Süddeutsche Zeitung

Kaut-Bullinger schließt:"Hier habe ich meinen ersten Füller bekommen"

Generationen von Schulkindern haben mit ihren Eltern bei Kaut-Bullinger an der Rosenstraße eingekauft. Doch nun hat der Räumungsverkauf begonnen. Warum schon wieder ein Traditionsgeschäft aus der Innenstadt verschwindet.

Von Sabine Buchwald

Helmut Fischer alias Monaco Franze lebt in den Herzen der Münchner weiter, der Kaut-Bullinger demnächst nur noch online. Was haben der beliebte Schauspieler und seine Kunstfigur mit einem alteingesessenen Fachgeschäft für Büroartikel zu tun? Die Vergänglichkeit und der - jedenfalls bei den Fans berühmte Spruch - vom Monaco: "Aus is und gar is, und schad is, dass's wahr is!". Diese drei Zeilen sind seit ein paar Tagen auf einem der großen Schaufenster bei Kaut-Bullinger an der Rosenstraße plakatiert. Und wer noch nicht sofort versteht, was hier los ist, der kann auf der Scheibe nebenan lesen: "Totaler Räumungsverkauf ab 28.09." Schon seit vergangenem Dienstag also. Viele ungläubige Gesichter sieht man trotzdem am Samstagvormittag. Die Nachricht vom Ende des Haupthauses der Firma mit dem griffigen Doppelnamen scheint längst noch nicht eingesickert zu sein in den Köpfen der Münchner.

"Oh nein, heißt das, schon wieder verschwindet ein Traditionsgeschäft aus der Innenstadt?", fragt eine Dame, die mit einem ihr ähnlich sehenden Mädchen kopfschüttelnd und langsam in den Laden geht. Statt wie früher ein gediegenes, aufgeräumtes Ambiente finden die beiden nun Berge von Rucksäcken, Reihen von Kerzen und Taschen im Eingangsbereich. Es sieht hier tatsächlich nach Ausverkauf aus. "Alles muss raus" steht auf Plakaten und auf den Treppenstufen. Weiter hinten liegen stapelweise Handtücher, im unteren Geschoss warten Kochtöpfe, Pfannen und Messerblöcke, entdeckt man bei einem Rundgang durch das Haus.

Der Hoflieferant von einst, der den Adel mit feinen Papieren und Federn versorgte, hatte sich anscheinend auf die Bedürfnisse der Arbeit im Home-Office eingestellt. "Die schließen? Das darf doch nicht wahr sein", sagt eine junge Frau mit suchendem Blick, offensichtlich um Orientierung in dem ihr bekannten Laden bemüht. "Hier habe ich meinen ersten Füller bekommen."

Andreas Kaut eröffnete den ersten Schreibwarenladen an der Kaufingerstraße

Von solch lebensprägenden Episoden bei Kaut-Bullinger können sicher unzählige Menschen erzählen. Seit dem Zweiten Weltkrieg und nach der Zerstörung der Läden an der Residenz- und Theatinerstraße ist die Firma an der Rosenstraße zu finden. Die Geschichte von Kaut-Bullinger geht bis ins 18. Jahrhundert und zu Firmengründer Andreas Kaut zurück. Der gebürtige Freisinger hatte als Volksschullehrer mit Schreibutensilien zu tun, fand seinen Lebenstraum aber eher bei Papier als in der Pädagogik. Von Kurfürst Karl Theodor erhielt er 1794 die Erlaubnis, Papiere herzustellen, und schon ein gutes Jahrzehnt später eröffnete Kaut Münchens ersten Schreibwarenladen an der Kaufingerstraße. Mit zunehmender Bildung gab es bald mehr und mehr Konkurrenz. 1890 soll es 125 Schreibwarenhändler gegeben haben, ist in der Firmenchronik nachzulesen, darunter auch die Firma Bullinger. Nicht alle diese Händler überlebten und blieben in der Hand der Gründerfamilie. Das trifft auch für Kaut-Bullinger zu.

Seit dem Jahr 1927 firmieren die beiden Unternehmen unter einem Doppelnamen, aber unter anderer Leitung. Und seit 1992 ist der Sitz der Firma mit einem großen Logistikzentrum in Taufkirchen angesiedelt. Von dort aus wird es vor allem für Großkunden weitergehen. Der stationäre Einzelhandel samt Beratung ist passé. Generationen von Schulkindern haben hier mit ihren Eltern eingekauft, Künstler ihre Farben und Pinsel ausgesucht.

"Muss man jetzt alles im Internet bestellen?", fragt ein Mann eine Kassiererin im ersten Stock, wo es noch eine Karten- und Briefpapier-Auswahl gibt, wie sonst nirgends in der Stadt. Er wirkt geknickt. Virtuell kann man nicht mit den Fingern über Bütten-Blätter streichen oder das Gmunder Papier befühlen, das man sogar in Hollywood kennt. Die Verkäuferin nickt und tröstet ihn, dass der Laden ja noch bis Mitte Februar geöffnet sei. Dabei hat sie selbst Trost nötig. "Was wird denn aus Ihnen", fragt eine Kundin, die gerade zahlt. "Ich gehe dann zum Arbeitsamt", bekommt sie zur Antwort.

Nur ein Teil der Angestellten könne übernommen werden, Genaueres werde derzeit noch ausgehandelt, hört man aus der Firmenzentrale. Warum dieser lang gezogene Ausverkauf? "Wir wollen den Münchnern die Chance zum Abschied nehmen geben", sagt Robert Stefani, Sprecher der Marketingabteilung. Wie seine Kollegen bedauert er die Schließung sehr. 13 Filialen hatte Kaut-Bullinger einst. Neben München gibt es noch Läden in Landshut, Passau, Neu-Ulm und Weiden. Bei ihnen werden die Lichter schon früher ausgehen. "Wir haben Angst vor einem neuerlichen Lockdown, deshalb haben wir so früh mit dem Abverkauf begonnen", sagt Stefani. Bei Schreibmayr, der für edle Schreib-Utensilien stand und zur Firma gehörte, waren im vergangenen Winter von einem Tag auf den anderen die Türen zu.

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SZ vom 04.10.2021/mmo
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