Münchner Kammerspiele:Auftritt mit einer Kugel im Bein

Lesezeit: 3 Min.

Lässt sich Gewalt rechtfertigen? Die chilenische Kompanie La Resentida hat sich auf schmerzhafte Spurensuche gemacht. Hintergrund ist die gewaltsame Unterdrückung der Proteste 2019 in ihrer Heimat. Doch es geht um mehr als dieses eine Land.

Von Yvonne Poppek, München

Einem der Schauspieler steckt noch ein Geschoss im Bein. Normal, nennt Regisseur Marco Layera das. In Santiago de Chile gebe es viele Menschen, die von Verletzungen durch die Sicherheitskräfte gekennzeichnet seien. Denen irgendetwas noch unter der Haut steckt. Etwa 400 Menschen haben ein Auge verloren, sagt er. Von den gezielten Schüssen von Polizei und Militär aus dem Herbst 2019 berichtete damals auch die internationale Presse. Die staatlichen Sicherheitskräfte schossen auf die Demonstranten, die sich gegen die soziale Ungleichheit in ihrem Land auflehnten.

Layera arbeitet mit seiner Kompanie La Resentida in Santiago de Chile. Er ist mit der Gewalt vertraut und mit deren Folgen. In Kooperation mit den Münchner Kammerspielen und der Schaubühne Berlin hat er eine Arbeit über diese Gewalterfahrung entwickelt. "Oasis de la impunidad (Oase der Straflosigkeit)" hat er sie genannt. Am Donnerstag und Freitag, 7. und 8. April, ist sie im Schauspielhaus zu sehen.

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In einem Gespräch mit Layera ist ihm die tief sitzende Erschütterung anzumerken. Er erzählt von Folter, Vergewaltigung, Verstümmelung. "Und das in einem demokratischen Land, von dem wir dachten, dass es sich nie wieder wiederholen würde", sagt er. Doch die Unterdrückung der Proteste hat in Chile alte Wunden wieder aufbrechen lassen. Die Erinnerung an das Pinochet-Regime. Spätestens mit dem Einschreiten des Militärs sei in vielen das Gefühl aufgestiegen, die Diktatur kehre wieder zurück, sagt Layera. Die Menschen wurden von der Straße vertrieben. Dann kam die Pandemie und die Türen schlossen sich noch fester. "Zwei Jahre gab es den Zustand des Eingesperrtseins", sagt er. Als im Herbst 2021 Lockerungen einsetzten, reagierte Layera und seine Kompanie mit einem Projekt, in dem sie die Gewalterfahrung aufarbeiten wollten.

Die Zusammenarbeit mit Layera ist ein Modellprojekt

Dass Layera mit seiner Arbeit an die Münchner Kammerspiele kommt, ist kein Zufall. Es ist ein Modellprojekt für die Arbeit in internationalen Konstellationen, erzählt Martín Valdés-Stauber. Er ist Dramaturg an den Kammerspielen und ist dort zuständig für das künstlerische Forschungsfeld "Erinnerung als Arbeit an der Gegenwart". Valdés-Stauber zeichnet beispielsweise auch für die Kooperation mit Künstlern aus der Ukraine verantwortlich, initiierte ein Festival im Dezember. Einige Künstler, die in diesen Austausch involviert sind, sind mittlerweile aus der Ukraine geflohen, sie werden ebenfalls noch in dieser Woche in den Kammerspielen zu sehen sein ("Ukrainische Dramatiker*innen erzählen vom Leben während der Invasion durch Russland", 9.4., 18 Uhr).

Doch zurück zu Chile: An den Kammerspielen stelle man sich die Frage, wie man künftig weltweit zusammenarbeiten wolle, sagt Valdés-Stauber. Statt Projekte nur einzuladen, könne man diese auch gemeinsam entwickeln, so wie die "Oase der Straflosigkeit". Dabei wurden die Kammerspiele mit Bundesmitteln gefördert und sie haben in Deutschland einen Partner, die Schaubühne Berlin. Dort war Layera schon vor zehn Jahren zum Find-Festival (Festival Internationale Neue Dramatik) eingeladen, sagt die Dramaturgin Elisa Leroy. Alle Projekte dieses Regisseurs und seiner Gruppe seien in der Erfahrungswelt der Beteiligten verankert. Allerdings würden sie dort nicht verharren, sondern überhöht. Dementsprechend sei die "Oase der Straflosigkeit" "kein Stück über Chile, sondern über Staatsgewalt weltweit", sagt sie.

85 Prozent der Beteiligten hatten Gewalt erfahren

Wie setzt man nun ein solches Gewalt-Projekt um? Layera erzählt, sie haben im Herbst zu einem Theaterlabor aufgerufen. Performer, Tänzer, Aktivisten seien dem Aufruf gefolgt, rund 250 habe man einladen können. Wie legitimiert sich Gewalt, ist sie notwendig, lässt sie sich rechtfertigen? Und wie könnte ein gewaltfreies Chile aussehen? Wie müsste eine Polizei fundiert sein, damit das Band zwischen ihr und der Bevölkerung nicht zerrissen bleibt? Derartigen Fragen wollte das Theaterlabor nachgehen. Dabei habe sich herausgestellt, dass 85 Prozent der Beteiligten Gewalt von den Ordnungs- und Sicherheitskräften erfahren haben, sagt der Regisseur.

Am Ende des Labors wurden vier Teilnehmer gefragt, ob sie sich der Kompanie anschließen. Mit vier weiteren Performern der Truppe und einem Schauspieler aus Deutschland - in Berlin ist es David Ruland, in München Walter Hess - sind sie nun auf der Bühne zu sehen. In Berlin wurde die "Oase der Straflosigkeit" vergangene Woche uraufgeführt. Die Inszenierung setzt dabei nicht auf Sprache - auf der Bühne wird Spanisch gesprochen mit deutschen und englischen Übertiteln. Gewalt ist körperlich, deswegen kommt es stark auf choreografische Elemente an, auf die Arbeit mit dem Körper. Und der ist, gar nicht so selten, noch gezeichnet von staatlich kontrollierter Gewalt.

Oasis de la impunidad (Oase der Straflosigkeit), Donnerstag und Freitag, 7. und 8. April, 20 Uhr, Kammerspiele, Schauspielhaus

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