Süddeutsche Zeitung

Verkehrspolitik:Streit um Isar-Boulevard

  • Der Verein Isarlust setzt sich für einen autofreien Isar-Boulevard ein.
  • Einen entsprechenden Antrag haben die Mitglieder in den zuständigen Bezirksausschüssen eingebracht. Das Anliegen spaltet die Parteien.
  • Grüne und ÖDP befürworten das Projekt, CSU, SPD und FDP lehnen es mehrheitlich ab.

Von Fabian Huber

Wenn Benjamin David am Wochenende aus seiner Wohnung am Baldeplatz tritt, befindet er sich mitten in der Kampfzone. Fußgänger gegen Kleinlaster. Radfahrer gegen SUVs. Der Polo gegen den A8. "Auf den Wegen und Straßen ist dort Krieg", sagt David. "Drei Wochen nach unserem Einzug ist ein Mofafahrer von einem Lkw totgefahren worden. Das muss aufhören." Und weil für den Vorstandsvorsitzenden des Vereins Isarlust nichts aufhören wird ohne ein Zeichen an die Politik, hat David einen Versuch gewagt: 18 Abendtermine bei Münchner Bezirksausschüssen (BA), sieben Zuschussanträge, eine große Vision: den autofreien Isar-Boulevard. Das schafften die Pariser schließlich selbst auf ihrer Lebensader, den Champs-Élysées (wenn auch nur jeden Sonntag).

Isarlust hatte wegen dieser Idee für dreierlei eine Zuwendung aus den Stadtbezirksbudgets gefordert: Am 21. Juli findet ein Sternfußmarsch statt. Von 23 Startpunkten aus sollen Bürger in Richtung Isar flanieren, nicht nur am Fluss selbst entlang, sondern auch auf Plätzen in Gehweite, von denen aus, so die Vorstellung, zukünftig "Stich-Boulevards" für Fußgänger zur Isar führen sollen. Im Herbst ist ein Bürgerworkshop auf der Praterinsel geplant und 2020 als Abschluss ein Kunstprojekt: Straßenkehrmaschinen werden Farben über eine 4,5 Kilometer lange, potenziell fahrzeuglose Strecke verteilen.

David hat ein breites Bündnis hinter sich versammelt. 42 Organisationen unterstützen seinen Plan, die Resonanz bei den Bezirksausschüssen fällt bisher aber mau aus. Von den insgesamt etwa 42 000 beantragten Euro wurden gerade einmal 2500 Euro bewilligt. Im BA Au-Haidhausen wird der "Stadtteilbezug als problematisch gesehen, aber nicht abgestritten", heißt es im Sitzungsprotokoll. Deshalb habe man sich mehrheitlich für eine reduzierte Förderung von 1500 Euro entschieden. Selbiges gilt für die Kollegen aus Untergiesing-Harlaching, die nur 1000 Euro zuschießen - mit der Auflage, dass mindestens ein Workshop im Stadtbezirk stattfinden muss.

Der Antrag spaltet die Bezirksausschüsse

Der BA Bogenhausen lehnte den Antrag mehrheitlich ab. Ebenso die Bezirksausschussmitglieder in Schwabing-Freimann. Das Projekt sei unausgegoren, die Ifflandstraße nicht für einen Isarboulevard geeignet und der Verkehr werde in die Wohnviertel verdrängt, lässt Petra Piloty (SPD) wissen. Der BA in der Ludwigs- und Isarvorstadt verweigerte sich gar einstimmig und verlangte einen gesonderten Antrag zum Workshop mit detailliertem Konzept. Der Sendlinger BA entschied sich für eine Vertagung und schickte einen Fragenkatalog an Isarlust. Einzig in Altstadt-Lehel wird noch Ende Juni im Vollgremium entschieden.

Davids Antrag löst in den Stadtbezirken eine Grundsatzdebatte aus, das zeigt das Beispiel Bogenhausen. Der dortige BA ist tief gespalten. Grüne und ÖDP sind naturgemäß für einen autofreien Isar-Boulevard, während CSU, SPD und FDP sich gegen einen Zuschuss aussprachen - aus verschiedenen Gründen. Ein autofreier Kufsteiner Platz? "So schlecht hat noch niemand versucht, einen lokalen Bezug herzustellen. Das war katastrophal", schimpfte CSU-Fraktionssprecher Xaver Finkenzeller in der jüngsten Sitzung. Sein Parteikollege Peter Reinhardt warf dem Antragsteller vor, tendenziös zu sein. "Eine politische Meinung sollte auf einem anderen Weg durchgesetzt werden." Schließlich käme auch niemand auf die Idee, einen AfD-Antrag zur Islamisierung des Abendlandes zu bezuschussen. "Dieser Vergleich ist unterirdisch", sagte David zur SZ.

"Unsere Fraktion stimmt tatsächlich mal gegen Geldausgeben", sagte auch Christiane Hacker von der SPD. Aus dem Antrag gehe nicht hervor, "dass die Bürger des Bezirks Nutznießer gewesen wären. Wir können nicht anfangen, mit der Gießkanne über Projekte zu gehen."

David erntet Zustimmung - und Gelächter

Anders sehen es die ökologischen Parteien. Der Workshop könne doch von allen Bürgern besucht werden, die über das Thema diskutieren wollten, und sei deshalb eben nicht tendenziös, argumentierte Nicola Holtmann von der ÖDP. Und die BA-Vorsitzende Angelika Pilz-Strasser (Grüne) fand das Projekt zwar "hundsmiserabel promotet" ("Man hätte es nicht schlechter machen können"), doch sei sie der Meinung, "dass die Isar ein immenser Schatz ist, der unser Stadtviertel etwas angeht". Eine Verkehrswende müsse es geben. "Das sagt sogar der Oberbürgermeister", so Paula Sippl (Grüne). Großes Gelächter in den Reihen der CSU. Ein spöttischer Zwischenruf: "Der Messias!" Die Debatte hatte sich endgültig in den Winkeln großspuriger Städteplanung verkeilt.

Dabei ging es Benjamin David nach eigener Aussage nur darum, "ins Gespräch mit den Bezirksausschüssen zu kommen". "Wir haben einen langen Atem", sagt er. In der Tat: Die nächsten Zuschussanträge müssen nur noch zu Papier gebracht werden. Für das Kunstprojekt 2020 will der Aktivist um Geld aus den Fördertöpfen des Münchner Bau- und Kulturreferats bitten. Und selbst die EU soll bald Post bekommen.

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SZ vom 19.06.2019/lfr
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