Kabarett:Die Freiheit nimmt sie sich

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Zwei Mark vom Vater, wenn sie zehn Minuten still war: Schon in jungen Jahren hat sich angedeutet, dass Franziska Wanninger später mal auf der Bühne stehen würde

Von Thomas Becker, München

"Sternzeichen Typenkabarettistin, Aszendent Rampensau" stand mal in einer Kritik über die Kabarettistin Franziska Wanninger. Wo dieser Hang zum Bühnentier her rührt, ist unklar. Aufgewachsen ist die heute 39-Jährige mit der rotblonden Mähne jedenfalls auf einem Einödhof bei Altötting, wo sie ihre Familie von klein auf mit ihrem nur mit drastischen Maßnahmen zu unterbrechenden Rededrang konsequent Richtung Verzweiflung trieb. Unwidersprochen die Schote, dass sie vom Vater zwei Mark bekam, wenn sie es schaffte, zehn Minuten die Klappe zu halten. Sie sagt: "Wenn ich das durchgehalten hätte, hätte ich heute eine Eigentumswohnung." Hat sie nicht, dafür aber immer mehr Fans auf immer größeren und renommierteren Bühnen. Und diese Fans zahlen dafür, dass sie eben nicht die Klappe hält. "Für mich soll's rote Rosen hageln" heißt ihr neues Programm, das an diesem Freitag im Theater im Schlachthof Premiere hat.

Dabei sah es zunächst nicht nach Bühne aus: Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin, Abi an der Berufsoberschule nachgeholt, Lehramt-Studium (Deutsch und Englisch) in Regensburg, Zulassungsarbeit über Gerhard Polt. Dann treibt sie sich herum, arbeitet als Stipendiatin für einen Demokraten in Washington D.C., lernt bei einer Mormonenfamilie in Salt Lake City das Gefühl kennen, wenn an der Supermarktkasse der Alarm angeht, weil sie als unter 21-Jährige Weißweinessig kaufen wollte. Jahre später wieder USA: als Graduate Teaching Fellow an einer Uni in Oregon - und von da aus direkt nach Hollywood: Lee Strasberg Institute. Warum denn nicht? Die Freiheit nimmt sie sich. Dazu später mehr.

Tatsächlich entstehen nach dieser Zeit in Los Angeles ihre ersten Texte für die Bühne. Und nun gehört sie schon seit einem Jahrzehnt zum Klub. Einem, in dem es Frauen schwerer haben als die Herren der Schöpfung, findet Wanninger. Auch deshalb betreibt sie seit einem Jahr mit der Kollegin Claudia Pichler den Podcast "Ladies first". Mit mehr als drei Dutzend Kabarettistinnen haben sie sich unterhalten, auch um mit dem Klischee aufzuräumen, dass es keine lustigen Frauen gibt. Wanningers Credo: Frauen sollten sich nicht im Weg stehen, sondern einander helfen. So wie es bei ihr vor ein paar Jahren Martina Schwarzmann getan hat, als sie die Newcomerin einfach mit auf Tour nahm.

Senkrecht ging es für Franziska Wanninger nicht nach oben, eher gemütlich, dafür aber stetig. Selbst die coronabedingte Bühnenabstinenz warf sie nicht aus der Bahn. Stattdessen drehte sie mit dem Kollegen Martin Frank, mit dem sie das Buch "Der famose Freistaat" geschrieben und den gleichnamigen Podcast ins Leben gerufen hatte, Werbe-Clips für die Stadt München, lektorierte ein Buch des Fernseh-Kochs Horst Lichter, machte bei der BR-Comedy "Fraueng'schichten" mit und spielte in einem SWR2-Hörspiel die Eva Braun.

Und dann war da ja noch dieses neue Solo-Programm. Nur noch ein paar Tage sind es bis zur Premiere, aber Panik oder Versagensangst klingen nicht durchs Telefon, als sie von ihrem Seelenleben berichten soll. Ihr Regisseur aus Berlin ist da, sie proben wie bekloppt, "damit wir es noch gescheit hinkriegen", sagt sie.

Dass diese Premiere wirklich stattfinden kann, hat sie lange nicht geglaubt: "Ich dachte: Da kommt sicher der nächste Lockdown." Den Titel mit den roten Rosen und den Pressetext dazu musste sie den Veranstaltern schon vor Monaten schicken, ohne zu wissen, ob es auch wirklich um falsche Vorsätze, Rasenroboter, Dinkelkräcker, Dating per Videocall und die Untiefen des Lebens gehen würde. Im Sommer musste sie dann zig ausgefallene Termine nachspielen, plötzlich war es Ende August und ein neues Programm immer noch nicht in Sicht. Was tun? Franziska Wanninger tat das, was sie immer tut: Reinknien in die Arbeit, dann wird es schon werden! Und schon ist das Oberthema des Programms da: die Freiheit. Grenzen ziehen, sich lösen von Abhängigkeiten, sein eigenes Ding machen, sich nicht selbst im Weg stehen. Davon kann Franziska Wanninger so einiges erzählen.

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