Theater:Entfernt, doch ganz nah

Lesezeit: 3 min

Theater: "Ophelia - Exit Water" ist eine gemeinsame Stückentwicklung der Kammerspiele und des Left Bank Theatre aus Kiew, mit Edith Saldanha, Anastasiia Pustovit und Maryna Klimova (v.li.).

"Ophelia - Exit Water" ist eine gemeinsame Stückentwicklung der Kammerspiele und des Left Bank Theatre aus Kiew, mit Edith Saldanha, Anastasiia Pustovit und Maryna Klimova (v.li.).

(Foto: Judith Buss)

Die Münchner Kammerspiele haben einen Austausch mit Theaterschaffenden aus der Ukraine gestartet. Erste Ergebnisse dieser spannenden Projektarbeit zeigten sie vier Tage lang live und im Stream.

Von Yvonne Poppek, München

Ophelias Ertrinken und Sterben lässt sich durchaus ästhetisch betrachten. Bei Shakespeare treibt sie auf dem Wasser, umwallt von ihren Kleidern, wie ein Geschöpf, das in dieses Element gehört. Arthur Rimbaud vergleicht Ophelia mit einer Lilie, der Wind bauscht die Schleier auf "wie eine Dolde". Und dann sind da aber auch platzende Blutgefäße, Fäulnis, Verwesung, Gase, die sich beschreiben lassen. Zumindest ist dies bei "Ophelia - Exit Water" im Werkraum der Münchner Kammerspielen so. Da darf Ophelia allerdings auch wüten, ihren Aggressionen freien Lauf lassen, nach ihrer Mama verlangen, nicht sterben wollen. 45 Minuten dauert diese performative Auseinandersetzung mit der berühmtesten Wasserleiche der Literatur, ein Abend, der eigentlich nur den Zwischenstand einer künstlerischen Arbeit zeigt, aber doch als kraftvolle Miniaturinszenierung daherkommt.

"Ophelia - Exit Water" ist Teil von "Entfernte Nachbar*innen Kyiv-München", ein von den Kammerspielen initiierter, künstlerischer Austausch zwischen Theaterschaffenden aus München und der Ukraine. Es ist ein spannendes Projekt, das einerseits auf die bestehenden Grenzen und Unterschiede hinweist, sie andererseits aber genauso verwischt. So wie eben in dem Ophelia-Abend, der eigentlich in Kiew Premiere haben sollte, aufgrund der Corona-Krise nun aber an den Kammerspielen als erstes gezeigt wurde. Drei Wochen lang hatten die teils aus München, teils aus Kiew stammenden Schauspielerinnen Edith Saldanha, Anastasiia Pustovit und Maryna Klimova und Regisseur Alek Niemiro Zeit, sich thematisch und künstlerisch zu finden. Es muss, so sieht es zumindest auf der Bühne auf, sehr einfach und vertrauensvoll geschehen sein.

Auf der Bühne gibt es nichts Trennendes

So beginnt "Ophelia - Exit Water" mit einem innigen Bild: einem Menschenknäuel in der Mitte der Bühne, zart ineinander verschlungene Körper. Auf der Bühne gibt es nichts Trennendes, das ist sofort zu spüren. Das gilt auch später im Spiel, wenn die Sprache nicht dieselbe, auch die Körpersprache unterschiedlich ist. Selbstbewusst, elegant, fragend auf der einen, kämpferisch, latent provokant auf der anderen Seite. Die drei Schauspielerinnen arbeiten gemeinsam auf einen Moment hin, Ophelia, wie sie doch unweigerlich zur Wasserleiche wird. Schöne Bilder haben sie dafür im Werkraum gefunden.

Martín Valdés-Stauber, Dramaturg an den Kammerspielen, hat das fünftägige kleine Festival kuratiert. Zwei Premieren, eine Lesungen und mehrere Diskussionsrunden gehören dazu, die zum Teil als Stream zu sehen sind. Die Mischung ist gut gelungen, lässt sie doch einen vielfältigen Blick auf die "entfernten Nachbar*innen" zu. Die junge, künstlerische und lebendige Szene in der Ukraine darf sich hier beispielsweise präsentieren, wenn auch teils nur vermittelt in den Gesprächen. Es ist eine Szene, die eben nicht zwingend mit dem Konflikt in der Ostukraine assoziiert ist und die danach drängt, international wahrgenommen zu werden.

Die Dramatikerin Natalia Vorozhbyt setzt sich mit dem Konflikt in der Ostukraine auseinander

Auf der anderen Seite steht dann die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Konflikt, den Kämpfen im Osten des Landes. Eine wichtige Vertreterin ist hier die Dramatikerin Natalia Vorozhbyt. Sie reiste, so erzählt sie im Gespräch mit Valdés-Stauber, als eine der ersten Künstlerinnen ins Krisengebiet und begann, darüber zu arbeiten. 2017 schrieb sie im Auftrag des Royal Court Theatre in London "Zerstörte Straßen". Sie hat ihr Stück auch verfilmt, das ukrainische Oscar-Komitee nominierte den Film für die Auswahl 2022. In den Kammerspielen liest Vorozhbyt im Wechsel mit der Schauspielerin Johanna Eiworth auf Ukrainisch und Deutsch den Anfang des Dramas. Es beschreibt die Reise einer Frau namens Natalia in den Donbass, sie recherchiert dort, erlebt kriegerische Auseinandersetzungen, verliebt sich in einen Soldaten. Ihre eigenen Traumata habe sie in dem Stück verarbeitet, erzählt Vorozhbyt. Diese sind in den vielen, kurzen Kriegsbildern zu spüren, die die Autorin mit der Scham der Ich-Erzählerin paart, ihre Liebe ausgerechnet dort gefunden zu haben, Glücksgefühle zu erleben, wo Unglück allgegenwärtig ist.

Theater: "Was ist jüdische Musik?" mit Svetlana Belesova und Alina Kostiukova ist die zweite Produktion des Festivals, die sich mit der Zeit des Zweiten Weltkrieges auseinandersetzt.

"Was ist jüdische Musik?" mit Svetlana Belesova und Alina Kostiukova ist die zweite Produktion des Festivals, die sich mit der Zeit des Zweiten Weltkrieges auseinandersetzt.

(Foto: Judith Buss)

Einem anderen Trauma widmet sich dann die zweite Produktion dieses Festivals: "Was ist jüdische Musik?". Die Dramatikerin Anastasiia Kosodii leistet hier Erinnerungsarbeit, geht der Geschichte im Zweiten Weltkrieg nach, blickt auf die Zeit der deutschen Besatzung in Polen, die Rolle der Ukrainer darin und danach. Auch dieses Stück hätte in Kiew Premiere haben sollen, nun ist es zunächst mit Svetlana Belesova und Alina Kostiukova im Werkraum zu sehen. Kosodii, die auch Regie führte, sagt später im Gespräch, sie habe das Stück nicht für die Deutschen angepasst, all die Orte und Konflikte hätte sie nicht erklären können und wollen. So ist einiges nicht geläufig, was hier verhandelt wird, aber die Konflikte und Fragen sind vertraut. Gegensätze verwischen einmal mehr bei diesem Festival, das neue, interessante Perspektiven auf den fremden Nachbarn eröffnet hat.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema