Ausblick: Von diesen jungen Menschen wird 2022 in München die Rede sein

Ausblick: Sara Ladwig begann vor drei Jahren, in der Öffentlichkeit zu tanzen. Schamgefühle? Hat sie nicht mehr.

Sara Ladwig begann vor drei Jahren, in der Öffentlichkeit zu tanzen. Schamgefühle? Hat sie nicht mehr.

(Foto: Andrés Chuquisengo)

Tänze in der U-Bahn, Golf für alle und Empathie an der Konsole: Wer in diesem Jahr dazu beitragen wird, dass die Stadt bunt, spannend und lebenswert bleibt.

Jede Woche treffen wir an dieser Stelle auf junge Menschen, die München zu "unserem" München machen: zu einer spannenden Stadt, die man erst versteht, wenn man ihre Macher kennen und schätzen lernt. Wer diese Stadt in diesem Jahr bunter und lebenswerter macht? Wir wissen es natürlich nicht. Und wagen trotzdem einen Ausblick: Münchens junge Leute 2022.

Großvaters Kunst

Ausblick: Katharina Högel lernte ihren Großvater über dessen Kunstwerke kennen.

Katharina Högel lernte ihren Großvater über dessen Kunstwerke kennen.

(Foto: Tanja Edel)

Katharina Högel, 21, verwaltet das Erbe ihres Großvaters Georg Högel - ein Künstler, dessen Kunst lange der Öffentlichkeit verborgen blieb. 2018 begann sie, Gemälde, Kriegstagebücher und Fotos zu archivieren und zu digitalisieren - erstellte eine Website und Social-Media-Kanäle im Namen von Georg Högel. Die Beziehung zu ihrem Großvater änderte sich im Laufe der Arbeit. "Mein Großvater ist gestorben, da war ich gerade einmal 13 Jahre alt. Da gab es nicht viel Zeit, ihn wirklich kennenzulernen. Als ich angefangen habe, seine Tagebücher aus der Kriegszeit, seine Liebesbriefe und seine Biografie zu lesen, habe ich ganz andere Seiten von dem Mann gesehen, den ich kennengelernt hatte. Unsere Beziehung war zu seinen Lebzeiten nie wirklich tief - das könnte ich heute nicht mehr sagen." Nun möchte sie Ausstellungen gestalten, die Kriegsgeschichten ihres Großvaters neu aufarbeiten und in einem Buch oder Film erzählen. Denn seine Kunst soll sichtbar werden. Alexandra Höpfl

Tanz durch die U-Bahn

Sara Ladwig, 22, nennt sich Diosa, Göttin auf Spanisch, und tanzt durch die U-Bahnstationen und über die Straßenkreuzungen Münchens. Die Performance-Künstlerin begann vor drei Jahren, in der Öffentlichkeit zu tanzen. Schamgefühle? Nicht mehr: "Es polarisiert, aber es gibt keinen Worst Case, der dann real wird, sondern vor allem Menschen, die sich freuen", sagt sie. Für 2022 plant sie eine Kombination aus Selbstvertrauenstraining und Tanztheaterstück, wofür sie sich erfolgreich um ein Künstlerförderungsstipendium bewarb. "Mir ist wichtig, dass meine Kunst nicht blendet. Sie soll einladen und sagen: Du kannst es genauso machen, auf deine Art", sagt Sara. Kultur sei gerade jetzt ein wichtiges Instrument, um Nähe zu schaffen. Elisabeth Fleschutz

Golf für alle

Ausblick: Jonas Fehling findet es schade, dass Golfen so einen elitären Ruf hat.

Jonas Fehling findet es schade, dass Golfen so einen elitären Ruf hat.

(Foto: privat)

Wer an Golf denkt, denkt an alte Männer in Tweed, akkurat gestutzte Rasenflächen und vor allem eines: ganz viel Geld. Und damit wären wir bereits beim Problem, würde Jonas Fehling sagen. Er selbst ist passionierter Golfer, seit dreieinhalb Jahren schon, und setzt viel daran, zu zeigen, dass Golf ein Sport ist, der eben auch von jungen Menschen gespielt wird. "Nach außen hin hat Golf einen sehr elitären Ruf", sagt Jonas. "Das ist schade." Der 20-Jährige, der eine Ausbildung zum Technischen Systemplaner macht, möchte das Seine tun, um gegen dieses Bild anzugehen. Indem er, Golf With, eine Art soziales Netzwerk für Golfer entwickelt. "Es hat mich immer gestört, dass es schwer war, andere Spieler im gleichen Alter kennenzulernen", sagt Jonas. 2022 will er die App veröffentlichen, junge Golfer vernetzen - und ganz nebenbei das Bild umkrempeln, das Menschen von diesem Sport haben. Zumindest ein bisschen. Max Fluder

Konzerte im Wohnzimmer

Ausblick: Natalie Aguilar ist selbst Sängerin und weiß daher, wie schwer es Musikerinnen und Musiker während der Pandemie haben.

Natalie Aguilar ist selbst Sängerin und weiß daher, wie schwer es Musikerinnen und Musiker während der Pandemie haben.

(Foto: Meri Väyrynen)

"Für Musiker ist es wichtig, vor Menschen zu spielen und nicht ausschließlich für eine Kamera", sagt Natalie Aguilar. Während der Pandemie gibt es für Künstler und Künstlerinnen kaum Auftrittsmöglichkeiten vor echtem Publikum. Um dieses Problem zu lösen, stellt Natalie, 29, selbst Sängerin, Musikern ihr Wohnzimmer als "Open Mic Bühne" für Live-Sessions zur Verfügung. Schon 2021 war sie Teil des Gründerteams von "Monacorona" und initiierte die "Hof-Sessions", bei denen sie im vergangenen Sommer Pop-up-Stages und Open Stages im Freien anbot. Natalies neues Projekt, die Open-Mic-Bühne im Wohnzimmer, beginnt im Januar. Ein kleines Publikum ist - abhängig von den aktuellen Corona-Vorschriften - möglich. Die Mini-Wohnzimmerkonzerte werden aufgenommen und als Online-Konzertserie veröffentlicht. Veronika Tièschky

Heimatfilme

Ausblick: Adnan Jafar engagiert sich beim Filmfestival "Kino Asyl".

Adnan Jafar engagiert sich beim Filmfestival "Kino Asyl".

(Foto: Priska Kraft)

"Ich bin eigentlich mit dem Fernseher aufgewachsen", sagt Adnan Jafar, 26 Jahre alt, mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Er war schon immer fasziniert von Filmen und Schauspiel, aber in seinem Geburtsort Afrin, einer Stadt im kurdischen Teil Syriens, hätte es nie wirklich die Möglichkeit gegeben, dem nachzugehen. Vor etwa vier Jahren musste Adnan mit seiner Familie nach Deutschland fliehen. Das Schauspielen habe ihm geholfen, Freunde zu finden und anzuknüpfen, erzählt er stolz. Ebenso wie das Mitwirken beim Filmfestival "Kino Asyl". Hier stellen Menschen mit Fluchthintergründen Filme aus ihren Heimatländern vor. Für das kommende Festival im Januar hat Adnan eine Episode der Reportage-Reihe "Ax û Welat" ausgesucht, in der pro Folge Kultur und Bewohner der Dörfer rund um Afrin vorgestellt werden. Adnan präsentiert die Folge über die kurdische Region Ciyaye Kurmenc. Ein Ort, der ihm sehr wichtig ist und Kindheitserinnerungen weckt. Johannes Rockstuhl

Hip-Hop für Frauen

Ausblick: John Politz nennt sich als Musiker John Dash. Er fördert Frauen in der Münchner Hip-Hop-Welt.

John Politz nennt sich als Musiker John Dash. Er fördert Frauen in der Münchner Hip-Hop-Welt.

(Foto: Juliane Haerendel)

Die Hip-Hop-Welt war schon immer männerdominiert. Das möchte John Politz alias John Dash ändern. Der 27-Jährige macht selbst seit mehr als zehn Jahren Deutsch-Rap, der aber nicht geprägt ist von sexistischen Texten und Macho-Gehabe. Und er möchte besonders Frauen in der Szene Gehör verleihen - über die Female-Open-Tracks, ein Event, das exklusiv für weibliche Künstlerinnen und vierteljährlich im Bahnwärter Thiel stattfinden soll. "Ich wollte einen Safe Space generieren, wo Frauen auf die Bühne gehen und sich einfach ausprobieren können. Wo sie ihre Kunst zeigen können, ohne dass danach Rapper mit 30 Jungs auf der Bühne stehen und sie voll einschüchtern", sagt John. Lisa Miethke

Empathie an der Konsole

Die Münchner Studierenden Felix Döllerer und Lara Wüster, beide 24, haben die Plattform "Emway Studios" gegründet. Ihr erstes Spiel, das sie wie das gesamte Projekt gemeinsam mit den Softwareentwicklern Lehann Cronje und Stéfan Visser, 23, ausarbeiten, wollen sie in diesem Jahr herausbringen. Darin sprechen sie Themen wie Empathie und Mitgefühl an. "Unsere Spiele sollen den Menschen spielerisch die Möglichkeit geben, sich in andere hineinversetzen zu können. So schaffen wir hoffentlich mehr Verständnis für die psychischen Herausforderungen, in der sich derzeit viele junge Menschen befinden", sagt Lara. "Wir nutzen Videospiele als Werkzeug, um Menschen vor der Isolation zu bewahren, um einen Austausch zu ermöglichen", sagt Lehann. Louis Seibert

Dann doch etwas Kreatives

Chris Pretzsch, 25, hat lange gesucht. "Ich habe alle möglichen Dinge studiert - Informatik, Philosophie, Buddhistische und Südasiatische Studien, Betriebswirtschaft und letztendlich nochmal Bioprozessinformatik -, bis ich darauf gekommen bin, dass ich vielleicht etwas ganz anderes machen sollte. Doch lieber etwas Kreatives", sagt er. Nach einem Jahr an der Designschule ist Chris heute freier Künstler, die Schule war ihm zu sehr auf Werbung ausgerichtet. Unter @crispycreations zeigt er seine Kunst auf Instagram. Bald will er eine animierte Arbeit präsentieren, an der er zusammen mit einer ehemaligen Klassenkameradin und Freundin aus der Designschule arbeitet. Zuletzt hat er im Almedeka ausgestellt, wo er sich als "Hausmeister" mit um organisatorische Dinge kümmerte. Gerade arbeitet er an einer Bewerbung für die Kunstakademie, die er 2022 einreichen möchte. Max Fluder

Vernetzung und Austausch

Ausblick: "Wir wollen normalisieren, dass Frauen zusammen Musik machen." Das ist das Ziel des Kollektivs "Sie ist kein Genre".

"Wir wollen normalisieren, dass Frauen zusammen Musik machen." Das ist das Ziel des Kollektivs "Sie ist kein Genre".

(Foto: Katharina Düwel)

Sie ist kein Genre, aber viel mehr. Genau das will das gleichnamige Projekt beweisen. "Wir wollen, dass viel mehr Frauen zusammen Musik machen, damit nicht mehr so viele weibliche Künstlerinnen auf ihr Geschlecht reduziert werden", sagt Hanna Weißgerber, 19, Sängerin der Band Dirty Red Bandanas. Auch ihre Band würde oft nur darauf reduziert, dass sie ausschließlich weiblich besetzt sei. Sie haben sich gefragt, was man daran ändern könne, und daraufhin das Kollektiv gegründet. Momentan ist ihr Ziel, gemeinsam ein Kollaborationsalbum aufzunehmen, auf dem alle unterschiedlichen Künstlerinnen vertreten sind. In erster Linie geht es jedoch um Vernetzung und Austausch. "Jede bringt ja etwas mit, das sie kann, das sie gelernt hat, und Erfahrungen, die sie teilen kann", sagt Fanny Karos, 21, Projektmanagerin des Kollektivs. Sabrina Ahm

Zusammenarbeit statt Generationenkonflikt

Ausblick: Joshua Steib war Jugenddelegierter bei der UN-Klimakonferenz 2021 in Glasgow.

Joshua Steib war Jugenddelegierter bei der UN-Klimakonferenz 2021 in Glasgow.

(Foto: privat)

In monatelanger Arbeit hatte Joshua Steib, 19, mit 500 jungen Menschen aus 197 Staaten ein Positionspapier, das Global Youth Statement, für die UN-Klimakonferenz 2021 in Glasgow erarbeitet - nur um es dann noch am Tag der Überreichung in zahlreichen Mülleimern wiederzufinden. "Ich hatte davor natürlich schon die Befürchtung, dass das, was wir machen, schlussendlich nicht in die Resolution kommt. Aber ich hatte schon erwartet, dass wenigstens ein gewisser Respekt vor der Jugend herrscht. Da fühlt man sich verarscht", sagt Joshua. Die Chance, sich deshalb bei Ministern und Staatschefs zu beschweren, bekam er aber nicht. Anders als in anderen Ländern wie Schweden oder Mexiko war Joshua als UN-Jugenddelegierter nicht Teil der offiziellen deutschen Delegation. Genau das will der Politik- und Philosophiestudent nun ändern. "Auf der einen Seite haben Jugendliche eine extreme Motivation, weil es um unsere Zukunft geht. Auf der anderen Seite haben sie nochmal ganz andere Lösungsansätze. Es wäre spannend, die beiden Seiten zusammenzubringen und zusammenzuarbeiten, anstatt einen Generationenkonflikt aufzubauschen", sagt er. Clara Löffler

Queere Gemeinschaft

Ausblick: Kamill Lippa macht auf die Probleme der queeren Gemeinschaft in München aufmerksam.

Kamill Lippa macht auf die Probleme der queeren Gemeinschaft in München aufmerksam.

(Foto: Ferhan Kahyaoglu)

In seiner Kunst thematisiert Kamill Lippa, 25, Probleme, die die queere Gemeinschaft in München betreffen. Besonders Intersektionalität, das Überlappen verschiedener Diskriminierungserfahrungen im Alltag, spielt in seinen Werken eine wichtige Rolle. In diesem Jahr möchte der junge Künstler, der sich selbst als nicht-binär bezeichnet, gemeinsam mit der Münchner Lyrikerin Yassamin-Sophia Boussaoud dem Thema ein eigenes Buch widmen. Dabei verfolgen die beiden ein festes Ziel: "Es geht darum, mehrfach marginalisierten Menschen vor Augen zu führen, in welchen Dimensionen man träumen kann", sagt Kamill. Das Ziel sei, "eine Zukunftsvision zu schaffen, in der ein Leben mit Würde, Achtung und Anerkennung für alle Menschen möglich ist", sagt Yassamin-Sophia. Laurens Greschat

Nachhaltigkeit beim Film

Ausblick: Lara Cevari und Danial Shekar haben das Filmkollektiv "Red Anvil Production" gegründet.

Lara Cevari und Danial Shekar haben das Filmkollektiv "Red Anvil Production" gegründet.

(Foto: Auron Osmani)

Lara Cevari und Danial Shekar, beide 24, haben das Film- und Fotokollektiv "Red Anvil Productions" gegründet. Ihr Dokumentarfilm "Warum kann der Teufel nicht schön sein?", eine Reise zu Fuß von München nach Berlin, wurde 2021 beim Münchner DOK.fest gezeigt und für die FFF-Nachwuchsförderung nominiert. Inzwischen zählt das Kollektiv 13 Mitglieder zwischen 22 und 27 Jahren, weitere Videos sind in Produktion. Ihr Ziel ist es, mit jedem Film - egal ob Dokumentation oder Werbung - eine Geschichte zu erzählen. "Die meisten Videos vergisst man sofort wieder. Wir wollen, dass die Leute sich unsere Filme immer wieder anschauen wollen", sagt Danial. Außerdem priorisiert das Kollektiv Nachhaltigkeit beim Dreh. Elisabeth Fleschutz

Schluss mit dem Patriarchat

Am 25. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an FLINTA* (alle Personen, die sich als Frauen, Lesben, Inter, Nicht-binär, Trans oder Agender, also geschlechtslos, definieren und sich dagegen wehren, dass ihnen von außen eine Geschlechtsidentität zugewiesen wird), organisierte die Initiative No Patriarchy Munich ihre erste Demonstration. "Viele bestehende feministische Gruppen sind uns nicht intersektional genug, teilweise herrscht Transphobie", sagt eines der Mitglieder, die alle Anfang 20 sind und zum eigenen Schutz anonym bleiben möchten. Mehr als 300 Menschen kamen zur Demo. Für 2022 plant die Initiative, die aktuell noch ihre Struktur aufbaut, weitere Demonstrationen und Aktionen, um eine solidarischere Gesellschaft zu fordern und gegen Unterdrückung einzustehen. Elisabeth Fleschutz

Junge Leute

  • München lebt. Viele junge Menschen in der Stadt verfolgen aufregende Projekte, haben interessante Ideen und können spannende Geschichten erzählen. Hier werden diese Menschen vorgestellt - von jungen Autoren.
  • Lust mitzuarbeiten? Einfach eine E-Mail an die Adresse jungeleute@sz.de schicken.
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