Süddeutsche Zeitung

Wolf Biermann in München:Zwiesprache mit Heinrich Heine

Mit Mikrofon und Gitarre wird Wolf Biermann heute Abend in München mit seinem Idol kommunizieren. Beide Dichter sind geistige Verwandte, die sich an einem repressiven Staat und einer schläfrigen Bevölkerung reiben.

Von Greta Hüllmann

Zu sagen, Wolf Biermann würde zu Heine aufschauen, wäre korrekt, aber dennoch eine unverzeihliche Untertreibung. Die Lieder und Gedichte des Dichters, Liedermachers und Literaturpreisträgers sind bis zum Überschwappen gefüllt mit Kritik, Satire, derbem Humor und Zerrissenheit über seine Heimat, über Deutschland. Heine, zwar 139 Jahre vor und 380 Kilometer entfernt von Biermann geboren, konnte auch nicht von Satire, Politik und Hassliebe zu Deutschland lassen. Von Geistesbrüdern zu sprechen, wäre womöglich anmaßend, Heine hat seine Verse immerhin nicht auf der Gitarre begleitet. Bei der Zuschreibung des "frechen Cousins", die Biermann ihm in seinem Poem "Deutschland. Ein Wintermärchen" gibt, kann man es aber getrost belassen.

Beide Dichter sind geistige Verwandte, die sich an einem repressiven Staat und einer schläfrigen Bevölkerung reiben - und sich damit in Gefahr bringen. Nachdem Heine sich in seinem "Wintermärchen" von 1844 humorvoll über Schnäuzer und Pickelhauben der Preußen, Militarismus und reaktionäre Politik echauffierte, selbstverständlich in Reimform, wurde das Versepos sogleich beschlagnahmt und zensiert. Heine wurde als Vaterlandsverräter diffamiert, obgleich er zu dem Zeitpunkt bereits in Frankreich wohnte, da ihm aufgrund seines jüdischen Glaubens die Arbeitserlaubnis verweigert worden war.

Biermann, gebürtiger Hamburger, lebte während der Entstehung seines Textes seit zehn Jahren in der DDR und erwähnt bereits im ersten Kapitel Mauertote, das Bonzentum und Nazideutschland. Wie Heine sieht er Deutschland, in seinem Fall die DDR, dennoch als Vaterland und würde sich in Heines Selbstzuschreibung eines "kritischen Patrioten" wiederfinden. Wenn Wolf Biermann am 15. September nach München kommt, um mit Gitarre und Mikrofon mit Heine zu sprechen, steht ihm ein Konglomerat an gemeinsamen Themen zur Auswahl: Antisemitismus, Zensur, Revolution und Kommunismus, Dichtung und Sprache. Es bleibt spannend, was der Mann wählen wird, über den Marcel Reich-Ranicki einmal sagte: "Eintracht zu stiften, ist seine Sache nicht." Gut, dass Biermann zwischen sich und seinem verehrten Heine gar keine Eintracht stiften muss.

Wolf Biermann in Zwiesprache mit Heine, Do., 15. Sep., 19 Uhr, Jüdisches Gemeindezentrum, St.-Jakobs-Platz 18, Anmeldung unter Telefon 089/202400491

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