„Auf nach Woanders“ ist das Motto der aktuellen Spielzeit der Münchner Kammerspiele. „Auf nach Woanders“ klingt nach Aufbruch im positiven Sinn. Ganz und gar nicht nach Aufbruch im positiven Sinne klingt hingegen die aktuelle Spardebatte über den Kulturetat der Stadt. Wer diese Debatte verfolgt und sieht, wie viel die städtischen Bühnen einsparen müssen – beim Volkstheater schrumpft das Budget um 2,9 Millionen Euro im Vergleich zu 2023, bei den Kammerspielen sind es sogar 6,2 Millionen Euro – dem muss das Motto beinahe wie ein Kassandraruf erscheinen. Denn wenn die Einsparungen so kommen wie angekündigt, würde das „ein anderes Theater bedeuten als bisher“, der Schaden wäre „maximal“, so Kammerspiel-Intendantin Barbara Mundel im SZ-Interview. „Diese Summen bedeuten das Aus für die Kammerspiele.“

München kürzt Kulturetat:„Der Schaden, der jetzt entstehen würde, wäre maximal“
Die geplanten Millionenkürzungen gefährden die städtischen Theater Münchens. Kammerspiel-Intendantin Barbara Mundel und Volkstheater-Intendant Christian Stückl über ein drohendes Aus – und die Absicht zu kämpfen.
Deshalb will sich das städtische Theater gegen den Kahlschlag stemmen. Und das Spielzeitmotto „Auf nach Woanders“ weiterhin positiv verstanden wissen. Dazu gehört, dass die Kammerspiele ihre Bildwelt und ihre Bildsprache über den Bühnenrand hinaus in die Stadt tragen wollen, erklärt Daniel Veldhoen, der künstlerische Direktor der Kammerspiele. Dazu gehören auch spartenübergreifende Kooperationen mit anderen künstlerischen Institutionen, wie die mit der Münchner Organisation für zeitgenössische Fotografie Der Greif. Deren weltweiter Aufruf, dem Spielzeitmotto ein visuelles Gesicht zu geben, führte zu 1000 Einreichungen aus 82 Ländern.

Mit Çağla Ilk, Ko-Direktorin der Kunsthalle Baden-Baden und Kuratorin des deutschen Pavillons der diesjährigen Biennale in Venedig, bestanden schon Kontakte. Und so bat man sie, eine Auswahl aus den vielen Einsendungen von Deutschland über Russland bis Iran und Singapur, von Kanada über die USA bis Mexiko zu treffen. Ilk wählte 40 Fotografien von Künstlerinnen und Künstlern im Alter zwischen 25 und 74 Jahren aus, die zur Grundlage der Bildkampagne der Spielzeit 2024/25 an den Kammerspielen wurden. Überdies waren die Motive im September als großformatige Plakate in der ganzen Stadt zu sehen.
Und bis Ende Oktober werden sie zudem als Fotoausstellung an der Glasfassade der Therese-Giehse-Halle gezeigt. Verschiedene Motive übrigens innen und außen. Außerdem ist eine ganz besonders anmutende Kunstpublikation von Der Greif mit acht großformatigen DIN-A2-Postern, die auf DIN-A4 gefaltet sind, erschienen. Und es gibt im Habibi Kiosk der Kammerspiele Postkarten, die man verschicken, mit denen man aber auch eine interaktive Ausstellungswand gestalten kann.

Und was bewegt die Fotografinnen und Fotografen nun zum Thema „Auf nach Woanders“? Was wollen sie sichtbar machen über den eigentlichen Bildinhalt hinaus? Wie die sogenannten Blind Fields füllen? Der türkische Fotograf Berk Kır aus Istanbul bezieht zur Rolle der Frau Stellung mit seiner vieldeutigen Aufnahme „You Have a Place Above My Head“. Diversität und Freiheit auch angesichts begrenzter Voraussetzungen klingen bei der Münchner Fotografin Anna Pentzlin an. Ihr in rosa Tüll gekleideter Protagonist in „Nothing but internet fake friends“ scheint noch sehr auf der Suche nach der eigenen Identität zu sein. Paul Hiller, ebenfalls aus München, hat eine Aufnahme der Weltkugel beim Planetarium im Wiener Prater entdeckt, die so von einem Treppenumlauf eingezäunt ist, dass es einem um die Offenheit der Welt angst und bange werden kann.

Die international tätige Fotografin Elena Paraskeva, die auf Zypern lebt, hat den beliebten zypriotischen Badeort Ayia Napa in eine absurde Pool-Szene in klassischen Miami-Art-Deco-Farben verwandelt. Ana Hell aus Spanien inszenierte in der Türkei einen raffinierten Blick in den Spiegel und stellt uns damit vielleicht die Frage, ob wir angesichts all der Selbstbespiegelung überhaupt noch Augen für die Welt um uns herum haben?
Die Themen und Motive der Fotoaktion sind so vielfältig wie das Programm der Kammerspiele. Da gibt es viel inszenierte Fotografie, aber auch vorgefundene situative Komik und Landschafts- und Straßenszenen. Manche transportieren Tristesse und Leere, bei vielen schwingt aber vorwiegend die Neugier auf das Fremde und die Hoffnung auf – hoffentlich positives – Neues mit. Also auf geht’s, nach Woanders.
Auf nach Woanders, Therese-Giehse-Halle der Kammerspiele, bis Ende Oktober