Menschen mit BehinderungEin Eis, das alle trägt

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Flora Sturz und ihr Vater Christian haben zusammen Spaß auf der Eisfläche des SAP Garden.
Flora Sturz und ihr Vater Christian haben zusammen Spaß auf der Eisfläche des SAP Garden. (Foto: Stephan Rumpf)

Ob mit oder ohne Hilfsmittel – der erste Inklusionseislauf im SAP Garden stößt auf große Begeisterung. Für viele Teilnehmer mit einer Behinderung ist es das erste Abenteuer auf dem Eis.

Von Ekaterina Kel

Flora Sturz kann gar nicht aufhören zu lächeln. Sie ist gerade für eine kleine Pause vom Eis gefahren. Die Räder ihres Rollstuhls sind mit einem blauen Speichenschutz dekoriert. „Es war super cool“, sagt die Zehnjährige. Sie meint das Eislaufen auf der Eisfläche, für sie war es das erste Mal. Ihr Vater Christian Sturz hat sie dabei im Rollstuhl auf dem Eis geschoben, auf Schlittschuhen. Er fühle sich sehr sicher so, weil er sich am Rollstuhl seiner Tochter festhalten könne, sagt er. „Wir sind zusammen total schnell“, so Sturz, ebenfalls mit breitem Lächeln.

Die beiden Münchner sind an diesem Sonntag zum SAP Garden gekommen, der neuen riesigen Sportarena am Münchner Olympiapark. Hier finden nicht nur Eishockey-Profispiele statt, eine Fläche im untersten Stockwerk des runden Gebäudes ist auch für den Publikumseislauf geöffnet. Normalerweise können hier bis zu 600 Menschen gleichzeitig auf Schlittschuhen ihre Kreise drehen. Doch gerade gehört das Eis einer anderen Klientel. An diesem Sonntag sind Menschen mit Behinderung ausdrücklich eingeladen, zum Inklusionseislauftag.

Dieser findet zum ersten Mal statt. Die Regeln: Die Musik ist etwas leiser als sonst, es sind deutlich weniger Menschen auf der Fläche, man soll ausdrücklich Rücksicht aufeinander nehmen. Künftig soll es den inklusiven Eislauf hier einmal im Monat geben.

Natürlich sei es theoretisch auch an jedem anderen Tag möglich, dass etwa ein Rollstuhlfahrer hierherkomme, sagt Lutz Pfleghar, der für die Stiftung Pfennigparade inklusive Sporterlebnisse organisiert und auch für diese Veranstaltung auf dem Eis verantwortlich ist. Die speziellen Eisgleiter, auf die man einen Rollstuhl spannen kann, stünden hier stets bereit. Aber wenn man dann der einzige mit so einem Gleiter sei und sich nicht sicher fühle, dann gebe es auch kein großes Erfolgserlebnis.

Die Veranstaltung sei für alle offen, auch für Menschen ohne Behinderung, das sei ja inklusiv, so Lutz. Aber es sei eben wichtig, dass Menschen, die einen besonderen Bedarf haben, sich auch angesprochen fühlten. Deshalb sei die Botschaft dieser Veranstaltung: „Du bist willkommen. Und falls du Unterstützung brauchst, sind hier helfende Hände.“ Er habe auch schon organisiert, dass Menschen mit Behinderung Stand-up-Paddling machen. „Geht nicht, gibt’s nicht“, sagt Pfleghar, der auch im Behindertenbeirat der Stadt München aktiv ist.

Bei den Teilnehmern kommt das Konzept sichtlich gut an.
Bei den Teilnehmern kommt das Konzept sichtlich gut an. (Foto: Stephan Rumpf)

Das Konzept scheint gut anzukommen. Alle 150 Tickets seien ausverkauft, bestätigen zwei Mitarbeiter des Sportreferats der Stadt, die diesen Sonntag mitorganisiert haben. Auf der Fläche sieht man lauter glückliche Kinder- und Erwachsenengesichter, viele kennen sich, begrüßen sich mit Handschlag oder einem vertraulichen Klopfer auf die Schulter. Viele trauen sich mit dem Rollstuhl ohne Hilfsmittel aufs Eis, manche spannen einen Eisgleiter darunter, wiederum andere stützen sich auf einen sogenannten Frame Runner, eine Art Laufdreirad, das das Gewicht des Oberkörpers hält und es den Menschen so ermöglicht, die Beine zu bewegen, die normalerweise im Rollstuhl sitzen. Für diesen Tag hat man kurzerhand Eiskufen dranmontiert.

„Einfach mal ein Abenteuer erleben.“ Deshalb ist die Familie Kalkühler hierhergekommen. Karina Kalkühler schaut von der Tribüne aus zu, wie ihr Mann den neunjährigen Sohn Lennart übers Eis schiebt. Auch ein junger Mann, der bei ihnen Au-pair macht, ist dabei. Ohne zu wissen, was überhaupt möglich sei mit einem Rollstuhl, wollten sie mal schauen und ausprobieren, sagt Kalkühler. Dank eines Eisgleiters kann Lennart nun eislaufen, zum ersten Mal. „Jeder wie er kann, Hauptsache auf dem Eis“, so beschreibt Kalkühler die Veranstaltung. Vater, Sohn und Au-pair lassen sich an den Rand zur Mutter gleiten. „Es ist total schön, aber auch anstrengend“, sagt der Vater. Dann fragt er den Sohn: „Möchtest du weiterfahren?“ – ein unbedingtes „Ja!“ kommt sofort als Antwort.

Auch Flora Sturz will weiterfahren. Sie schlägt die Hände in den dicken Woll-Fäustlingen zusammen, der Vater nimmt die Handgriffe ihres Rollstuhls, dann geht es für sie aufs Eis, zur nächsten Runde.

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