SZ-Serie: Bühne? Frei!:Zurückgeworfen auf sich selbst

Joana Osman, 2019

Joana Osman, 1982 geboren, lebt als Autorin und Dozentin für Storytelling in der Nähe von München. Vor zwei Jahren veröffentlichte sie den Roman "Am Boden des Himmels".

(Foto: Stephan Rumpf)

Kultur-Lockdown, Tag 138: Die Autorin und Dozentin findet Rettung im Schreiben und hofft auf Empathie

Gastbeitrag von Joana Osman

Seit einem Jahr herrscht kollektiver Ausnahmezustand: Bewegungslos und bar jeder Perspektive verharren wir im Lagerkoller und erhaschen ab und zu neidisch einen Blick auf die (neue) Normalität anderswo: Woah, in anderen Ländern haben die Bars geöffnet, sind sie schon durchgeimpft, können sich die Leute frei bewegen, wie zur Hölle haben die das geschafft? Was die Perspektivlosigkeit, die Unfreiheit, die kollektive Depression angeht, haben wir in den Monaten des Lockdowns gerade einen Hauch dessen erfahren, was beispielsweise Geflüchtete an Europas Außengrenzen täglich erleben. Wie gesagt - nur ein Hauch.

Ob uns diese gemeinsame Erfahrung des Ausnahmezustandes einander nähergebracht hat, oder ob uns die Isolation vielmehr voneinander entfremdet - wir wissen es nicht. Wir wissen ja so vieles nicht: Wird es unsere Jobs noch geben, wenn all das überstanden ist? Unser Lieblingsrestaurant? Den Buchladen an der Ecke? Unplugged-Konzerte in viel zu vollen Kneipen, wo Menschen, dicht an dicht am Tresen sitzend, ihre Ellbogen in Bierschaumpfützen stützen und einander mit verschleiertem Blick erzählen, wie sie den Lockdown verbracht haben? Werden sich die Leute je wieder trauen, einander die Hand zu geben, oder wird gangsterrapmäßiges Fistbumping der neue Handshake, auch in Dax-Vorstandsetagen?

So vieles ist unklar, so vieles in der Schwebe. Ich auch momentan. Das Fieseste, aber auch das Interessanteste ist dieses Zurückgeworfensein auf sich selbst. Man erlebt ja nichts. Inzwischen sind die Lesereisen zu meinem Roman "Am Boden des Himmels" zum dritten Mal verschoben, meine Schreibworkshops finden, wenn überhaupt, nur online statt, und die Redewendung "Schau ma mal" hat es irgendwie geschafft, zum Lifestyle zu werden. Kämmt sich eigentlich noch jemand ab und zu die Haare?

Ohne das tägliche Grundrauschen von Sozialkontakten, Kulturevents und Café-Besuchen, ohne den ständigen Input von außen bleibt einem nichts außer so ein leicht betäubtes Dahinschlendern in einem Alltag, der zu einem nicht unerheblichen Teil aus Aus-dem-Fenster-Schauen besteht, was im Grunde nichts anderes als ein In-sich-selbst-Hineinschauen ist. Aus dieser erzwungenen Innenschau - freiwillig macht das ja keiner in dieser Form! - entsteht bei mir gerade ein kreatives High der anderen Art.

Für mich persönlich ist Schreiben die einzig sinnvolle Art, diesen Ausnahmezustand zu verbringen - vor allem auch deswegen, weil ich keine andere Form des Selbstausdrucks beherrsche außer Schreiben. Im ersten Lockdown habe ich einen Roman beendet, im zweiten einen neuen begonnen - das klingt jetzt auch irgendwie krasser, als es ist. Romanschreiben bringt einen ziemlich gut durch diese Tage, wenn man es nur richtig anstellt. Und so schreibe ich und stelle fest: Schreiben ist nicht nur die beste, sondern auch die praktischste Therapie, die es gibt.

Macht einen die Pandemie also zu einem reflektierteren und empathischeren Menschen, oder wird man einfach nur noch egozentrischer, als man es ohnehin schon war? Interessieren wir uns nun mehr für diejenigen, die solch traumatische Ausnahmezustände routinemäßig er- und überleben, wie zum Beispiel Geflüchtete? Oder fokussieren wir uns viel mehr auf die eigenen Probleme, die eigene Langeweile, den eigenen Schmerz? Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus beidem, aber schön wäre es schon, wenn wir es schafften, diese kollektive Erfahrung der Isolation in ein Mehr an Empathie zu verwandeln. Wir sollten alle viel mehr aufeinander achten.

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