Süddeutsche Zeitung

München:Die Fischerin im Großstadtrevier

Daniela Bohlinger ist eine der wenigen Frauen, die in der Isar fischen. Für die 51-Jährige ist ihre Leidenschaft Meditation - und ganz nebenbei praktizierter Naturschutz.

Von Thomas Anlauf

Ihr Revier ist die Großstadt. Trambahn Linie 17, Haltestelle Deutsches Museum. Daniela Bohlinger steigt aus, läuft hinüber auf die Nordseite der Ludwigsbrücke und blickt auf den Fluss. Die Isar rauscht moosgrün, flammend rote Laubbäume breiten ihre Äste über den Fluss aus. "Da unten ist eine", sagt Daniela Bohlinger und deutet aufs Wasser. Eine Forelle steht dort in der Strömung, ein paar Meter weiter noch eine. "Das Wasser heute ist ein Traum", ruft die 51-Jährige und lacht. "So klar!" Die Isar hat neun Grad Celsius, Daniela Bohlinger steigt in die reißende Strömung. Sie ist jetzt ganz in ihrem Revier.

Die Frau mit den bergbachblauen Augen ist eine der wenigen aktiven Fischerinnen in München. Etwa 1100 Mitglieder hat der Verein "Die Isarfischer", davon ist nur etwa ein Prozent weiblich, schätzt Daniela Bohlinger. Dabei ist Fischen keineswegs ein Nischenphänomen. Im Landesfischereiverband, die größte Organisation für Angler, Teichwirte und Berufsfischer in Bayern, sind 137 000 Mitglieder registriert. Das entspricht der Bevölkerung von ganz Ingolstadt oder einem Prozent der Menschen im Freistaat. Wie viele in Bayern insgesamt auf Fischfang gehen, weiß auch der Landesverband nicht, denn nur wer Mitglied in einem Fischerverein ist, wird auch beim Verband geführt. Aber auch hier wird deutlich: Angeln ist nach wie vor ein Männerhobby. Im vergangenen Jahr legten 7932 Männer die Fischereiprüfung ab, aber nur 1080 Frauen.

Daniela Bohlinger kann nur vermuten, woran der niedrige Frauenanteil unter den Fischern liegt. Da ist natürlich das uralte Klischee vom Mann als Jäger, der einsam in der Wildnis unterwegs ist und der Familie das Essen bringt. Vielleicht liege es aber auch daran, dass unter vielen Fischern nach wie vor die Vorstellung herrsche, der Mann zieht am Wochenende allein los, während sich die Frau um die Kinder kümmert. "Dabei ist es beim Wandern doch auch ganz normal, dass die Kinder in der Kraxe mitkommen", sagt sie und hebt die Schultern. Für sie ist Fischen ohnehin mehr, als nur eine Forelle fürs Mittagessen zu fangen. "Kochtopfangler" nennt sie Leute, die losziehen, um am Ufer schon in der Früh ein Bier zu trinken und nach dem ersten Fang wieder die Rute einzupacken. Sie geht lieber mit ihrem Mann Tobias bergsteigen, um später an einem Gebirgsbach oder einem kleinen versteckten See die Natur zu genießen und dort dann auch die Angel auszuwerfen. "Indianerfischen" nennt sie diese Naturerlebnisse.

Daniela Bohlinger ist leidenschaftliche Fliegenfischerin, sie ist keine von denen, die stundenlang ruhig am Ufer sitzen und warten, bis ein Glöckchen an der Rute klingelt und ein Fisch angebissen hat. An diesem Novembertag hat sie sich die Kleine Isar als Revier ausgesucht, vor sich die nördliche Museumsinsel mit dem Vater-Rhein-Brunnen, im Rücken das Müllersche Volksbad. Sie steht am Rand der Stromschnellen im Fluss in ihren schweren wasserdichten Anglerschuhen, der hellgrauen Wathose, der rostfarbenen Funktionsjacke und der blauen Cap, auf der das Logo des "Flyfisher's Club of Oregon" aufgenäht ist. Sie schwingt die selbst gebaute Rute, die lange Angelschnur kreist wie ein Lasso in der kühlen Herbstluft. Sanft landet der kleine Köder auf dem Wasser. Nichts. Wieder kreist die Schnur und landet schließlich einen Meter weiter im Fluss. Daniela Bohlinger hat sich für eine Trockenfliege als Köder entschieden, ein winziges braunes Gebinde mit kleinem Haken ohne Widerhaken. Jetzt im November sei es schwieriger, die Regenbogenforellen in der Isar anzulocken. Wenn es überhaupt noch lebende Fliegen in dieser Jahreszeit gebe, dann seien sie deutlich kleiner als im Sommer. Fische reagieren angeblich darauf, ob ein Köder in die Jahreszeit passt oder nicht. Das zu wissen, zählt zum Erfahrungsschatz der Fliegenfischer. Ebenso, das Wasser lesen zu können: Wo ist die größte Strömung, wo sind Abbruchkanten, an denen sich die Fische gerne tummeln? "Fische halten sich da auf, wo es für sie am bequemsten ist", sagt Daniela Bohlinger. Und noch so eine Anglerweisheit hat sie parat: "Je kälter das Wasser ist, desto tiefer stehen die Fische." Das Wissen hat sie sich hart erarbeitet. Es war im Jahr 2006, als sie bei einer Beobachtung von der Begeisterung des Fliegenfischens gepackt wurde. Eines Tages spazierte sie von Haidhausen über eine Isarbrücke und betrachtete einen Angler im Fluss. "Das hat mich fasziniert, wie er mitten im Wasser steht, aktiv ist, aber gleichzeitig in großer Ruhe", sagt sie heute. Sie machte daraufhin den Fischereischein, was bedeutete, ein halbes Jahr lang jedes zweite Wochenende einen Kurs zu besuchen. Viel Biologie, aber auch Recht und Umweltschutzthemen stehen dort auf dem Lehrplan. Denn der Verein "Isarfischer", bei dem sie und ihr Mann seit 13 Jahren aktiv sind, gilt als anerkannter Naturschutzverein. Die Mitglieder helfen bei der regelmäßigen Auskehr der Stadtbäche und organisieren seit vielen Jahren Aufräumaktionen entlang der Ufer. Sie kümmern sich um die Renaturierungsmaßnahmen ebenso wie um den Fischbesatz im Auer Mühlbach, der Isar und den von ihnen bewirtschafteten Seen und Weiher. So werden jedes Jahr zahlreiche Bachforellen ausgesetzt, die meisten werden später allerdings gar nicht erst gefangen, sondern verenden jeden Spätsommer am Forellensterben, einer bislang nicht gänzlich aufgeklärten tödlich verlaufenden Krankheit.

Auch die Industrie-Designerin macht ganz selbstverständlich bei der Bachauskehr und dem Abfischen mit, erst kürzlich watete sie mit anderen Isarfischern im halbtrockenen Auer Mühlbach durch den Tierpark Hellabrunn und entdeckte einen ziemlich großen Hecht. Doch die fette Beute behielt sie nicht selbst, der Hecht schwimmt nun in einem Aquarium des Tierparks. Für Daniela Bohlinger ist es ohnehin nicht so wichtig, ob sie einen Fisch fängt oder nicht. Manchmal steht sie an einem Gebirgsbach und freut sich einfach am Anblick von stattlichen Forellen im Wasser. Es geht ihr um das Gesamterlebnis in der Natur - auch mitten in der Stadt. "Nach der Arbeit radel ich öfter an die Isar", sagt die Leiterin für "Sustainability in Design" bei BMW. "Da kann ich komplett abtauchen", sagt sie und blickt auf den rauschenden Fluss. "Das muss ich auch. Wenn ich in Gedanken woanders bin, bin ich ein lausiger Fischer." Dann brauche sie oft eine Stunde, bis ihr überhaupt ein vernünftiger Wurf gelingt. Fischen, sagt sie, bedeute für sie vor allem Achtsamkeit und Meditation.

Sie ist nun ein ganzes Stück weit die Stromschnellen in Richtung Kabelsteg gewatet. Im flachen Wasser beobachtet ein Stockenenten-Erpel das Geschehen in seinem Revier. Jetzt im November ist Daniela Bohlinger allein hier an der Isar. Nur im Herbst und im Frühjahr könne man an dieser Stelle fischen, "sonst ist zu viel Halligalli". Sie steht jetzt wieder am Ufer und hat eine im Flussbett liegende Bierflasche mitgebracht. Aus ihren zwei großen Brusttaschen zieht sie noch weitere Fundstücke hervor, die Feiernde im Fluss hinterlassen haben: den Deckel einer Coladose und den Absatz eines Damenschuhs.

So etwas ärgert Daniela Bohlinger wirklich. Sie feiert selbst gerne an der Isar, "aber mit Respekt vor der Natur". Ihr ist natürlich klar, dass die Fischer nur ein Teil der vielen Freizeitnutzer des Flusses in München sind. Die Isar gehöre eben allen und das sei das Schöne daran. "Der Fluss ist so nah und die Wasserqualität so hoch - das ist Lebensqualität. Wir müssen uns doch glücklich schätzen, hier zu leben", sagt sie und nimmt den Müll mit. Das war ihre einzige Beute an diesem Tag.

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Quelle:
SZ vom 22.11.2019
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