Süddeutsche Zeitung

Transmediale Aufführung:Anregungen einer Echse

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Florian Kreier hat sein musikalisches Künstler-Alter-Ego Angela Aux zum Reptil transformiert. Mit der der Bühnen-Erzählung "Introduction to the Future Self" blickt er in die Zukunft.

Von Martin Pfnür, München

Die Echse wirkt noch etwas schüchtern, wie sie da in ihrem rosa Kleidchen inmitten der seltsam verwaisten Landwehrstraße in München steht und einem mit bunt oszillierenden Reptilienaugen entgegenblickt. Die linke Hand halb zum Gruß, halb zur Abwehr erhoben, scheint sie selbst nicht ganz zu wissen, wo sie hier eigentlich gelandet ist und wie es jetzt weitergehen könnte.

Dabei hat dieses eigenartige Wesen, dessen Mundpartie von einem Dreitagebart eingerahmt wird, ja durchaus Termine. Am 8. und 9. Dezember wird es auf der Bühne der Therese-Giehse-Halle im Zentrum der als "transmedial" angekündigten Erzählung "Introduction to the Future Self" stehen, und dabei mal mit, mal ohne Bandbegleitung auch zur Gitarre greifen, um dem Publikum zu demonstrieren, was man sich unter dem ominösen Genre-Begriff "Krypto-Folk" vorzustellen hat.

Was ist passiert mit Angela?

Ach ja, einen Namen hat die Echse auch. Angela Aux II heißt sie, wobei der römische Zweier keinesfalls royal aufzufassen ist. Vielmehr steht er für die jüngst erfolgte Verwandlung einer gewissen Angela Aux, die zwar ebenfalls gerne einen Dreitagebart zur wasserstoffblonden Perücke trug und feinsten Indie-Folk zu spielen vermochte, bei alledem jedoch stets rein menschliche Züge aufwies. Was also ist passiert mit Angela?

Licht ins Dunkel kann da nur Florian Kreier alias Angela Aux alias Angela Aux II und literarisch mitunter auch alias Heiner Hendrix bringen, den neben einem Faible für Alliterationen auch eines für Zukunftsforschung, Science-Fiction und künstlerische Schnittstellen auszeichnet. Vor ein paar Monaten erst hat er mit seiner Band Aloa Input in Form der "Devil's Diamond Memory Collection" ein Konzept-Album veröffentlicht, das aus einer dystopischen Zukunftsperspektive heraus auf eine Erde zurückblickt, die trotz oder gerade wegen allem technologischen Fortschritt irgendwann nicht mehr bewohnbar war und am Ende folgerichtig verlassen werden musste. Die Verwandlung von Angela Aux in Angela Aux II - ein schelmischer Wink in Richtung reptiloider Verschwörungstheorien - war da schon längst im Gange und Kreier im Geiste vermehrt in der Zukunft unterwegs. "Das Thema beschäftigt mich einfach sehr, und weil ich oft darüber spreche, hat es auch einen guten Erzählrahmen für die Platte ergeben", sagt er.

Schon seit anderthalb Jahren stand die Verwandlung an

Kein Wunder eigentlich, wenn man bedenkt, dass Kreier bereits seit knapp anderthalb Jahren auf die besagte "Introduction to the Future Self", also die Vorstellung des Ichs der Zukunft, zusteuert. Er hat als Ausgangstext für den Bühnenabend eine philosophisch unterfütterte post-apokalyptische Sci-Fi-Geschichte namens "Nach dem Ende der Zeit" geschrieben, die von Super-Intelligenzen, synthetischen Parallel-Universen und dem Alltag neuartiger Wesen erzählt. Er hat Songs wie die am 10. Dezember erscheinende Single "Pearly Gates" geschrieben, die an den aus dem Off erzählten Text anknüpfen und diesen musikalisch weiterspinnen. Er hat sich von seiner Partnerin, der Regisseurin Su Steinmassl, in Zusammenarbeit mit dem Münchner Design-Studio "Moby Digg" eine Online-Welt erschaffen lassen, die das Publikum im Stile einer Gaming-Oberfläche durch verschiedene Räume einer virtuellen Welt führt und sich dabei ebenfalls an den Plot anlehnt. Und er hat mit der "Inselgruppe" ein Label gegründet, auf dem sowohl die Erzählung (am Tag der Uraufführung) als auch ein zugehöriges Album (im Laufe des nächsten Jahres im Verbund mit dem Trikont-Label) veröffentlicht werden.

"Wir wollen die Besucher mit diesem transmedialen Konzept auch zum Mitdenken anregen, indem sie die verschiedenen Ebenen selbst miteinander verknüpfen", sagt Kreier, der mit seiner Aufführung auch das kritische Bewusstsein für technikphilosophische Denkrichtungen wie den Post- oder den Transhumanismus schärfen will, "ohne dass man gleich eine Aufklärungsveranstaltung daraus macht". Als inhaltliche Vorbereitung war eigentlich auch ein Podiums-Gespräch Kreiers mit der Technikphilosophin Janina Loh im Rahmen der Kammerspiel-Reihe "Habibi Kiosk" für Ende November angedacht, hätten die Pandemie-Maßnahmen das dort zugelassene Publikum nicht auf fünf Personen reduziert.

Also erzählt er im Interview eben selbst ebenso fasziniert wie reflektiert von Abgründen, die sich beim Einbrechen der biologischen Grenzen des Menschen durch den Einsatz von Technologie auftun; von der integrativen Kraft des Posthumanismus, in dem vor allem der Schutz der vom Anthropozän gebeutelten Erde im Vordergrund steht; oder von der irren Beschleunigung des technologischen Fortschritts, der so manches, was man bisher eher aus der Science-Fiction kenne, tatsächlich in den Bereich des Möglichen rücke. Seine eigene künstlerische Zukunft hat Kreier übrigens fürs Erste klar vor Augen, denn wie man ebenfalls erfährt, ist "Nach dem Ende der Zeit" nichts weniger als der Auftakt einer Sci-Fi-Trilogie, deren zweiter Teil bereits in Arbeit ist und ebenfalls irgendwann auf der Bühne landen könnte. Die Echse wird's freuen.

Introduction to the Future Self, Mittwoch, 8. Dezember und Donnerstag, 9. Dezember, 20 Uhr, Therese-Giehse-Halle, Maximilianstraße 26

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