Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Entbehrlicher Meister

Fazil Say und das Chamber Orchestra of Europe treten in der Isarphilharmonie ohne Dirigent auf - was fabelhaft gelingt.

Von Klaus P. Richter, München

Fazil Say am Klavier ist immer eine Herausforderung. Aber an diesem Abend in der Isarphilharmonie gab es gleich zwei davon. Denn auch der Dirigent fehlte. Robin Ticciati war krank geworden und das Chamber Orchestra of Europe wagte es, den Abend allein aus eigener Potenz zu gestalten. Das gelang fabelhaft und demonstrierte nicht nur sein Können, sondern auch, wie entbehrlich Maestri sein können. Souverän wurde die Londoner Haydn-Sinfonie ausgeleuchtet, oft fast kammermusikalisch, doch immer mit Profil. Mit dem Steinway kam dann Fazil Say, der in Konkurrenz zu Mozart trat, weil er nach dem C-Dur Konzert KV 467 sein eigenes Konzert "Das verschobene Haus" spielte.

Höhepunkte seiner eigenwilligen Spielfreude wurden die Kadenzen von Mozarts glanzvollem sinfonischem Opus, wo Say sich als flamboyanter Musikdarsteller der Lang-Lang-Klasse produzierte - ganz extravertierte Leidenschaft als zirzensische Version von "Klassik". Dass in einem solchen Stilkonzept die erhabene Trauer des Andantes mit seinem schwebenden Moll-Flair zu kurz kam war unvermeidlich. Dafür beeindruckten die funkelnde Brillanz des Triolenflusses und der Refrain-Taumel des Finalrondos. Dessen Brio nahm er mit in seine Klavierballade, nach einer Legende von Atatürk. Der tritt dort als früher Naturschützer auf, wenn er eine Platane rettet, indem er sein Haus versetzt. Erzählt wird mit viel perkussivem Überschwang ohne Kadenzstrukturen, aber mit Episoden Debussy'schen Klanganimismus dazwischen.

Für die bejubelte Zugabe wählte Say dann ein Eric Satie-Format mit händischen Klangverfremdungen an den Saiten à la Präpariertes Klavier. Dass dem Orchester dann auch die heiklen Stellen in Beethovens Pastoral-Sinfonie so gut gelangen, war auch ein Verdienst der großartigen Konzertmeisterin. Als aktuelle, tragische Besinnung erklang schließlich noch die ukrainische Nationalhymne.

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