Reaktionen auf den Kirchenskandal:Das Misstrauen bleibt

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In der Kritik: Kardinal Reinhard Marx. (Foto: Alessandra Schellnegger/Alessandra Schellnegger)

Während Kardinal Reinhard Marx seine Sicht auf das Gutachten zu Missbrauchsfällen im Erzbistum München und Freising vorträgt, formulieren Kirchenkritiker klare Forderungen. Solche kommen auch aus der Politik.

Von Anna Hoben

Vor der Katholischen Akademie in Schwabing steht am Donnerstagvormittag ein weißer Sprinter, auf dem ein Transparent mit Karikaturen befestigt ist: Der emeritierte Papst Benedikt hält sich die Augen zu und sieht nichts. Der Münchner Erzbischof Kardinal Marx hält sich die Ohren zu und hört nichts. Und der Kölner Erzbischof Kardinal Woelki hält sich den Mund zu und sagt nichts. Auf der anderen Seite des Sprinters die Bild-Schlagzeile "Wir sind Papst" sowie eine umformulierte Version davon aus der fiktiven Zeitung Bid (Bischöfe in Deutschland): "Wir sind schuldig." Komplettiert wird das Protest-Ensemble von einer Großplastik, die einen grinsenden Kleriker zeigt, weich gebettet in einer zwischen Kreuzen aufgespannten Hängematte, darauf der Schriftzug: "12 Jahre schonungslose Aufarbeitung der Missbrauchsfälle".

Drinnen beginnt Kardinal Marx gleich mit seiner Pressekonferenz zum vergangene Woche vorgestellten Missbrauchsgutachten. Draußen drücken Kritikerinnen und Kritiker der katholischen Kirche ihre Wut und ihre Enttäuschung aus. Da ist zum Beispiel Michael Wladarsch vom "Bund für Geistesfreiheit München". Nichts weniger als "einen echten Erdrutsch" erwartet er sich von diesem Tag. Ein Schuldeingeständnis, das auch klar mache, dass die Institution Kirche "keine Sonderrechte und keinen Sonderstatus hat, sondern eine ganz normale Institution ist", in der es neben vielen guten Menschen auch Fehler und Verbrecher gebe.

Statement von Kardinal Marx
:"Ich klebe nicht an meinem Amt"

Fast eine Woche nach der Veröffentlichung des Münchner Missbrauchsgutachtens meldet sich Kardinal Reinhard Marx ausführlich zu Wort. Das sind seine wichtigsten Aussagen.

Wladarsch setzt vor allem auf die Politik, auf die "säkulare Ampel", die Schluss machen müsse mit diesem Sonderstatus - das kirchliche Arbeitsrecht und die kirchliche Justiz müssten abgeschafft werden. So sieht das auch Maximilian Steinhaus von der Giordano-Bruno-Stiftung. Sie hat zur Protestaktion aufgerufen, gemeinsam mit dem "Bund für Geistesfreiheit" und dem Aktionsbündnis Betroffeneninitiativen, dem verschiedene Gruppierungen angehören. Wenn selbst der Papst gelogen habe, sagt Steinhaus, könne man auch nicht davon ausgehen, dass die Kirche den Gutachtern alle Akten zur Verfügung gestellt habe.

Das Protestbündnis hat deshalb nach eigener Aussage Kardinal Marx angeboten, am Nachmittag alle noch nicht vernichteten Akten zu Missbrauchsfällen der gesamten Nachkriegszeit am Archiv des Erzbistums abzuholen und zur Staatsanwaltschaft zu transportieren, auf dass diese tätig werde. Sollte das Erzbistum das Angebot ausschlagen, so kündigte das Bündnis an, werde man symbolisch Akten beim Archiv des Erzbistums abholen und vom Königsplatz zum Landgericht tragen.

Nicht alle stimmen der wohlwollenden Einschätzung des Diözesanrats zu

Vor der Katholischen Akademie wird unterdessen noch spekuliert, ob Marx gleich erneut seinen Rücktritt ankündigen wird. Kameraleute filmen einen roten Schriftzug an der weißen Hauswand. "Kinderfickerv" hat jemand da hingesprüht. Neben dem Schriftzug, der wohl unvollendet blieb und noch zu einem "Verein" anwachsen sollte, prangt ein QR-Code. Er führt zu einem Statement auf der Webseite der Katholischen Akademie. Man nehme den Schriftzug als "weiteren Anlass zur Reflexion", heißt es da. Denn es drücke sich darin auch "der dramatische Ansehensverlust der Kirche aus, der seine Ursachen nicht im bösen Willen ihrer Kritiker hat, sondern in den im Inneren der Kirche geschehenen Verbrechen und ihrer Vertuschung". Statt den Vandalismus zu beklagen oder hektisch zu übertünchen, setze man sich mit dem Thema Missbrauch auseinander. Eine Etappe auf diesem Weg sei eine Online-Diskussionsveranstaltung am selben Nachmittag.

Am Nachmittag ist schließlich klar: Seinen Rücktritt hat Kardinal Marx vorerst nicht noch einmal angeboten. Dessen Stellungnahme wertet der Theologieprofessor und Vorsitzende des Diözesanrats, Hans Tremmel, positiv. Marx sei von dem Wunsch geleitet, die Kirche zu erneuern. "Er ist wirklich erschüttert. Er ist dazu bereit, persönliche Verfehlungen nicht nur einzugestehen, sondern zu bereuen und positiv damit in die Zukunft zu gehen. Das glaube ich ihm." Marx habe deutlich gemacht, dass er lernfähig sei. Er sei bereit, eigene Fehleinschätzungen einzusehen und daraus zu lernen.

Ähnlich drückte sich Michaela Huber, Vorsitzende der Aufarbeitungskommission für Missbrauch im Erzbistum München-Freising, aus. Marx sei ehrlich bestürzt, er habe verstanden, was ein Paradigmenwechsel in der Kirche wirklich bedeute. Das Gutachten sei dazu ein wichtiger Baustein.

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Verhaltener äußerte sich Hiltrud Schönheit, Vorsitzende des Katholikenrats, des höchsten Laiengremiums in der Region München. Einerseits sei sie dankbar über das Gutachten, ihr gefalle auch, dass Marx den Umgang mit Missbrauch zur Chefsache machen wolle. Trotzdem bleibe sie immer wieder an der Aussage des Kardinals hängen, seine Aufgabe sei es, das Evangelium zu verkünden, und was darunter passiere, sei nicht sein Thema. "Dieses Leitungs- und Führungsverständnis verstehe ich überhaupt nicht."

Kritik übte auch der Betroffenenvertreter Matthias Katsch. "Ich bezweifle, dass Bischöfe, die wie Kardinal Marx mitverantwortlich sind für das System des Missbrauchs in der Kirche, den Aufbruch und die notwendige Veränderung wirklich organisieren können", sagte der Sprecher der Initiative Eckiger Tisch. Die innerkirchliche Reformdebatte sei wichtig. Die Frage des Augenblicks müsse aber sein, wie den Betroffenen "endlich die lange versprochene Unterstützung und Hilfe" organisiert werden könne.

Mit Blick auf Marx sagte Katsch: "Vor einer Woche ist das Schiff auf Grund gelaufen, und heute erklärt der Kapitän, dass er unbedingt an Deck bleiben muss." Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller sagte im Bayerischen Rundfunk, er habe nicht den Eindruck, dass Marx "den Ernst der Lage" erkannt habe. In der Kirche müsse ab sofort radikal aus der Betroffenenperspektive heraus geschaut werden.

Münchens OB Dieter Reiter (SPD) benutzt das Wort "skandalös"

Auch der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) meldete sich am Donnerstag zu Wort. "Ich bin sehr erschrocken über die Inhalte des jetzt vorliegenden Gutachtens, vor allem über den Umgang mit den Opfern bis hin zur Verharmlosung von Missbrauch", sagte er auf Anfrage. "Wenn es zutrifft, wie im Gutachten dargestellt, dass diese Missbrauchsfälle auch durch höchste Kirchenvertreter vertuscht wurden, ist das skandalös."

Florian Roth, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Stadtrat, sagte, die katholische Kirche sei eine wichtige Partnerin für die Stadt und habe in humanitären Fragen wie dem Umgang mit Geflüchteten eine sehr positive Rolle. "Ihre Glaubwürdigkeit hängt nun stark ab vom Umgang mit den Betroffenen von sexualisierter Gewalt und der eigenen Schuld hierbei." Strukturelle und personelle Konsequenzen, die auch Kardinal Marx in seiner Erklärung angedeutet hat, seien unerlässlich.

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