Das Jahr 2020 in München:Wie Gastronomen und Schausteller gegen das Coronavirus kämpfen

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Die Pandemie bedroht Existenzen und kostet die Stadt viel Geld, lässt aber auch einiges möglich werden, was sonst undenkbar wäre.

Von Franz Kotteder

Optimisten kommen einem mit der Spanischen Grippe, die vor 100 Jahren wütete. Ausgerechnet. Diese Pandemie habe Millionen Tote gefordert, sagen sie. Und doch blühte das Leben danach wie nie zuvor, noch heute gelten die Zwanzigerjahre als irgendwie Goldenes Zeitalter von Entertainment und Kultur.

Klar, Botschaft verstanden: Wenn wir das alles mal hinter uns haben, wird's richtig gut. Jetzt noch eine Wanderung durchs tiefe Tal - aber dann wird das Leben umso mehr genossen! Mit dieser Hoffnung trösten sich viele, die jetzt ganz schön zu strampeln haben, um der Pleite zu entgehen. An erster Stelle Veranstalter und Schausteller, die in diesem Jahr vor allem mit dem Erstellen von Hygienekonzepten beschäftigt waren, die am Jahresende, im zweiten Lockdown, auch nur wenig nutzten.

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Am spektakulärsten war sicher die Absage des Oktoberfests 2020 am 21. April. In Friedenszeiten gab es so etwas zuletzt wegen der Cholera (1873) und der Inflation (1923 und 1924). Manche Münchner freute das sogar, wegen der ausbleibenden Begleiterscheinungen des Festes. Nüchtern betrachtet - zugegebenermaßen etwas schwierig im Falle der Wiesn - bleibt aber ein Umsatzausfall von gut 1,3 Milliarden Euro für die Münchner Wirtschaft. Der trifft viele, die vom Tourismus leben, und am härtesten die Schausteller und Marktkaufleute. Wenn die Wiesn ausfällt, gibt es auch sonst kaum irgendwo noch ein Volksfest. Das kostet Existenzen.

Die Stadt hat sich immerhin bemüht, etwas für die Branche zu tun. Plötzlich war da ein Riesenrad auf dem Königsplatz und ein Free-Fall-Tower auf dem Tollwoodgelände, auf der Theresienwiese standen ein paar Waffelbuden herum, das städtische Sportreferat bot Rudelturnen im Freien an, Green City stellte Palmen auf. An den verschiedensten Orten gab es plötzlich Schaustellerei und Budenzauber. Sogar auf dem Wittelsbacherplatz, vor der Siemenszentrale, gab es einen Stand mit Küchenutensilien aller Art, wie sonst nur auf der Auer Dult. Es war zugleich rührend, ein bisschen absurd und auch wieder schön, weil man sich bei vielen dieser Aktionen fragte: Warum geht das alles eigentlich in einem ganz normalen Sommer nicht?

Überhaupt war manches plötzlich möglich, was vorher nahezu unvorstellbar war. Schon wegen des Verwaltungsaufwands. Wirtshaustische auf Parkplätzen? Vor Corona: ganz schwierig! Im ersten Sommer der Pandemie hingegen: Welch' ein Gewinn an Lebensqualität! Die Gastronomen der Stadt entdeckten die Euro-Palette als kreatives Gestaltungsmittel, und kaum jemand, der nicht begeistert war und von der südländischen Anmutung schwärmte, die Essen und Trinken im Straßenraum mit einem Mal verströmte. Die "Schanigärten", wie man sie nach Wiener Vorbild bald nannte, werden der Stadt erhalten bleiben, wenn alle geimpft sein werden und die Herdenimmunität ihr Werk vollbracht hat.

Zuletzt war sogar Glühwein sexy

Und sonst? Selbst Sternelokale stellten fest, der Not gehorchend, dass man Essen auch dann liefern kann, wenn es sich nicht um Pizza oder Curry handelt. Das ergibt natürlich nur den Bruchteil des Umsatzes, den man sonst macht, wenn die Leute ins Lokal kommen. Die tatsächlichen Auswirkungen wird man erst dann sehen, wenn das normale Insolvenzrecht wieder greift, also wohl im nächsten Frühjahr.

Die Wirte, Köche und Bedienungen hatten überhaupt einiges wegzustecken. Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger stellte ihnen Rechenaufgaben, die eines Mathematikleistungskurses würdig gewesen wären (wie viele Kumpel passen an einen Tisch, wenn ...?) und malte surrealistische Gemälde wie einst Salvador Dalí, auf denen halbe Hendl bratfertig durch den Garten liefen. Die Wirte aber bestellten Heizpilze für den Winter, die sie dann einlagern mussten und die im nächsten Jahr vermutlich verboten sind. Und dabei geht es ihnen immer noch besser als den Künstlern, Schauspielern und Musikern, beschönigend "Solo-Selbständige" genannt, die im letzten Dreivierteljahr bestenfalls mal vor einer kleinen Horde weit auseinander sitzender Zuschauer auftreten durften. Womit sie fast nichts verdienten und was so aussah, als ob eigentlich niemand an ihren Darbietungen wirklich interessiert war, auch wenn ausverkauft war.

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Die Menschen aber wollen sich selbstverständlich treffen. Nicht nur, wenn sie jung sind, dann aber besonders. Den ganzen Sommer über trafen sich die Leute am Gärtnerplatz, in den Isarauen und an anderen Plätzen, als hätte nie jemand über Kontaktbeschränkungen geredet. Zuletzt war sogar Glühwein sexy. Es kamen Alkoholverbote, mal hier, mal dort, erst nachts, schließlich immer und fast überall.

Und 2021, wie wird es werden? Die Leute treffen sich natürlich wieder, so oder so. Sie werden wieder mutiger werden, je mehr geimpft sind, aber das kann sich hinziehen. Die Orte, wo man sich trifft, werden dann womöglich anders heißen, weil neue Lokale die pleitegegangenen ersetzt haben. Im Juni will man entscheiden, ob es 2021 eine Wiesn gibt. Es sieht momentan nicht danach aus. Solange die Gefahr besteht, dass aus dem Oktoberfest ein Flachland-Ischgl wird, findet es nicht statt.

Das Jahr 2020, es geht in die Verlängerung. Den Schlusspfiff möchte man dann aber doch noch gerne 2021 hören.

© SZ vom 28.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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