, weil das ganze Thema in der Vergangenheit ja tabuisiert wurde, also weder Bischöfe noch Priester haben sich in vielen Fällen getraut, öffentlich über dieses Thema zu sprechen.“

Martin Stark war in Sankt Michael am Ostermontag gerade mitten im Hochamt, als ihm der Chordirektor das Handy mit der Todesmeldung reichte. „Ich bin dann raus in die Sakristei und hab’ mich erst mal vergewissert, dass das stimmt“, sagt der seelsorgerische Chef der katholischen Jesuitenkirche. Sein Mitbruder verkündete die Nachricht daraufhin in der Predigt, „man hat gemerkt, dass das für alle ein Schock war, wie ein Raunen ging durch die Kirche“.

Pater Martin Stark ist seelsorgerischer Leiter von St. Michael und Jesuit wie der verstorbene Papst. Sich zum Papst wählen zu lassen, verstoße eigentlich gegen die Ordensregeln.
Pater Martin Stark ist seelsorgerischer Leiter von St. Michael und Jesuit wie der verstorbene Papst. Sich zum Papst wählen zu lassen, verstoße eigentlich gegen die Ordensregeln. (Foto: Robert Haas)

Jorge Mario Bergoglio war der erste Jesuit im Papstamt, das sei eigentlich gegen die Ordens-DNA, sagt Stark. Denn damit verlasse er den Ordensgehorsam. „Das ist für uns eine Zwickmühle.“ So richtig hätten die Jesuiten auch nicht gewusst, was mit Franziskus auf sie zukomme. Er sei im Orden gefürchtet gewesen als Saubermann. „Er hatte dann ja auch in der Kurie das Image des Aufräumers, der die alten Zöpfe abschneidet – aber das ging ja in die richtige Richtung.“ Den Jesuiten in Franziskus habe unter anderem in seiner Nahbarkeit erkannt. „Auf Augenhöhe hat er Kontakt zu den Menschen gesucht.“  Er habe eine Menge angestoßen und „freies Sprechen in der Kirche ermöglicht, was vorher so nicht möglich war“.

Am Freitag, 25. April, dem Vortag der Beisetzung, wird in allen Pfarreien des Erzbistums ein Requiem für Franziskus gefeiert. Kardinal Reinhard Marx zelebriert am Sonntag, 27. April, um 17 Uhr im Münchner Liebfrauendom einen Gedenkgottesdienst.

Münchner Kardinäle im Konklave

Wenn man so will, haben die Münchner Erzbischöfe einen Stammplatz beim Konklave, dem Gremium, das den nächsten Papst wählt. Mit der Ernennung von Erzbischof Franziskus von Bettinger – er war von 1909 bis 1917 Erzbischof – zum Kardinal am 25. Mai 1914 durch Papst Pius X. wurde der erste amtierende Münchner Erzbischof Mitglied des Kardinalskollegiums. Seitdem wurden bisher alle Münchner Erzbischöfe ins Kardinalskollegium aufgenommen, so Bettingers Nachfolger Michael von Faulhaber, Joseph Wendel, Julius Döpfner (er wurde bereits als Bischof von Berlin zum Kardinal ernannt), Joseph Ratzinger, Friedrich Wetter und Reinhard Marx.

Im Erzbischöflichen Archiv verweist man darauf, dass es seit 1890 bereits diverse Anläufe gegeben habe, einen amtierenden bayerischen Bischof mit dem Kardinalsrang auszuzeichnen. Das kirchliche Interesse an einer wirkungsvolleren Vertretung an der Kurie in Rom und der Wunsch nach einer stärkeren Beeinflussung der kurialen Deutschlandpolitik von politischer Seite ergänzten sich.

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SZ PlusVon Oliver Meiler und Annette Zoch

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