Für ein Phantombild des Isarmörders reicht es nicht, was die österreichischen Humangenetiker herausgefunden haben. Aber ein paar Anhaltspunkte hat die Münchner Kriminalpolizei nun doch darüber, wie der Mann ausgesehen haben könnte, der am 28. Mai 2013 am Radweg gegenüber dem Deutschen Museum den 31-jährigen Domenico Lorusso mit mehreren Messerstichen tötete: Der Täter hatte mit hoher Wahrscheinlichkeit braune Augen, eher helle braune Haare und einen "mittleren Hauttyp". Und seine Vorfahren stammen aus Europa. Auf diese Hauptmerkmale lässt sich das wissenschaftliche Gutachten herunterbrechen, das die Experten am Institut für Gerichtliche Medizin der Universität Innsbruck auf Grundlage einer DNA-Spur vom Tatort erstellt haben.
Die Münchner Polizei hatte die vertiefte DNA-Analyse vor einem halben Jahr in Auftrag gegeben, am Donnerstag stellten Josef Wimmer, Chef der Mordkommission, und der leitende Ermittler, Holger Smolinsky, die Ergebnisse vor. Das Gutachten habe seine Erwartungen übertroffen, sagte Wimmer. Mit wissenschaftlicher Genauigkeit wird dort aufgeführt, dass die Wahrscheinlichkeit, mit der der Täter blonde Haare hatte, 22,6 Prozent beträgt. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 68,9 Prozent waren sie braun. Dass er rothaarig war, ist dagegen mit 5,9 Prozent ziemlich unwahrscheinlich, noch unwahrscheinlicher ist, dass sie schwarz waren: 2,6 Prozent.
Es ist das erste Mal, dass das Polizeipräsidium München die Befugnisse nutzt, die das neue Polizeiaufgabengesetz (PAG) ihm an die Hand gegeben hat. Im deutschen Strafrecht ist diese vertiefte DNA-Analyse nicht zugelassen. Die Abgeordneten des Bundestages hatten sich vor einigen Jahren nach langer Debatte dagegen entschieden; es gab Bedenken, dass damit rassistischen Vorurteilen Vorschub geleistet werden könnte. Und dass Informationen offenbart werden, die tief in Persönlichkeitsrechte eingreifen, etwa über Erbkrankheiten oder sexuelle Vorlieben.
Seit der umstrittenen Reform des PAG vor zwei Jahren ist der Polizei in Bayern jedoch erlaubt, auch solche Mittel einzusetzen, die im Strafrecht nicht vorgesehen sind, wenn es der Gefahrenabwehr dient. Damit argumentieren auch Wimmer und seine Kollegen: Da der Täter ausgesprochen aggressiv und aus nichtigem Anlass sehr brutal gehandelt hatte, bestehe die Gefahr, dass er das wieder tun könnte. Um diese Gefahr abzuwenden ist es in den Augen der Münchner Polizei gerechtfertigt, auch Verfahren zur Identifikation des mutmaßlichen Täters anzuwenden, die das Strafrecht sonst nicht zulässt. Die Staatsanwaltschaft wurde nach Angabe Wimmers zwar informiert, die Entscheidung habe aber das Polizeipräsidium gefällt, da es sich um eine polizeiliche Maßnahme handle.
An einem warmen Frühlingsabend vor sieben Jahren war der Ingenieur Domenico Lorusso mit seiner Verlobten auf dem Radweg an der Erhardtstraße auf dem Heimweg gewesen. Als ein Unbekannter am Fahrbahnrand die Frau unvermittelt anspuckte, machte Lorusso kehrt, um den Mann zur Rede zu stellen. Aus der Entfernung sah sie ein kurzes Gerangel, ihr Verlobter sank zu Boden und der Angreifer ging ruhigen Schrittes Richtung Corneliusbrücke davon.
Seitdem ist die Polizei mehr als 600 Hinweisen nachgegangen, mehr als 15 000 Personen wurden vernommen, 5700 gaben Speichelproben ab. Die Daten von 64 000 Handys, die bei Funkmasten im Umfeld des Tatorts angemeldet waren, wurden ausgewertet, fast 7500 Handybesitzter überprüft. Nichts davon hat die Polizei auf die Spur des Täters gebracht. Zwischenzeitlich waren 30 Beamte in der Einsatzgruppe "Cornelius" beschäftigt, inzwischen führt Smolinsky die Ermittlungen weitgehend alleine fort.
Doch auch das neue DNA-Gutachten bringt ihn nun auf keine heiße Spur. Die Beschreibungen treffen mehr oder weniger auf den durchschnittlichen Münchner zu. Die Untersuchung der Y-Chromosomen deutet darauf hin, dass Vorfahren väterlicherseits aus dem Nordosten Europas stammten, im Raum Nordukraine, Weißrussland und Russland. Auch dieses Merkmal dürfte er mit vielen Nachfahren von Vertriebenen teilen.
"Es geht um Wahrscheinlichkeiten", sagt Smolinsky. Zudem könnten sich die Haarfarbe und sogar die Augenfarbe im Laufe eines Lebens ändern. Aber immerhin sei man nun sicher, dass der Täter aus Europa stamme, das sagt die sogenannte biogeographische Herkunftsanalyse, die Teil der Untersuchung war. Doch damit kommen immer noch zig Millionen Europäer infrage.
Die Gefahr, dass der Täter möglicherweise wieder zuschlägt, habe das Mittel gerechtfertigt, selbst wenn die Gruppe der infrage kommenden Personen damit nur geringfügig eingeschränkt wurde und man nur von Wahrscheinlichkeiten sprechen könne, sagt Wimmer. Das Gutachten sei "nichts anderes als eine wissenschaftlich fundierte Zeugenaussage". Wie andere Zeugenaussagen auch, werde sie hinterfragt. Aber da, wo es Schnittpunkte und Übereinstimmungen mit anderen Aussagen oder Indizien gebe, könnten sich Wahrscheinlichkeiten eines Tages zu Gewissheiten verdichten.