Kammerspiele:Der Knast als Geldmaschine

Kammerspiele: In Palmasola bleiben die Insassen sich selbst überlassen. Davon erzählt Christoph Fricks Inszenierung, die nun an den Kammerspielen zu sehen ist.

In Palmasola bleiben die Insassen sich selbst überlassen. Davon erzählt Christoph Fricks Inszenierung, die nun an den Kammerspielen zu sehen ist.

(Foto: David Campesino)

Palmasola gilt als eines der härtesten Gefängnisse weltweit. Der Schweizer Regisseur Christoph Frick hat in der bolivianischen Haftanstalt recherchiert und daraus einen Theaterabend entwickelt. Dieser kommt nun an die Kammerspiele.

Von Yvonne Poppek

Zuerst einmal gilt: Alle herkömmlichen Vorstellungen von einem Gefängnis stimmen nicht. Zumindest nicht für die bolivianische Haftanstalt Palmasola. Menschen werden dort nicht hinter dicke Zellentüren gesperrt oder treffen sich auf eine Runde beim Hofgang. Palmasola gleicht einer abgeriegelten Stadt am Rande von Santa Cruz de la Sierra. Die Insassen werden darin sich selbst überlassen, manche sprechen von 6000, beaufsichtigt von 60 Wärtern.

Die besten Hütten oder Zimmer in der Siedlung werden nach der dort geltenden Rangfolge vergeben. Frauen, teils mit Kindern, leben seit einer großen Polizeiintervention 2018 in einem eigenen Bereich. Berichtet die internationale Presse über Palmasola, geht es um Gewaltausbrüche oder die prekäre Lage in dem hoffnungslos überbelegten Gefängnis. Palmasola, so meint man, muss die Hölle sein.

Der Schweizer Regisseur Christoph Frick hat diesen Ort besucht. Und er hat einen Theaterabend daraus entwickelt. Beides klingt wie ein irres Abenteuer: Welcher Europäer geht schon freiwillig in ein bolivianisches Gefängnis? Und wie lässt sich davon erzählen? Frick hat sich in jedem Fall an beides heran gewagt. Im Frühjahr 2019 hatte sein Theaterabend "Palmasola" Premiere in Santa Cruz, im Oktober 2019 in Basel. Danach waren einige Gastspiele in Europa geplant, doch die Pandemie verhinderte dies. Nun ist "Palmasola" - nach zweimaliger Verschiebung - an drei Abenden, vom 28. bis zum 30. Januar, in den Kammerspielen zu sehen.

Die glücklichen Umstände halfen

Spricht man mit Christoph Frick, bleibt die Verwunderung darüber zurück, wie sich eine solche Rechercheproduktion realisieren ließ. Mut braucht es dazu, Menschenkenntnis und auch ein Wissen darüber, wie das Leben in Südamerika läuft. Frick, geboren 1960, bringt all dies anscheinend mit. Als 18-Jähriger, erzählt er, sei er mit dem Rucksack durch Südamerika gereist. Als ihm das Geld ausging, hielt er sich mit Arbeiten über Wasser in Bereichen, "wo ich auch im Gefängnis hätte landen können". Die Zeit war intensiv, ihm blieb die Sprache - Frick spricht fließend Spanisch - und die Absicht, dass er zurückkehren würde. Das ergab sich dann vor vier Jahren, als der Leiter des Goethe-Instituts ihn einlud, in Santa Cruz ein Projekt umzusetzen.

So kam er also nach Palmasola. Dass es dort so gut lief, sei auch den "glücklichen Umständen" zu verdanken, sagt der Regisseur. Die Haftanstalt dürfen Europäer nur besuchen, wenn sie angeben, dort einen Europäer zu treffen. Der Name eines Insassen sei schnell herausgefunden worden, dadurch hätten er und sein Team Eintritt gehabt. Als sie, in Begleitung von Wächtern, auf den Inhaftierten trafen, ließ sich der bis dahin Unbekannte auf Frick ein. Und da er sogar Deutsch sprach, die Wachen aber nicht, konnte er unzensiert vom Leben in Palmasola erzählen. "Er ist das Schlüsselloch, durch das wir hereingeguckt haben", sagt Frick. Nach diesem Besuch folgten weitere, auch einen Workshop bot Frick in der Haftanstalt an. Hatte er beim ersten Besuch noch "wahnsinnig Angst", so entwickelten sich Beziehungen zu den Häftlingen: "Wir mussten uns zuletzt daran erinnern, in welchem Umfeld wir zu tun hatten", sagt er.

Kammerspiele: Wie behauptet man sich in einem fremden System? Auch davon erzählt "Palmasola".

Wie behauptet man sich in einem fremden System? Auch davon erzählt "Palmasola".

(Foto: David Campesino)

Das "Schlüsselloch" jedenfalls hat Frick in seine Inszenierung übernommen, die er gemeinsam mit der freien Gruppe "Klara" entwickelte. Es gibt an diesem Theaterabend einen europäischen Fremdling, der neu im System "Palmasola" ist, der auch die Korruption und ganzen Verstrickungen mit der Justiz und den Banden außerhalb des Gefängnisses nicht kennt. Er muss sich, wie der Zuschauer eben auch, in dieser Welt orientieren. Die Rollen der übrigen Insassen wollte Frick von Anfang an mit Boliviern besetzen, die mit dem Strafvollzug zu tun hatten. Bei einem Schauspiel-Workshop in Santa Cruz habe er sie gefunden: Omar Callisaya Callisaya sei auf der Straße groß geworden, "das bedeutet immer auch Jugendkriminalität", sagt Frick. Mario Tadeo Urzagaste sei Bewährungshelfer und Jorge Antonio Arias Cortez sei selbst zweimal wegen bewaffneten Raubüberfalls in Palmasola inhaftiert gewesen.

"Palmasola ist eine große Geldmaschine"

Cortez hat Frick zum Gespräch begleitet. In Palmasola saß er einmal sechs und einmal acht Monate lang; das erste Mal war er 21 Jahre alt, sagt er. Heute ist er 33 Jahre und Schauspieler. Irgendwie hat er es geschafft, dass er dies auch in Zeiten der Pandemie in Bolivien sein konnte. "Von Palmasola wegzukommen, ist schwer", sagt er. "Zu viele wollen, dass du im System bleibst." Zu diesem System, das erzählt er ganz offen, hat er auch gehört. Als er nach Palmasola kam, kannte er sich aus. Oder, wie es Frick sagt: "Er war eine Person dort." Sprich: Er hatte im Gefängnis ein gutes Zimmer, einen Fernseher, Männer, die ihn beschützten. Das sei gegangen, weil er Geld hatte. "Ohne Geld bist du am Arsch." Mit Geld allerdings könne man Geld machen, indem man investiere, in Grundstücke, Drogen, Hahnenkämpfe, Restaurants, Billardclub. "Palmasola ist eine große Geldmaschine", sagt er. Mit der Haft verknüpfe er gute und schlechte Erinnerungen. Trotzdem sei er beim zweiten Mal geflohen - auch die Flucht koste übrigens Geld.

Cortez erzählt von all dem mit großer Selbstverständlichkeit, von Dingen, die für einen Europäer in gewisser Weise unbegreiflich und auch ungeheuerlich sind. Gerade auch, weil er seine Geschichte nicht als Ausnahme begreift, sondern eher als Regelfall. In Fricks Inszenierung repräsentiert er in mehreren Rollen die Inhaftierten in Palmasola - ebenso wie Callisaya und Urzagaste - und erzählt irgendwie auch von seiner eigenen Vergangenheit, von der er loskommen möchte, die ihn am Theater, in der Kunst aber wieder eingeholt hat. Und auch dies bedeutet für Cortez Gutes wie Schlechtes.

Palmasola, Gastspiel, auf Deutsch und Spanisch mit deutschen Übertiteln, Freitag bis Sonntag, 28. bis 30. Januar, Kammerspiele, Therese-Giehse-Halle

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