Interkulturelles Zentrum:Ende einer Multi-Kulti-Gemeinschaft

Interkulturelles Zentrum: Ein offenes Haus als Treffpunkt für viele: Im Kantinen-Café des Kulturzentrums an der Arnulfstraße - rechts Vorstandsmitglied Nina Vishnevska - gibt es reichlich Raum für Begegnungen.

Ein offenes Haus als Treffpunkt für viele: Im Kantinen-Café des Kulturzentrums an der Arnulfstraße - rechts Vorstandsmitglied Nina Vishnevska - gibt es reichlich Raum für Begegnungen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Drei Vereine betreiben an der Arnulfstraße ein Haus für Bildung und Integration, das 90 Gruppen Platz bietet. Nach der Kündigung durch den Vermieter suchen sie ein neues Zuhause.

Von Sonja Niesmann

Die Angst vor der ungewissen Zukunft spricht aus der Stimme und aus den Augen von Nina Vishnevska, der Gründerin und Vorstandsvorsitzenden von Gorod: "Wenn das hier kaputt geht, ist mein Leben kaputt." "Das hier" ist eine Art riesige interkulturelle Wohngemeinschaft auf vier Stockwerken. Ein Haus an der Arnulfstraße 197 in Neuhausen, das sich die Initiativgruppe (IG) zur interkulturellen Bildung und Begegnung, das Kulturzentrum Gorod/GIK und der Verein "Morgen", ein Netzwerk Münchner Migrantenorganisationen, teilen. Ein Haus, dessen Türen immer offenstehen; kein Pförtner stellt sich neugierigen Besuchern in den Weg.

Nie hätte sie das erwartet, als sie aus der Ukraine nach München gekommen sei, sagt Maria Solomina: "Dass ich in dieser Stadt so etwas Internationales und Freundliches finden würde, eine Gemeinschaft von Menschen, die sich mögen, die zusammenarbeiten." Sogar einen Job hat sie gefunden bei Gorod (russisch für "Stadt"). Doch nun steht diese Gemeinschaft vor dem Auseinanderbrechen: Der Vermieter hat ihr zu Ende März gekündigt. Zu den Gründen äußert er sich auf Anfrage nicht, seine Mieter erzählen von anhaltenden Auseinandersetzungen um die Beseitigung erheblicher Mängel, dass sie vieles gerne selbst gemacht hätten, aber nicht gedurft hätten. "Dabei würde das Haus so viel hergeben, wenn es ein bisschen renoviert würde", bedauert Oscar Thomas-Olalde vom IG-Vorstand.

Interkulturelles Zentrum: 90 Gruppen nutzen den interkulturellen Treffpunkt im Haus an der Arnulfstraße.

90 Gruppen nutzen den interkulturellen Treffpunkt im Haus an der Arnulfstraße.

(Foto: Stephan Rumpf)

Ein Samstagvormittag in dem vierstöckigen Bau direkt neben dem Briefverteilzentrum. In einem Raum sitzen drei Frauen vor einer langen Liste mit Verb-Konjugationen an der Wand - fangen, er fängt, er hat gefangen - und plaudern noch ein wenig. In einem anderen haben sich Erstklässler zum muttersprachlichen Russisch-Unterricht der Gorod-Samstagsschule versammelt, am Nachmittag wird man Griechisch, Armenisch oder Tibetisch hören. Im dritten Stock bastelt Tamara Adlung aus Ahornblättern hübsche kleine Blumensträußchen mit Kindern und unterhält sich dabei auf Russisch mit ihnen, in der nächsten Stunde wird es Englisch sein. Aus einem Zimmerchen für Musikunterricht dringen Gitarrenklänge und die warme Singstimme eines Jugendlichen.

In der Café-Kantine im ersten Stock sitzen Eltern und kleinere Geschwister, holen sich Waffeln am Büffet-Tresen vor der Küche. Und im Erdgeschoss, in einem eher notdürftig möblierten, wie eine Gewerbehalle anmutenden Saal findet ein "Morgen"-Fachtag zu globalem Lernen und postkolonialem Diskurs statt, in flammenden Worten werden deutscher Waffenexport in die Türkei oder die Situation von Frauen auf Guadeloupe gegeißelt. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen im Treppenhaus und in den verschachtelten Fluren. Gut 90 verschiedene Gruppen treffen sich hier, an sieben Tagen die Woche, zu Spitzenzeiten halten sich 400 Menschen auf in dem Haus, für das sie leider nie einen griffigen Namen gefunden haben.

Die Initiativgruppe, die Deutsch- und Integrationskurse, Alphabetisierungs- und Orientierungskurse anbietet, ist schon seit 2013 in dem Haus beheimatet, sie ist die Hauptmieterin. Im Frühjahr 2019 zog Gorod, vor 23 Jahren von sogenannten Kontingentflüchtlingen, also jüdischstämmigen, russischsprachigen Einwanderen aus der ehemaligen Sowjetunion gegründet, mit ein, samt dem 2013 mit der IG geborenen "gemeinsamen Kind", dem Verein Morgen. Unter seinem Dach haben sich rund 50 Vereine und Gruppen zusammengeschlossen, die Mitgliederliste reicht vom "Afro-Deutschen Akademiker-Netzwerk" über die Initiative Kongolesischer Deutscher und den Tscherkessischen Kulturverein zum Vietnamesischen Wohlfahrtsverein und "Venezuela en Baviera"; Vereinszweck ist Unterstützung, Beratung, Kontaktvermittlung sowie Kulturveranstaltungen und Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche. Aber auch Gäste nutzen die Räume, Gorod ist Partner des Selbsthilfezentrums bei der sogenannten Raumbörse: Selbsthilfegruppen können sich kostenlos einmieten, andere bürgerschaftlich engagierte Gruppen bekommen die Räume günstig.

Weil sie alle drei das Seite-an-Seite-Arbeiten für ihre gemeinsamen Ziele - Integration, Bildung, Vernetzung - so wertvoll finden, weil Kontakte zwischen Menschen unterschiedlichster Kulturen bei solch räumlicher Nähe fast wie von selbst geknüpft und intensiviert werden können, würden die IG, Gorod und Morgen gerne auch künftig zusammenbleiben. Gemeinsam suchen sie nun ein neues Zuhause. Einfach wird das nicht, das ist allen klar. Allein die Initiativgruppe und Gorod bräuchten zusammen gut 2500 Quadratmeter Platz, für je 15 Unterrrichtsräume, dazu Büros, Aufenthaltsräume, Veranstaltungsräume.

Interkulturelles Zentrum: Einladung an alle: Ob es gelingt, die Träger wieder alle in einem gemeinsamen Domizil unterzubringen, ist ungewiss.

Einladung an alle: Ob es gelingt, die Träger wieder alle in einem gemeinsamen Domizil unterzubringen, ist ungewiss.

(Foto: Stephan Rumpf)

Und "Organisationen wie wir, Menschen mit fremd klingenden Namen", merkt Oscar Thomas-Olalde an, "haben es bei Vermietern auch nicht leicht", zumal wenn sie finanziell auch nicht wirklich konkurrenzfähig auf dem Münchner Immobilienmarkt sind. Plan B sieht daher zwangsläufig vor, dass sich jeder alleine umtut, oder vielleicht zwei von drei Partnern etwas Gemeinsames finden, erklärt Peter Hilkes, Projektkoordinator bei "Morgen". Sein Verein hat es vermutlich am leichtesten, er braucht nur drei kleinere Büros und einen gößeren Raum.

"Mein Traum" - Nina Vishnevska hat ihre Emotionen niedergekämpft - "mein Traum wäre ein Haus für uns im städtischen Besitz." Oder ein städtisches Grundstück, auf dem sie alle drei mit Hilfe eines Investors, der für Integrationsarbeit aufgeschlossen ist, gemeinsam bauen könnten. Ein schöner Traum. Aber wenn die Stadt nicht helfen kann, wenn es solche Investoren nicht gibt, wenn sich nicht ganz schnell eine Perspektive auftut, dann wird Anfang April eine Menge Menschen, die an der Arnulfstraße 197 in vielerlei Hinsicht einen Boden unter den Füßen in ihrer neuen Münchner Heimat gefunden haben, auf der Straße stehen.

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