Jocki Langbein erinnert sich noch gut, wie er vor drei Wochen in seinem Kajak den Ländkanal in Thalkirchen hinab gefahren ist, zusammen mit seinen beiden Kindern. Es war warm gewesen an diesem Tag, kein Regen. Doch großen Spaß hatten sie nicht. Dem Wasser fehlte die Kraft, die Boote tanzten nicht über die Wellen, schnitten nicht durch die kleinen Walzen. Als die drei wieder an Land gingen, sagten die Kinder, dass die Fahrt eher langweilig gewesen sei. Seitdem waren sie nicht mehr da.
Der Ländkanal ist Münchens einzige Wildwasserstrecke, doch wild ist das Wasser schon lange nicht mehr gewesen. "Man fährt einfach nur runter", sagt Langbein, der seit 40 Jahren im Kanal unterwegs ist und als Vorsitzender des Deutschen Touring-Kajak-Clubs München natürlich genau weiß, dass es nicht dem Anspruch eines Wildwasser-Fahrers entspricht, einen Fluss "einfach nur runter" zu fahren.
Eigentlich hätte die Wassersportsaison am 1. Mai losgehen sollen. Dann wird normalerweise so viel Wasser vom Isarwerkkanal in den Ländkanal geleitet, dass dort für die Kajak-Fahrer eine brauchbare Trainingsstrecke und für die Surfer an der Rampe zur Floßlände eine stabile Welle entsteht. Doch normal ist in diesem Jahr nichts. Den Sportlern, rund 2000 dürften es sein, wurde der Hahn abgedreht. Jetzt soll er sich wieder öffnen.
Er habe "die zuständigen Referate sowie die Stadtwerke München gebeten, das Surfen an der Floßlände im Rahmen eines Testbetriebs umgehend länger zu ermöglichen", teilte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) am Mittwochnachmittag mit. Von dem zusätzlichen Wasser dürften auch die Kajak-Fahrer profitieren. In einem zweiten Schritt, so Reiter, sollen die betroffenen Stellen die Ausweitung der Surfzeiten dem Stadtrat vorlegen.
Dass der Hahn zuletzt geschlossen blieb, hatte auch mit den Stadtwerken München (SWM) zu tun. Die SWM besitzen ein Nutzungsrecht für das Wasser und den Auftrag, Ökostrom zu erzeugen. Deshalb schicken sie das Wasser lieber durch den benachbarten Isarwerkkanal und das Isarwerk 1. Hinzu kommen die Floßbetriebe, deren Ausflüge den Ländkanal hinabführen. Sie brauchen ausreichend Wasser im Ländkanal, sonst würden die Flöße stranden. Deshalb gab es in den vergangenen Jahren einen Kompromiss: Zwischen Mai und September, also während der Floß-Saison, wurde nachmittags mehr Wasser in den Ländkanal eingeleitet. Die Sportler surften gewissermaßen auf der Bugwelle der Flöße.
Doch in diesem Sommer fahren keine Flöße. Die Organisatoren haben die Saison zu Wochenbeginn komplett abgesagt, aus Angst vor einem "Ischgl auf der Isar". Ohne die Flöße gibt es für die Stadtwerke formal keinen Grund, Wasser abzugeben. Stattdessen dürften sie profitieren, weil mehr Wasser als üblich durchs Kraftwerk fließt. Noch am Dienstag klang Jocki Langbein am Telefon enttäuscht. "Wir haben seit Jahren einen guten Konsens gepflegt", sagte er. Nun aber sei das "Agreement stillschweigend ausgesetzt" worden. Er fürchtete sogar, dass ohne die Floßfahrten die gesamte Wassersportsaison ausfallen könnte. Im Zweifel, glaubte er, entscheide sich die Stadt eher für den wirtschaftlichen Faktor, also den Strom. Am Mittwoch dann klingt Langbein euphorisch: "Die Entscheidung hilft uns sehr." Auf die immer wieder vorgetragenen Forderungen der Sportler, freiwillig Wasser abzugeben, hatten die Stadtwerke in den vergangenen Wochen zurückhaltend reagiert. Auch vom OB-Büro gab es nur vage Äußerungen nach einem offenen Brief, in dem die Sportler vor einem Monat baten, den Ländkanal wieder besser zu versorgen. Es würden Gespräche laufen, hieß es. Diese endeten am Mittwoch mit einem Ergebnis, das sich für die Sportler wie ein Sieg anfühlt.
Der Ländkanal gilt als ideale Sportstätte, öffentlich erreichbar, gut geeignet auch für eine schnelle Runde nach der Arbeit. Hier können Anfänger etwas lernen und Fortgeschrittene für alpine Flüsse üben. Gerade jetzt in der Corona-Zeit, in der es lange Zeit schwierig war, mit Vereinskollegen zu Flüssen in Österreich oder Slowenien zu fahren, fehlte der Kanal den Vereinen besonders. Langbein berichtete von einer zuletzt wachsenden Unzufriedenheit unter den Mitgliedern. "Für viele ist es witzlos, wenn es keinen sportlichen Ansporn gibt", sagte er. Und Jesko Klammer, Sportwart beim Kanu-Club Turngemeinde München (TGM) erzählte, dass mangels sportlicher Herausforderung vor allem die etablierten Fahrer auf das Training verzichteten. Von etwa 30 Breitensportlern des TGM kämen nur noch fünf.
Noch schlimmer als die Paddler hat die Ebbe im Ländkanal die Surfer getroffen. Normalerweise bildet sich während der Floßsaison an der Rampe vor der Floßlände eine grünliche Wasserwulst, eine Walze, kräftig genug, um einen Menschen auf einem Brett zu tragen. Doch in diesem Sommer sprudelte dort nur weiße Gischt. Den Surfern fehlt damit eine von nur drei stationären Wellen, die es in der Stadt gibt. Statt an die Floßlände, die als Anfängerwelle gilt, gehen Ungeübte an den viel wilderen und gefährlicheren Eisbach.
"Die Situation war bedenklich", sagte Fischer. Nun dürfte sich die Lage aber entspannen: "Klar, sind jetzt alle happy. Die Arbeit hat Früchte getragen." Er hatte zuletzt ja immer wieder darauf gepocht, dass die Surfer für München eine wichtige Rolle spielen. Dass auch die Sportler ein Anrecht hätten auf das Wasser. Er glaubt nach der Entscheidung, dass der Oberbürgermeister das ähnlich sieht. Dieser ließ zumindest mitteilen: "Die Münchner Flusssurfer haben eine lange Tradition in der Stadt und sind dazu ein echter Publikumsmagnet."
Jocki Langbein, der Kajak-Fahrer, will an diesem Donnerstag mal wieder ins Training gehen. Er wird den Isarwerkkanal hinaufpaddeln und dann in den Ländkanal abbiegen. Vielleicht wird die Strömung schon stark genug sein, vielleicht wird er die Kraft des Wassers spüren, das Gefühl, mit der Strömung zu spielen. Er sagt, dass er es vermisst hat.