Streit um städtische IT:Störung im Münchner Betriebssystem

städtische IT-Zentrale (Agnes-Pockels-Bogen 21), Rechenzentrale der Stadt München, Rechenzentrum

Server neben Server: Das Städtische Rechenzentrum in München.

(Foto: Florian Peljak)

Die harsche Kritik des scheidenden IT-Referenten an der Digitalpolitik in München verstimmt die Stadträte von Grünen/Rosa Liste. Die Opposition hingegen hinterfragt den Stil im persönlichen Umgang mit Thomas Bönig.

Von Heiner Effern

Ein heftiger Abgang aus Sorge um seine Hinterlassenschaft, oder politisches Nachtreten aus Verbitterung? Die fundamentale Kritik des scheidenden IT-Referenten Thomas Bönig an den Stadträten von Grünen/Rosa Liste schlug hohe Wellen. Deren Fraktionssprecher Florian Roth nannte die Worte des Referenten "eine verzerrte Darstellung" der Realität und führt die harschen Aussagen Bönigs vor allem darauf zurück, dass sich dieser spätestens nach Ablauf seiner Amtszeit wohl einen neuen Job hätte suchen müssen. "Er war ein Referent, den damals CSU und SPD gewählt haben. Wir haben nicht für ihn gestimmt."

Die Signale für Bönig waren wohl eindeutig: Eine Verlängerung des Vertrags im Sommer 2024 stand eher nicht zur Debatte. Dieser wechselt nun vorzeitig nach Stuttgart und verlässt die Stadt am 30. Juni. Die Grünen hatten es in der Hand, sie haben das Vorschlagsrecht für diese Personalie und sind nun auf der Suche für eine Nachfolge. Bönig hatte ihre Digitalpolitik in einem Interview mit der SZ als "einseitig, wenig pragmatisch und stark ideologisch" beschrieben. Der scheinbar einzige Schwerpunkt seien Open-Source-Themen. Ihm fehle bei den Grünen die nötige Kompetenz und "ein rudimentäres Verständnis für IT", sagte Bönig.

Fraktionschef Roth ärgerte sich über den Stil Bönigs, davon sei er "nicht angetan". Nicht zum ersten Mal übrigens. "Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit ist keine Einbahnstraße." Dass sich die Grünen nur mit Open-Source-Plänen beschäftigten, sei "Unsinn". Bei zwei Drittel der Themen hätte man sogar gut zusammengearbeitet, etwa bei der Neuorganisation der Computertechnik an den Schulen. Tatsächlich hätten die Grünen aber den Eindruck gehabt, dass der IT-Referent die Open-Source-Projekte der Stadt "verschleppt".

Die Grünen wollten keine komplette Rückkehr der Computertechnik zu Open-Source-Produkten

Insgesamt falle die Bilanz von Bönigs Wirken in den vier Jahren gemischt aus, aber keineswegs schlecht. Und eines betont Roth auch: Die Grünen wollten keine komplette Rückkehr der städtischen Computertechnik zu Open-Source-Produkten. "Wir planen keine zweite Rolle rückwärts beim Betriebssystem und den Office-Anwendungen." Nur in Bereichen, in denen es passt, sollte die Stadt dies prüfen und umsetzen.

Viel Zuspruch erhielt der IT-Referent aus der Opposition. Bönig habe in den vier Jahren "Großes für unsere Stadt geleistet", sagte Sabine Bär, IT-Sprecherin der Fraktion CSU/Freie Wähler. Er habe mit seinem 2018 gegründeten Haus einen Bereich neu organisiert, in dem bis dahin vieles schief gelaufen sei. "Wenig politisch, fachlich richtig. Er hat sich nicht verbiegen lassen."

Er habe vieles umgesetzt, obwohl das Budget gekürzt worden sei, und der Stadt viel Geld gespart, indem er eine eigene IT-Beratung aufgebaut habe. Bönig habe die "Verblendung der Grünen in Sachen Open Source" bestätigt. Man müsse auf Fachleute und Mitarbeiter hören, um optimale Lösungen anzubieten und "Ressourcen nicht durch unnötige Eigenentwicklungen zu verschwenden, wenn es gute sofort einsatzbare Produkte am Markt gibt".

Der IT-Referent sei schon "ein ganz eigener Charakter"

Auch von der Fraktion Linke/die Partei gab es viel Verständnis für Bönig und viel Zuspruch für seine Arbeit. "Ich finde, die Grünen sollten mal überlegen, wie sie mit Referenten umgehen, die nicht ihr Parteibuch haben", sagte Sprecher Stefan Jagel. Bönigs "pragmatische Art" habe der Stadt gut getan. "Ich bedaure es sehr, dass seine Amtszeit nicht verlängert wird." Die Fraktion FDP/Bayernpartei will von der Stadt einen Bericht über Projekte zur Open-Source-Thematik. "Wer nimmt da wo Einfluss und wer stellt welche Gelder in Aussicht", fragte Stadtrat Richard Progl im IT-Ausschuss nach.

Von der SPD, dem Koalitionspartner der Grünen, kamen betont sachliche Kommentare zum emotionalen Streit. Der IT-Referent sei schon "ein ganz eigener Charakter", der nicht unbedingt Wert auf politische Diplomatie lege, sagte IT-Sprecher Lars Mentrup. Aber man müsse Bönig zugute halten, dass er mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das Referat erfolgreich aufgebaut habe und eine Strategie für die Zukunft entwickelt habe. "Es liegt alles vor, jede Hand weiß, was sie zu tun hat."

Die Computerausstattung der städtischen Mitarbeiter auf den aktuellen Stand zu bringen, die Verwaltung und den Bürgerservice auf digitale Prozesse umzustellen und dabei über 800 verschiedene Programme und Verfahren zu koordinieren, sei eine Mammut-Aufgabe. Dass Bönig beim Thema Open Source "wenig experimentierfreudig" sei, das sei schon richtig. Und das sei bei den Grünen spürbar schlecht angekommen.

Diese sollten nun die Nachfolge für Bönig "unbedingt" ausschreiben", fordert die CSU. Das haben die Grünen bereits getan. Doch für die CSU ist die sachliche Auswahl unter den Kandidaten entscheidend. Wenn dort jemand nur aus parteipolitischen Gründen lande, sagte Stadträtin Bär, "kann das für uns ein großes Problem werden".

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