Jüdisch-muslimischer Dialog:„Das ist es, was die Rechten nicht wollen“

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Imam Benjamin Idriz (li.) und Rabbiner Shmuel Aharon Brodman in der Synagoge Ohel Jakob. (Foto: Catherina Hess)

Ein Rabbiner und ein Imam treffen sich. Sie scherzen miteinander, stellen sich Fragen, entdecken Gemeinsamkeiten. Organisiert hat das Treffen der städtische Beauftragte für den interreligiösen Dialog. Die Botschaft lautet: Frieden.

Von Martin Bernstein

Es wird viel gelacht an diesem Donnerstagmittag in der Münchner Synagoge Ohel Jakob. Eine Heiterkeit, die wohl auch Berührungsängste überspielen hilft. Die aber gleichwohl zeigt, dass da zwei miteinander können. Dass diese beiden an diesem Ort überhaupt zusammengekommen sind, das sei etwas „Epochales“, findet Marian Offman, der städtische Beauftragte für den interreligiösen Dialog. Denn die beiden, die da miteinander reden und lachen und sich Fragen stellen, sind ein jüdischer Rabbiner und ein muslimischer Imam, Shmuel Aharon Brodman und Benjamin Idriz.

Wobei, das räumt der Penzberger Theologe Idriz unumwunden ein, der Humor etwas ungleich verteilt sei. Rabbiner hätten immer einen Scherz auf Lager, bauten sogar in ihre Predigten Witze ein. Ja, schmunzelt Brodman, aber das gefalle nicht jedem Zuhörer. Und weil er gerade dabei ist, erzählt er beim gemeinsamen Gang durch die Synagoge noch ein paar jüdische Witze. „Ich fühle mich sehr wohl hier als gläubiger Moslem“, sagt der Penzberger Imam.

„Das ist es, was die Rechten nicht wollen“, sagt Offman, „das Miteinander von Muslimen und Juden“. Jahrelang habe er daran gearbeitet, dass diese Begegnung zustande komme, erzählt er. Und dass er in der Nacht zum Donnerstag kaum geschlafen habe aus Sorge, es könnte noch etwas dazwischenkommen. Einmal erst war Idriz, der Vorsitzende des Münchner Forums für Islam (MFI), zu Gast in der Synagoge. 2006 sei das gewesen, bei der Einweihung. 200 Meter liegen MFI und Israelitische Kultusgemeinde (IKG) in der Altstadt voneinander entfernt. Manchmal können das Welten sein.

„Wir brauchen mehr Lachen“, darin sind sich die beiden Theologen einig. Gerade in schwierigen Zeiten wie jetzt. Und noch eine Gemeinsamkeit entdecken sie schnell: ein Faible für ebenso bunte wie hochwertige Krawatten. Anerkennende Blicke auf die Frontpartie des jeweils anderen. Ein zwangloses Kennenlernen, könnte man meinen. Dass der evangelische Stadtdekan Bernhard Liess und Andreas Renz, der Fachreferent für interreligiösen Dialog im katholischen Erzbistum München und Freising, mit dabei sind, zeigt indes, dass es nicht nur Offman um mehr geht als um den lockeren Austausch zweier Theologen über religiöse Riten und Gebetszeiten.

Das Lachen in der Synagoge hat einen ernsten Hintergrund. „Wir können dazu beitragen, dass in München Frieden ist“, sagt Offman. Im November, vier Wochen nach dem Terrorüberfall der Hamas auf Israel und dem Beginn der israelischen Militäraktion in Gaza, sollte ein interreligiöses Friedensgebet auf dem Marienplatz stattfinden. Es platzte in letzter Minute. „Die Zeit ist derzeit offenbar nicht reif“, sagte damals Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD).

Idriz hatte die Anschläge der Hamas verurteilt. Schnell und mit klaren Worten. Manchen waren sie jedoch nicht klar, nicht eindeutig genug. Jetzt steht er vor dem Tora-Schrein der Synagoge, öffnet gemeinsam mit dem Rabbiner die Türen, die die Schriftrollen schützen. Ob er befürchte, von anderen Muslimen angegriffen zu werden, wenn das Bild öffentlich werde, will Brodman wissen. „Nein, auf keinen Fall“, sagt Idriz schnell.

„Die Menschen müssen das von uns hören“, sagt Imam Idriz

Der Imam lädt den Rabbiner ein, zum Freitagsgebet in Penzberg. Oder auch zu einem Vortrag im MFI über das Judentum. Idriz könne gerne zum Schabbat kommen, regen Offman und Brodmann an. Stadtdekan Liess und Andreas Renz erinnern an das multireligiöse Friedensgebet Mitte November vor der Frauenkirche. Daran könnten der Imam und der Rabbiner doch gemeinsam teilnehmen. „Frieden – die Menschen müssen das von uns hören“, sagt Idriz. „Unser Friede hier in München“. „Richtig“, pflichtet Brodman ihm bei. Ob sie zusammen am Friedensgebet teilnehmen werden, bleibt an diesem Donnerstag in der Synagoge erst einmal offen.

Doch es gibt sie, die Gemeinsamkeiten. Zwischen den beiden Geistlichen, zwischen den Religionen, die sie predigen. Sie haben – über Ecken – sogar einen gemeinsamen Bekannten, einen ehemaligen Mufti im bosnischen Sarajevo. Beider Unterschriften stehen unter einer Münchner Charta der Religionsgemeinschaften, in der jede Form von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit abgelehnt wird. Warum, fragt Brodman vor dem offenen Tora-Schrein, sei es dann oft so schwierig? „Manchmal“, antwortet ihm Idriz, „hast du mit deinem direkten Nachbarn mehr Probleme als mit jemand weit Entferntem.“

Das, was Juden und Muslime in München entfremdet, trennt, was Ablehnung, Feindschaft gebiert, ist weit entfernt. Und doch so nah, wie der Rabbiner immer wieder erlebt. Er erzählt von seinen Vorträgen in Schulen. Die Jugendlichen hörten aufmerksam zu, wenn er über das Judentum erzähle. Bis dann irgendwann jemand aufstehe und frage: „Was ist mit Gaza?“

„Dann müssen Sie sagen, dass wir in München sind, nicht in Gaza“, schlägt Idriz vor. Und dann das: „Wir sollten gemeinsam hingehen.“ Was gebe es Überzeugenderes für die Idee des Friedens als ein Rabbiner und ein Imam, die zusammen in eine Schulklasse kämen. „Als Team“, sagt Brodmann und lächelt bei der Vorstellung.

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