München:In Grund und Boden geredet

Nach dem Aus für die Stadtentwicklungsmaßnahme (SEM) im Norden kommt jetzt auch aus dem Bezirksausschuss Bogenhausen ein Nein. Die CSU findet eine Mehrheit für den Antrag, dieses Instrument im Areal zwischen Daglfing, Englschalking und Johanneskirchen abzulehnen

Von Ulrike Steinbacher

Es hat im Münchner Norden Bürgermeister gegeben, deren Verhandlungsgeschick war legendär. Sie kannten ihre Gemeinden bis in den letzten Winkel, waren mit den meisten Bauern per du und brachten stets die Grundstücke zusammen, die sie für ihre Projekte brauchten: Der TU-Campus und die erste U-Bahn in den Landkreis entstanden so. Nun ist München nicht Garching, und Christian Ude hatte eine andere Amtsauffassung als sein Parteifreund Helmut Karl. Auch fehlt in einer Großstadt gewöhnlich der direkte Draht zur Verwaltung, der Bürger muss sich den Weg durchs Bürokratie-Dickicht bahnen, Sackgassen umgehen, Barrieren überwinden. Das sollte man im Hinterkopf haben, wenn man verstehen will, warum die Stadt mit ihrem Neubauprogramm in Feldmoching und Daglfing-Johanneskirchen einen Aufstand der Grundeigentümer auslöste: Die Protagonisten fanden einfach keine gemeinsame Sprache.

Im September 2011 kündigte OB Ude das Neubauprojekt für ein 600 Hektar großes Areal zwischen Daglfing, Englschalking und Johanneskirchen an. Erschlossen werden sollte es mit dem Instrument der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (SEM). Sie ist dazu gedacht, große Gebiete aus einem Guss zu entwickeln, inklusive Straßen, U-Bahn, Kindertagesstätten. Abgerechnet wird zum Schluss: Was an Geld übrig ist, wenn Gebäude und Infrastruktur fertig sind, wird unter den Eigentümern aufgeteilt. Ist die SEM einmal beschlossen, gehen alle Grundstücke zu einem günstigen Preis an die Stadt. Eigentümer, die alles blockieren, können enteignet werden.

Seit 2012 laufen die Voruntersuchungen für die SEM, und damit begannen die Missverständnisse. Mag sein, dass die Daglfinger und Johanneskirchner aus der Sprache der Stadtverwaltungsjuristen vor allem Arroganz und Überheblichkeit heraushörten, mag sein, dass die Verwaltungsleute die Existenzängste der Landwirte einfach nicht verstanden, deren Familien zum Teil seit Generationen auf den Höfen leben. Vielleicht war im Planungsreferat die Kompetenz für Grundstücksverhandlungen nicht geklärt, jedenfalls sagen die Eigentümer, dass bis heute niemand mit ihnen geredet habe. Da kam es bei ihnen natürlich gar nicht gut an, dass die Stadt auf der anderen Seite der Öffentlichkeit schon mal Entwürfe für den neuen Stadtteil vorstellte. Genauso wenig erbaut waren sie, als Stadtbaurätin Elisabeth Merk im Sommer 2016 zuallererst die Presse darüber informierte, dass das Quartier viel größer werden soll als ursprünglich geplant: Wohnungen für 30 000 Menschen statt für 10 000, Arbeitsplätze für 10 000 statt für 2000.

Echte Abwehr wurde aus dem Gegrummel im Nordosten aber erst, als die Stadt in eine separate SEM Nord einsteigen wollte. Im Gebiet um Feldmoching formierte sich sofort Widerstand, und die Initiative "Heimatboden", in der die Gegner sich organisierten, stellte ihre Protestplakate im Sommer 2017 auch im Nordosten auf. Die Heimatboden-Leute fanden heraus, dass dort längst Grundstücke in GmbHs eingebracht wurden, sodass ihr weiterer Verbleib nicht mehr nachzuvollziehen ist, bekamen aber auch auf hartnäckige Nachfragen von der Stadt keine Antwort - allen Transparenz-Versprechen zum Trotz. Am Ende setzte sich in den Köpfen alteingesessener Daglfinger und Johanneskirchner wohl der Eindruck fest, dass sie enteignet werden sollten, während gleichzeitig Immobilienspekulanten munter Grundstücke horteten.

Zu erwähnen ist noch die Rolle der CSU. Im Stadtrat hatte sie zwar stets für die SEM votiert und erst im September 2017 eine Kehrtwende vollzogen, im Bezirksausschuss (BA) Bogenhausen aber formulierte sie schon viel früher Kritik an zu hohen Neubauten, an eigenmächtigem Verwaltungshandeln, an Fehlplanungen. Der Ton war schrill: "Kein neuer Stadtteil aus Plattenbauten!", stand im März 2017 auf CSU-Plakaten. Und dass der stellvertretende BA-Vorsitzende Robert Brannekämper im Oktober wieder in den Landtag gewählt werden will, dämpft die Lautstärke natürlich nicht. Am Dienstagabend hat die CSU nun im BA mit einer Stimme Mehrheit ihre Forderung durchgesetzt, nach der SEM Nord auch die SEM Nordost aufzugeben. 50 Zuhörer klatschten lautstark Beifall. "Was in Feldmoching als Irrweg angesehen wird, kann nicht als Königsweg in Daglfing vorgeschlagen werden", heißt es in der Begründung des Antrags. Stattdessen solle in Kooperation mit den Eigentümern qualitativer Wohnraum geschaffen werden. Inhaltlich stimmten Grüne und SPD zwar vielen CSU-Argumenten zu, anders als die Christsozialen wollten sie aber nicht sofort ein Signal der Ablehnung senden, sondern lieber in Ruhe abwarten, wie das kooperative Stadtentwicklungsmodell aussehen soll, das OB Dieter Reiter jetzt propagiert.

Nicola Holtmann (ÖDP), deren Stimme für den CSU-Antrag den Ausschlag gab, begründete ihr Votum mit dem ungebremsten Wachstum, angesichts dessen auch ein neuer Stadtteil für 30 000 Menschen "nur ein Tropfen auf dem heißen Stein" sei. Die Stadt müsse die Entwicklung endlich mit einem Gesamtkonzept steuern und selber entscheiden, wo und wie stark sie wachse: "Man muss den Mut haben zu sagen, wir haben jetzt erst mal genug Arbeitsplätze."

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