Als die Schauspielerin Annemarie Fischer ihre Memoiren schreibt, schildert sie den Mann, der vielleicht die Liebe ihres Lebens war, mit schwärmerischen Worten: "Ein großer, ein leidenschaftlicher, ein sehr guter Liebhaber" sei er gewesen, ein "Vollblutmann", ein "Naturereignis", und "er hatte viel Spaß an ,der Sache'". Dieses amouröse Talent, so glaubt sie, komme nicht von ungefähr: "Ich bin der Meinung, dass sein Können, seine Kunst, seine spontane geistige, seine schöpferische Leistung nicht zu trennen ist von seiner Qualität als erotischer Mensch." Und dann dieses Lächeln! "Wunderschön". Wenn er lächelte, war er "der schönste Mann der Welt".
Von wem ist da die Rede? Die wenigsten Leser werden es erraten, zumal Annemarie Fischer heute so gut wie vergessen ist. Die Antwort lautet: Der Top-Liebhaber, der schönste Mann der Welt ist Karl Valentin. Ja, wirklich, die Memoiren-Schreiberin spricht von Valentin, dem zaundürren Meister des verdrehten Humors, dem unvergleichlichen Komiker von der traurigen Gestalt. Aber wer, zum Kuckuck, ist Annemarie Fischer? Und was hat sie mit Karl Valentin zu tun? Diesen Fragen widmet sich der Schriftsteller Alfons Schweiggert in seinem Buch "Karl Valentins fesche Mizzi", das soeben im Allitera-Verlag erschienen ist.
Wer sich ein wenig in Valentins Vita auskennt, weiß vielleicht, dass die Beziehung mit seiner kongenialen Bühnenpartnerin Liesl Karlstadt mehrmals in die Krise geriet, nicht zuletzt, weil die beiden auch amourös verbandelt waren, wiewohl Valentin anderweitig verheiratet war. Karlstadt litt sehr darunter, gewissermaßen die Zweitfrau zu sein, und als auch noch Valentins "Panoptikum", in das sie ihre Ersparnisse gesteckt hatte, Pleite ging, geriet sie vollends aus dem Lot. Nervenzusammenbruch, Depressionen. Im Frühjahr 1935 sprang sie in die Isar, um ihr Leben zu beenden. In letzter Minute wurde sie gerettet, die Probleme aber blieben. Immer wieder musste sie sich in psychiatrische Behandlung begeben, auch ihre physische Gesundheit war angeschlagen. Als Valentin im Juli 1939 im Färbergraben seine "Ritterspelunke" eröffnete, quasi eine Neuauflage des "Panoptikums", war Karlstadt krank und folglich nicht in der Lage, auf der dortigen Brettlbühne mitzuspielen. Als Ersatz präsentierte Valentin eine 21-jährige attraktive Frau, die als Schauspielerin und "reizende Soubrette" (Programmheft) auftrat. Valentin stellte sie als die "fesche Mizzi" vor. Ihr bürgerlicher Name war Annemarie Fischer.
Der Vater förderte die Karriere, Kritiker bescheinigten der jungen Frau Talent
Eine Anfängerin war die junge Dame nicht. Sie hatte bereits Bühnenerfahrung, die sie vor allem ihrem Vater verdankte. Was Annemarie Fischers Herkunft betrifft, stützt sich Schweiggert im Wesentlichen auf die Aufzeichnungen ihrer älteren Schwester, der im Jahr 2004 gestorbenen Erika Fischer. Diese, so Schweiggert, habe ihm das 187-seitige Typoskript anvertraut, damit die Öffentlichkeit erfahre, "wie es wirklich war". Erika Fischers Notizen zufolge war es vor allem der Vater, der in Ludwigsburg geborene Josef Ludwig Fischer, der das musische Talent seiner beiden Töchter förderte. Fischer war bald nach der Hochzeit 1912 zusammen mit seiner Frau Margarethe nach München gezogen, wo er als Kunstexperte und Musikkritiker tätig war und schließlich ein Tourneetheater, die "Münchener Musikbühne", gründete. Die im Dezember 1917 geborene Annemarie erhielt ebenso wie ihre Schwester Gesangs-, Ballett- und Klavierunterricht, bereits als Zwölfjährige stand sie auf der Musikbühne ihres Vaters. In den folgenden Jahren war die Teenagerin in diversen Opern und Operetten zu sehen, die Kritiker bescheinigten ihr Talent, ja sogar als "aufgehender Stern am Theaterhimmel" wurde sie gefeiert.
Im Jahr 1982, zum 100. Geburtstags Karl Valentins, publizierte Annemarie Fischer im Moewig-Verlag ihre Memoiren, in denen sie mit Blick auf den Meister von einem Gleichklang der Seele schwärmt, wohingegen sie Liesl Karlstadt, die Rivalin, als eifersüchtige Zicke schildert, die ihrem Geliebten das Leben sauer machte. "Mein Leben mit Karl Valentin" lautet der Titel des Buchs, das nachweisbar etliche Unwahrheiten und Ungereimtheiten enthält. So kann man auch nicht sicher sein, ob es stimmt, dass sie Valentin bereits im Alter von zwölf Jahren erstmals begegnet ist. "Ich fühlte mich außerordentlich zu ihm hingezogen, noch ehe wir die ersten Worte miteinander gewechselt hatten", schreibt sie. Um 1932, da war sie knapp 15, sei aus der Bekanntschaft mit dem 35 Jahre älteren Komiker eine Liebesaffäre geworden. Man habe sich "schicksalhaft aufeinander zubewegt". Schweiggert bezweifelt, dass die Liaison schon damals anfing. Dass die beiden später dann doch ein amouröses Abenteuer begannen, dürfte schon eher stimmen - zumal Valentin von Natur aus alles andere als monogam gepolt war.
Ein uneheliches Kind 1941, eine Scheidung 1952 und immer mehr Alkohol
In der Ritterspelunke, einer valentinesken Spezialmischung aus Kellertheater, Gruselkabinett und Kneipe, stand Annemarie Fischer nun auch mit ihrem Idol respektive ihrem Geliebten auf der Bühne. Sie trällerte in kesser Montur anzügliche Liedchen, sang schaurige Moritaten und trat beim Höhepunkt des Programms, in Valentins Groteske "Ritter Unkenstein", als "Burgfräulein Kunigunde" auf. Mehr als 100 mal trieb der grausame Ritter Unkenstein auf der winzigen Bühne sein Unwesen, dann, im Juni 1940, war Schluss. Wenige Wochen später war auch die Spelunke am Ende. Valentin und Fischer sollten nie wieder gemeinsam auf der Bühne stehen.
Kurz nach dem Untergang der Ritterspelunke wurde Annemarie Fischer schwanger, die Folge einer kurzen Affäre mit einem Schiffsarzt. Im Juli 1941 brachte sie ihre Tochter Andrea auf die Welt, danach unterhielt sie in einer Front-Theatertruppe die deutschen Soldaten im Krieg. Im Februar 1946 heiratete sie den Österreicher Erich Anton Grubinger, einen ehemaligen SS-Mann. Nach sechs Jahren war das Eheglück vorbei. Ihre Versuche, wieder auf der Bühne erfolgreich zu sein, scheiterten. Stattdessen verdiente sie ihren Lebensunterhalt als Sekretärin beim Bayerischen Rundfunk. Zunehmend verfiel Annemarie Fischer dem Alkohol. Ihre Schwester schreibt: "Sie fing an, morgens die Dreierpackung Boonekamp (...) mit ins Büro zu nehmen und sie noch vor dem Kaffee zu trinken." Ihre letzten Jahre verbrachte sie im "Fuchsbau" an der Ungererstraße. Sie war, so Erika Fischer, "nur noch Haut und Knochen und lebte mehr oder weniger von Piccolos, Zigaretten und Tabletten". Annemarie Fischer starb am 20. Juli 1988 an Leberzirrhose. Weder Presse noch Öffentlichkeit nahmen Notiz vom Tod der einst so feschen Mizzi.
Fischers Leben nach dem Krieg bleibt im Buch blass und verschwommen
Es ist eine Schwäche des Buchs, dass man über die Gründe ihres Niedergangs wenig erfährt. Schweiggert schildert Fischer als eine Art Pechmarie, der in ihrer zweiten Lebenshälfte alles missglückt, was sie beginnt. Worin aber die tieferen Gründe ihres Scheiterns liegen, erfährt der Leser nicht. Vieles bleibt vage und im Ungefähren, man ahnt allenfalls, was diese Frau in Verzweiflung und Lebensüberdruss trieb. Das Bild, das Schweiggert von ihr zeichnet, ist blass und verschwommen.
Eine Biografie Annemarie Fischers zu schreiben, ist gewiss schwierig, weil der größte Teil ihres Lebens nicht im Licht der Öffentlichkeit verlief und sie wohl wenig Verwertbares hinterlassen hat. Schweiggerts wichtigste Quelle, die Erinnerungen der Schwester, ist gewiss hilfreich, aber sie ist auch problematisch. Es liegt auf der Hand, dass Erika ein Familienbild überliefert, das ihren Vorstellungen entspricht. Manches mag da geschönt sein, anderes übertrieben, und ganz dunkle Seiten werden womöglich verschwiegen. Gut aufgehoben fühlt man sich als Leser nicht, wenn Schweiggert sich damit begnügt, seitenlang aus ihren Aufzeichnungen zu zitieren. Und dass er Erika Mann, die berühmte Tochter Thomas Manns, im Buch als dessen Schwester vorstellt, mag ein Flüchtigkeitsfehler sein, stärkt aber auch nicht das Vertrauen in den Autor. An anderer Stelle zitiert Schweiggert den Bericht Erika Fischers über die Freundschaft ihres Vaters mit der jüdischen Familie "Hehnlein". Dieser Freund "Hehnlein", schreibt sie, sei rechtzeitig vor den Nazis nach England geflohen, seine beiden in München gebliebenen Schwestern aber wurden eines Nachts abgeholt und "waren ganz einfach nicht mehr da".
Als Leser wüsste man gerne, was aus ihnen geworden ist. Aber Schweiggert hat sich die Recherche offenbar erspart, jedenfalls liest man nichts darüber. Ein Blick in das Gedenkbuch der Münchner Juden hätte genügt, um das Schicksal der beiden Frauen aufzuklären. Offenkundig handelt es sich um Anna und Senny Hähnlein, wohnhaft am Isartorplatz. Sie wurden am 25. November 1941 in Kaunas von den Nazis ermordet.
Alfons Schweiggert: Karl Valentins fesche Mizzi. Allitera-Verlag. 192 Seiten, 20 Euro