Süddeutsche Zeitung

Diözesanrat:Kirche soll sich stärker gegen Wohnungsnot engagieren

Zudem fordern die katholischen Laien bei ihrer Herbstversammlung, dass die Kirche den Profit bei eigenen Immobilien hintanstellen soll.

Von Anna Hoben

"Wohnungsbau ist Dombau, Wohnungssorge ist Seelsorge." Das hat Kardinal Julius Döpfner gesagt, der nach dem Zweiten Weltkrieg ein katholisches Wohnungswerk zum Wiederaufbau von Würzburg gründete, später war er Erzbischof von München und Freising. Der Satz fällt ein paarmal am Samstag bei der Herbstversammlung des Diözesanrats im Erzbistum München und Freising, der höchsten Vertretung der katholischen Laien. Einen Vormittag diskutieren sie im Jugendgästehaus Salesianum über Wohnungsnot und die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum. Und sind sich weitgehend einig: Beim Engagement der Kirche in dieser Sache ist noch viel Luft nach oben.

In Workshops beleuchten die Teilnehmer verschiedene Facetten. Die einen beschäftigen sich mit dem Bodenrecht, die anderen mit Wohnraum für junge Menschen in Gebäuden der Pfarrei. Es geht um Senioren, um genossenschaftliche Formen des Zusammenlebens und um das Wachstum der Region. Und es geht darum, welche Verantwortung aus dem Immobilienbesitz der Kirche erwächst. "Geben ist seliger als nehmen!?", heißt der Workshop, den Andrea Meiler leitet; sie ist stellvertretende Finanzdirektorin der Erzdiözese und seit Kurzem auch für die Immobilienabteilung zuständig. Die Teilnehmer haben viele Fragen: Was kann die Kirche beitragen zur Entspannung des Wohnungsmarktes? Wie transparent sind die Übersichten über Bestand, Leerstand, Neuerwerb durch Schenkungen oder Erbschaften, wie transparent ist die Vergabe von Wohnungen? Wie kann die Kirche leer stehende Immobilien sinnvoll umnutzen? Wie können Instrumente wie Erbpacht klug genutzt werden?

Viele beklagen mühsame Abläufe, Unbeweglichkeit und mangelnde Flexibilität. Die Teilnehmer wünschen sich von der Kirche eine Transparenzoffensive, zudem müsse das starre Stiftungsrecht, welches den Umgang mit dem Vermögen regelt, unter die Lupe genommen und für eine Änderung geworben werden. Vor allem aber beschäftigt die Laien die Gewinnmaximierung - und wie sie mit den sozialen Grundsätzen der Kirche zusammengehen soll. "Kann es wirklich sein, dass die Kirche Immobilien und Grundstücke meistbietend veräußert?", fragt einer. Oder dass die Kirche hinter dem zurückstehe, was mittlerweile in der Politik Usus sei, wie es Ernest Lang aus Neufahrn bei Freising ausdrückt. "Es kann nicht sein, dass die Stadt München sozialer ist als die Kirche." Es sei problematisch, wenn die Kirche die üblichen Marktmechanismen übernehme.

Lang berichtet von einem konkreten Beispiel aus seiner Gemeinde. Man habe dort angeregt, dass das Katholische Siedlungswerk ein Grundstück bebaue, über welches das Ordinariat zu entscheiden hatte. Die Antwort, die man erhalten habe: Das Siedlungswerk verwalte nur noch seine Bestände, baue aber nicht mehr selber. Später habe es dann geheißen, das Siedlungswerk könne sich ja bewerben wie jeder andere Investor - wer am meisten biete, gewinnt. "Da frage ich mich schon, was das zur Glaubwürdigkeit der Kirche beitragen soll." Von Glaubwürdigkeit ist immer wieder die Rede. Mehr noch, die aktuelle Situation auf dem Wohnungsmarkt könnte auch eine Chance für die Kirche sein, sich zu profilieren und Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, finden manche. Wie das gehen kann, sieht man etwa am Beispiel des Erzbistums Köln, das eine Offensive zum Bau von 632 neuen Wohnungen gestartet hat.

Immerhin: Im Hinblick auf das Bieterverfahren finde im Ordinariat gerade ein Umdenken statt, versichert Andrea Meiler. Später, bei einer Podiumsdiskussion, berichtet sie etwa von Überlegungen, ein Bauprojekt mit einer Genossenschaft zu starten. Der bayerische Bauminister Hans Reichhart (CSU) sorgt sich in seinen Statements vor allem um die mittleren Einkommensschichten. Gefragt, was die Staatsregierung für diese tue, verweist er auf Baukindergeld und Einheimischenmodelle.

Die leidenschaftlichste Rednerin ist Münchens Ex-Stadtbaurätin Christiane Thalgott, 77 Jahre alt, aber mit junger Stimme und kämpferischem Geist. Frage in den Saal: "Wer von Ihnen vermietet ein Zimmer an Studenten?" Sie tue das, an eine Sizilianerin nämlich, "die so laut telefoniert, dass man meint, sie spricht direkt mit Sizilien". Das Wohnungsproblem sei ein Generationenproblem, und jeder könne etwas tun. Sie appelliert an die Kirche, ihre Flächen für Wohnungsbau zu nutzen. "Sie haben die Verpflichtung, ihre Grundstücke für die Menschen herzugeben, nicht für die Rendite." Spontaner Applaus. Es brauche etwa ein kommunales Vorkaufsrecht nach Ertragswert statt nach Marktpreis.

Viel zu tun also, für die Politik, aber auch für Institutionen wie die Kirche. Wie Hans Tremmel, der Vorsitzende des Diözesanrats, an die Adresse des Ordinariats sagte: "Wir erwarten, dass die Luft nach oben nun auch gefüllt wird."

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SZ vom 14.10.2019/vewo
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