Konzertkritik:Hochdosierte Weltflucht

Konzertkritik: Jonas Kaufmann, Diana Damrau und Pianist Helmut Deutsch sind bei ihrer Tour in der Isarphilharmonie angekommen.

Jonas Kaufmann, Diana Damrau und Pianist Helmut Deutsch sind bei ihrer Tour in der Isarphilharmonie angekommen.

(Foto: Julia Wesely)

Trio der Superlative: Jonas Kaufmann, Diana Damrau und Helmut Deutsch kommen mit Liedern von Robert Schumann und Johannes Brahms in die Isarphilhamonie. Aber nicht alles passt zusammen.

Von Reinhard J. Brembeck, München

Robert Schumann und Johannes Brahms haben viel gemeinsam, auch dass sie beide als Flachländler, Sachse und Hamburger, ihre häufigen Naturbilder gern nur mit Hügeln ausstatten. Schroffe Gebirgszüge oder gar die Alpen sind ihnen, anders als dem immer ins Gewaltige drängenden Anton Bruckner, fremd. Die Natur in den zahlreichen Liedern von Brahms und Schumann ist oft nächtlich, baumbestanden, voller Nachtigallen. Da finden sich Mann und Frau oft nur für Sekunden in einem Kuss, manchmal verzweifelt in einem Kahn am Paradies vorbeitreibend, sich in Wald und Gewitter verlierend.

Diese Innerlichkeit spricht von Weltflucht in ein ersehntes Traumreich, das aber selbst für Liebende meist nicht zu haben ist. Gleich vierzig solcher Weltfluchten hat sich jetzt ein Trio zusammengestellt, wie es disparater und berühmter nicht vorstellbar ist. Da ist der amtierende König der Tenöre und Publikumsliebling, Jonas Kaufmann, dann die Großmeisterin der mühelos geträllerten Koloraturen, Diana Damrau, sowie der Klavierzauberer Helmut Deutsch, auf den viele Liedersänger als Begleiter schwören. Weil Deutsch im Leisen präsent bleibt, nie seine Mitmusiker bedrängt und mit dem Geist der Romantik verheiratet scheint.

Dieses Superlativistentrio ist jetzt bei seiner Tournee auch in der Münchner Isarphilharmonie angekommen, der seit ein paar Tagen wieder zu 100 Prozent belegbare Saal ist voll, bei Kartenpreisen von 60 bis 200 Euro, die die Menschen durchaus zu zahlen bereit sind, um Kaufmann & Co zu hören. Ein Abend mit weniger prominenten Sängern und dem gleichen entlegen ausgefeilten Programm hätte es da schon schwerer. So gut wie keines der Stücke ist Bestandteil des Klassikkanons, Schumanns "Myrthen" sind fast die Ausnahme. Sind viele Menschen nur gekommen, um Kaufmann (mal wieder) live zu hören? Gibt es nach zwei dicht programmierten Stunden nur deshalb keine Standing Ovations, weil nicht Oper, sondern Romantiklied hardcore gesungen wird? Der Abend lädt zum Rätseln ein.

Unüberhörbar ein Opernpraktiker

Wie eine liebevolle Klaviermaschine reiht Helmut Deutsch, virtuos auch mit seinen zusammengeklebten Notenblättern jonglierend, Lied an Lied, jeder der Miniaturen verleiht er die passende Färbung, Dringlichkeit und Erregung. Das ist superb. Damrau und Kaufmann, beide fünfzigjährig, tun sich mit ihrem peinlichen Spiel schwer, junge Liebespaare zu evozieren. Die Augen schließen hilft genauso wie im Programmheft die Texte mitzulesen, die bei ihm besser verständlich sind als bei ihr, aber das ist die Standardcrux mit hohen Sopranen.

Singend geht Damrau die romantische Liebe distanziert an, sie zeigt die Kunstfertigkeit, die in diesen Preziosen steckt, den Witz, die Abgründe. Da ist kein Realismus im Spiel wie bei Kaufmann, der gerade bei Schumann oft auf die überwältigende (Strahl-)Kraft seines mit Verve und Druck agierenden Tenors setzt. Weil ihn weder Deutsch noch Damrau mit Lautstärkeorgien bedrängen, singt Kaufmann auch oft innig zurückgenommen, haucht die Hochtöne zwischen Countertenor und "voix mixte", der Hoch- und Leisetonfinesse der französischen Gesangskunst. Kaufmann ist immer präsent, er vergegenwärtigt, singt direkt, fängt sein Publikum ein. Da ist unüberhörbar ein Opernpraktiker am Werk, der genau weiß, wie man ein Publikum zufriedenstellt.

Das aber passt nicht gänzlich zu Damraus antinaturalistischem Singen, in dem Natur und Liebe als für Menschen unerreichbare Kunstfiktionen erscheinen. Auch stimmlich sind die beiden sich oft so fremd wie die Liebenden der Stücke. Ihr leichter Sopran mit seinen Pastellklängen mischt sich nicht so recht mit seinem dunklen Leidenschaftstenor. Aber dennoch gelingt diesem Abend, auch und vor allem dank Helmut Deutsch, immer wieder die Weltflucht aus der Alltagsmisere aus Krieg und Seuche.

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