Süddeutsche Zeitung

Isar:Die besondere Beziehung der Münchner zu ihrem Fluss

Früh wurde an der Isar gefeiert und in ihr gebadet, dann verkam sie zu einer in Beton gefassten Kloake. Jetzt sind die Ufer wieder renaturiert - und der Fluss lockt bedrohlich viele Menschen an.

Von Thomas Anlauf

Aus dem Karwendelgebirg springt a kloana Bach. Er is so wuid hinter Scharnitz und weida geht's zum Sylvenstein." Der Bach, den der Münchner Musiker Willy Michl seit mehr als vier Jahrzehnten in seinem Lied "Isarflimmern" besingt, ist beachtlich angeschwollen, wenn er Dutzende Kilometer nördlich des Quellgebiets am Fuß des Großen Lafatschers im Hinterautal durch München rauscht.

Die Isar ist eine manchmal eisblaue, derzeit moosgrüne Schönheit, die der Stadt sehr gut steht. Und die Menschen sind stolz auf diesen Gebirgsfluss, der nun dank der aufwendigen Renaturierung vor bald zehn Jahren eine sommerliche Verheißung von Sonne und Leichtigkeit des Lebens bedeutet. Und doch ist diese Verheißung auch ein Fluch.

Sobald sich die Sonne zeigt, radeln und laufen Tausende Münchner zwischen Tierpark und Kabelsteg an ihre Lieblingsstellen am Isarufer, sie haben Müll im Gepäck und lassen ihn dort. Sie bauen Musikboxen auf und bequalmen Zootiere und Bewohner von Thalkirchen bis zum Lehel mit Grillgeruch. Die Münchner Polizei sah sich angesichts von Sommerpartys am Fluss veranlasst, vor wenigen Tagen eine Mahnung zu schreiben: "Und wir dachten, Umweltschutz wäre für viele ein wichtiges Thema ..." Es habe am vergangenen Wochenende mehr als eintausend Anrufe wegen Ruhestörungen gegeben und allein deshalb mehr als 400 Einsätze und die Beamten hätten "völlig vermüllte Grünanlagen" vorgefunden. "Es ist Eure Stadt, nehmt Rücksicht auf Anwohner und Natur. Danke!", twitterte die Polizei.

Kommt das überraschend, dass Menschen in München im Sommer ins Freie drängen? Kaum. Die Isar wurde zwischen 2003 und 2011 von ihrem Kanalkorsett befreit und sollte attraktiver werden - speziell für die Münchner. Jahrzehntelang hatten sich vor allem Starnberger, Weßlinger, Wörthseer und Bewohner des Ammersees darüber beschwert, dass Münchner mit ihren Autos an die Seen fahren, Parkplätze und Liegewiesen blockieren, wenig Geld, aber dafür viel Müll hinterlassen. Die stetig wachsende Stadt, aber auch die Bedrohung durch die Isar durch regelmäßige Flutwellen aus den Bergen bescherten München deshalb schließlich den Isarplan.

München und der Freistaat gaben viele Millionen aus, um den Fluss weniger gefährlich und ihn zugleich attraktiver für die Münchner zu gestalten. Der Kanal wurde geöffnet und die Ufer flacher, eine einsame Baumgruppe auf einer trostlosen Rasenfläche wurde vom Wasser der Isar umspült und so zur heutigen Weideninsel. Anfangs sollte das künstlich angelegte Eiland besonders geschützt werden vor Feiernden. Doch das neue Robinson-Crusoe-Angebot war für viele Münchner zu verlockend, die Insel im Fluss ist längst ein Treffpunkt geworden, auch wenn das Umweltschützer nicht gerne sehen.

Es ist ja auch ein Dilemma. Mit dem wachsenden Umweltschutzgedanken verwandelte sich die Isar über die Jahrzehnte von einem geschundenen Fluss, der bis in die Neunzigerjahre eine Art Abwasserkanal war mit Wasserkraftwerken, Wehren und Betonwänden, zurück in einen klaren Gebirgsfluss mit zumindest Badequalität. "Amtlich bestätigt: Die Isar ist Deutschlands erster Fluss, in dem man dank modernster Klärtechniken wieder ohne hygienische Bedenken baden darf", schrieb der Journalist Michael Ruhland in einem Beitrag zum Buch "Die Isar. Stadt, Mensch, Fluss", das Ruhland vor zehn Jahren herausgegeben hat. Noch in den Neunzigerjahren war die oftmals türkisblau schimmernde Isar eine Kloake, wer als Kind am Flaucher baden ging, bekam von den Eltern die Mahnung, bloß kein Wasser zu schlucken. Durchfall oder Schlimmeres wären die Folgen gewesen.

Noch heute erinnert der Name "Praterinsel" an den einstigen Vergnügungspark nach Wiener Vorbild

Dabei gibt es Fotografien aus den Dreißigerjahren im vergangenen Jahrhundert, auf denen Hunderte Menschen am Flauchersteg im Fluss planschen. Weiter flussabwärts zwischen Müllerschem Volksbad und Kabelsteg tummelten sich schon Anfang des Jahrhunderts die Münchner in merkwürdigen Badeanzügen. Am Deutschen Museum gab es sogar eine riesige Wasserrutsche. Und heute noch erinnert der Name "Praterinsel" an den einstigen Vergnügungspark nach Wiener Vorbild.

Der Bluesmusiker Willy Michl erinnert sich noch gut an seine Kindheit vor bald sieben Jahrzehnten, als er im Lehel aufwuchs und ständig an der Isar spielte und badete. Er schnitt sich dort schon als Kind die Füße an Glasscherben auf, weil Leute ihre leeren Flaschen in den Fluss warfen. Das ist ihm bis heute eine Lehre. Für ihn ist die Isar heilig. "Wer an die Isar geht, muss sich darüber im Klaren sein, dass er sich an einem Ort aufhält, der so einmalig ist, dass man ihn gar nicht genug schützen kann", sagt der 69-Jährige.

Irgendwie kann er die Menschen zwar auch verstehen, dass sie gerade nach den psychisch belastenden Wochen, als es praktisch Ausgangsverbot gab und die Polizei zeitweise sogar Menschen von Parkbänken vertrieb, in Massen an die Isarufer strömten. "Gerade in der schweren Zeit müssen die jungen Menschen auch mal ein Ventil suchen." Wenn wenigstens die Sicherheitsabstände eingehalten würden, wäre das für Michl auch tolerabel. Doch viele Münchner würden sich weder daran halten, noch ihren Müll wieder mitnehmen: "Leute, es geht nicht nur um euern Fun, ihr müsst euer Leben ändern: Es geht um die Existenz."

Tatsächlich setzen einige Menschen aufs Spiel, dass die Isar weiterhin ein besonderer Ort für Begegnungen und zur Erholung bleibt. Denn auch für die Politiker ist die Isar längst zum Thema geworden. Schon vor Jahren schalt Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) die Müllfeiernden als Saubären und erst vor vier Tagen warnte Ministerpräsident Markus Söder (CSU), er werde bei Partys wie der an der Isar, an der am vergangenen Woche angeblich zehntausend Menschen waren, "nicht endlos zuschauen". Söder bezog das zwar auf die Gefahr von möglichen Corona-Infektionen. Aber auch im Münchner Rathaus beschäftigen sich die Fraktionen mit dem heiklen Thema an der Isar.

Zwar wirbt Stadtbaurätin Elisabeth Merk seit Jahren dafür, die Isar für noch mehr Menschen attraktiver und zugänglicher zu machen. Dafür hat sie sich zuletzt im vergangenen Herbst in einer der sogenannten Flussrunden stark gemacht, die darüber diskutiert, ob und wo es bessere Zugänge zur Isar oder gar ein Flussbad geben könnte. Doch aus der neuen Koalition kommen angesichts der vielen Feiernden kritische Töne. Die SPD-Fraktionsvorsitzende Anne Hübner will das Treiben am Fluss eher entzerren. Die Münchner sollten sich nicht nur auf die Isar als Ort konzentrieren, vielmehr müssten neue Begegnungsorte im Sommer geschaffen werden. "Die Isar soll möglichst kommerzfrei und möglichst naturnah erhalten bleiben", sagt Hübner. Mehr Zugänge zum Fluss seien trotzdem nötig, aber für ein Flussbad sieht sie derzeit "keine große Priorität" in der neuen Koalition mit dem größeren Partner, den Grünen. Auch von dort ist zu hören, dass beim Flussbad in nächster Zeit "eher nichts" entschieden wird.

Bei der SPD wird nach SZ-Informationen derzeit sogar über ein fraktionsinternes Papier diskutiert, ob die beliebte Feierzone südlich der Tierparkbrücke eingeschränkt werden müsste. Dort gebe es "Handlungsbedarf" für eine Abwägung zum Schutz von Anwohnern und Tieren im Zoo und dem Bedürfnis vieler Menschen, sich am Fluss aufzuhalten und den Sommer zu genießen. Dabei kontrolliert in dem Bereich bereits seit Jahren ein Sicherheitsdienst, ob die Musik zu laut ist oder ob an bestimmten Stellen - etwa in der Nähe von Büschen oder der Tierparkbrücke - illegal gegrillt wird. Im Notfall alarmiert die Security die Polizei. Doch die ist seit der Lockerung der Corona-Beschränkungen auch längst an anderen Orten wie dem Gärtnerplatz im Einsatz, um die Menschen davon zu überzeugen, vernünftig genügend Abstand zu wahren und nicht unnötig die Anwohner mit nächtlichem Lärm zu quälen.

Der "Isarflimmern"-Poet Willy Michl hat für die Isar ein einfaches Rezept. Man müsse den Fluss lieben, ihn respektieren. Und den Müll wieder mitnehmen.

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Quelle:
SZ vom 04.07.2020/lfr
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