Süddeutsche Zeitung

Kälteschutz in München:Mehr Platz für Obdachlose

Im April ist Baubeginn für den neuen Kälteschutz der Stadt. Für die Bewohner soll sich dort einiges verbessern. Bei der Fassade knüpft das Architekturbüro an ein historisches Vorbild an.

Von Berthold Neff

Es braucht nicht viel, damit jemand sein Zuhause verliert und auf der Straße landet: krank geworden, den Job verloren und kein Geld mehr, um die Miete zu bezahlen. Die Ausstellung "Who's Next", die noch bis zum 6. Februar im Architekturmuseum in der Pinakothek der Moderne zu sehen ist, zeigt an vielen Schicksalen auf, was es bedeutet, obdachlos zu sein.

Und sie zeigt auch, was Städte und Gemeinden tun können, um das Problem der Obdachlosigkeit in den Griff zu bekommen. München ist in dieser Ausstellung, die das Thema weltweit angeht, von New York bis Mumbai, beispielhaft mit einem schon 1952 eröffneten Haus vertreten, dem Städtischen Unterkunftsheim an der Pilgersheimer Straße. Hier finden wohnungslose Männer vorübergehend eine Bleibe, der Aufenthalt dauert im Schnitt etwa 50 Tage.

Derzeit hat eine Person im "Kälteschutz" durchschnittlich drei Quadratmeter Platz

Gut in die Ausstellung hätte aber auch ein etwas anders gelagertes Projekt gepasst, das Obdachlosen zumindest nachts ein Dach über dem Kopf bietet: der Neubau des Übernachtungsschutzes für Obdachlose an der Lotte-Branz-Straße. Der Stadtrat hat dieses Vorzeigeprojekt bereits vor einem Jahr auf den Weg gebracht, die Investitionssumme liegt im zweistelligen Millionenbereich. Baubeginn soll im April sein, damit das Haus 2023 bezogen werden kann.

Es wird nach demselben Muster funktionieren wie der städtische Kälteschutz, der in den noch nicht abgerissenen Gebäuden der Bayernkaserne untergebracht ist. In der "Who's Next"-Ausstellung ist der bisherige Übernachtungsschutz nur kurz dargestellt, als Piktogramm an die Wand. Drei Quadrate zeigen, wie viel Wohnraum Menschen in München zur Verfügung steht. Wer eine Wohnung hat, verfügt über etwa 39 Quadratmeter im Schnitt. Im derzeitigen Kälteschutz steht diese Fläche, also ein Raum, aber zwölf Personen zur Verfügung, was einen Schnitt von nur drei Quadratmetern ergibt.

Im Neubau soll sich das ändern. Vorgesehen sind etwa 800 Bettplätze in Vier-Bett-Zimmern. Die bisherige Belegung in Zimmern mit acht bis zwölf Betten, so die Erfahrung, hat oft zu Konflikten geführt. Und vor allem jetzt, während der Pandemie, in der die Räume des Kälteschutzes - anders als früher - das ganze Jahr über geöffnet sind, muss man bei der Zimmerbelegung so vorgehen, dass möglichst wenig Menschen auf engem Raum zusammen sind. Und man wird die Menschen auch bedarfsgerecht unterbringen können, es wird Zimmer für Menschen im Rollstuhl oder mit Rollator geben, Kranken- und Krisenzimmer sowie auch die Chance, dass obdachlose Männer und Frauen auch mit ihrem Hund unterkommen. Auch Räume für die medizinische Behandlung und ein Tagescafé sind geplant.

Mit dem Neubau sende München "ein deutliches humanitäres Signal", sagt Sozialreferentin Schiwy

"Wir sind froh, dass wir nach dem Auszug aus der Bayernkaserne das bundesweit einzigartige Angebot des Übernachtungsschutzes in gleichem Umfang und besseren Standards als im bisherigen Provisorium ohne Unterbrechung fortsetzen können", sagt Münchens Sozialreferentin Dorothee Schiwy. Zugleich weist sie darauf hin, dass München so "ein deutliches humanitäres Signal für eine soziale Stadt" sende und auch "mittellosen Menschen, die in München auf Arbeitssuche sind oder schlicht in unserer Stadt gestrandet sind", eine Bleibe auf Zeit biete.

Im Sozialreferat rechnet man damit, das gerade wegen der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie weiterhin Menschen aus Osteuropa nach München kommen, um hier Arbeit zu finden. Deshalb wird der Neubau auf 800 Plätze ausgelegt, was einen Puffer von mehr als 300 Bettplätzen beinhaltet. Im Schnitt gab es im Winter vor der Pandemie bis zu 400 Übernachtungen pro Nacht, im Sommer 2020 waren es immerhin 374 pro Nacht.

Die Stadt hat auch geprüft, ob man statt einem Neubau wohnungslose Menschen in Hotels unterbringen könnte. Das hätte, grob gerechnet, bei einem Übernachtungspreis zwischen 30 und 50 Euro zu Kosten von mehr als sieben Millionen Euro pro Jahr geführt, den jeweils nötigen Sicherheitsdienst noch nicht eingerechnet. Im Neubau an der Lotte-Branz-Straße werde auch dies einfacher und kostengünstiger möglich sein. Das neue Zentrum umfasst auch Räume für die Medizinische Erstuntersuchung für Asylsuchende sowie für Obdachlose, die vor der Aufnahme in den Kälteschutz ein ärztliches Zeugnis benötigen, dass bei ihnen keine ansteckungsfähige Lungentuberkulose vorliegt.

Das Projekt wurde europaweit ausgeschrieben, ein deutscher Generalunternehmer erhielt am 15. Dezember 2021 den Zuschlag. Entworfen wird das Gebäude vom Münchner Büro Hild und K Architekten. Man wolle, heißt es in einer Mitteilung des Büros, "mit dem städtebaulich wirksamen Volumen auch einen Impuls für eine künftige Stadtentwicklung setzen".

Dabei knüpfe man durchaus an ein historisches Vorbild an, das von Theodor Fischer 1927 erbaute Ledigenheim an der Bergmannstraße mit seiner Ziegelarchitektur. Die Farbe der neuen Gebäude erinnert, zumindest in der Simulation, an jene Ziegel, errichtet wird das Gebäude aber weitgehend aus Holz. Die von der Stadt vorgegebene Holz-Hybrid-System-Bauweise hat im Vergleich zu einem reinen Massivbau eine bessere CO₂-Bilanz.

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