Süddeutsche Zeitung

Shoppen:Die Hohenzollernstraße - Münchens alternative Fußgängerzone

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Alteingesessene Buchläden, kleine Boutiquen und niemand, der einem im Gedränge auf die Füße tritt: Die Einkaufsmeile in Schwabing ist ein Ort, an dem man noch in Ruhe shoppen kann.

Von Franziska Gerlach

Angekommen. Jetzt wollen sie erst einmal durchschnaufen, einen Happen essen bei dem leckeren Italiener dort vorne. Carola Holmer deutet die Straße hinab, auf einen Punkt in 50, vielleicht auch 100 Metern Entfernung. Die Regensburgerin und ihre Tochter sind aus der Münchner Innenstadt nach Schwabing geflüchtet. Die Kaufingerstraße, so sagen sie, das sei ja der helle Wahnsinn, dieses Gedränge. Da gehen sie lieber dorthin, wo man in Ruhe shoppen kann, es aber dennoch Filialen angesagter Modemarken gibt: in die Hohenzollernstraße.

Und das Mutter-Tochter-Gespann hat ja auch Recht: Hier läuft man nicht Gefahr, sich beim Shoppen gegenseitig auf die Füße zu treten, auch das Wort "bummeln" führt sich bislang noch nicht selbst ad absurdum. Eine Frau schiebt ihren Kinderwagen über den Gehweg, ein Baby mit rosa Mütze knabbert darin an einer Breze. Zwei Mädchen drücken sich an der Schaufensterscheibe eines Schuhgeschäftes die Nase platt. Rabattschilder sieht man auch hier, die Winterware muss raus. Trotzdem kann von einer Schnäppchenjagd, bei der sich die Leute einem Heuschreckenschwarm ähnlich über die Angebote hermachen, nicht die Rede sein. Wer hier hingeht, der weiß in der Regel ganz genau, wonach er sucht.

Dass es so beschaulich zugeht an diesem Winternachmittag, finden viele Kunden gut. Nach Ansicht mancher Händler geht es aber fast ein wenig zu beschaulich zu. "Teilweise ist es zu ruhig", sagt Sabine Pilgram, seit 1999 Inhaberin der Boutique Saima, Hohenzollernstraße 46. Große Klagen äußert sie aber nicht. Eher kleine Wünsche. Ein paar Bäume fände sie schön, oder wenn sie im Sommer vor ihrem Geschäft eine kleine Bank genehmigt bekäme. Das würde der Straße gut tun.

Der große Trubel ist Geschichte. Vor 20 Jahren sei an einem Samstag auf der Hohenzollernstraße so viel los gewesen wie in der Fußgängerzone. Daran erinnert sich Christian Hackl, Inhaber von "Living Colour", noch gut. Selbst Überlegungen, diese zu einer solchen zu machen, habe es gegeben. Heute würden hier vor allem Mütter einkaufen, denen die Parkplatzsuche in der Innenstadt zu anstrengend ist, erläutert der Geschäftsmann. Dazu Touristen, die im Reiseführer von den kleinen, besonderen Geschäften gelesen hätten. "Und viele Leute aus dem Viertel."

Nach Angaben des bayerischen Handelsverbandes liegt die Kaufkraft in Schwabing-Freimann ungefähr ein Drittel über dem Bundesdurchschnitt. "Für mich läuft's okay", sagt Hackl und klopft auf den Kassentresen. Er nimmt die Hohenzollernstraße so, wie sie eben ist. Arrangiert sich mit dem veränderten Konsumverhalten. Dazu gehört, dass er lieber auf jene Kunden setzt, die ein individuelles Angebot schätzen, anstatt mit den großen Internet-Shops um die Gunst der Kunden zu rangeln. Etwas mehr Aufmerksamkeit täte der Hohenzollernstraße aber dennoch gut. Doch die vor einigen Jahren unternommenen Versuche, die vielen Läden an der langen Straße zu einer Werbegemeinschaft zu vereinen, seien im Sand verlaufen. "Aus Geldgründen", wie er sagt.

Vor allem die kleinen Händler kommen schwer gegen den Online-Handel an

Dabei sei ein solcher Verbund eine gute Möglichkeit, um eine Straße zu beleben, weiß Bernd Ohlmann, Sprecher des Handelsverbandes. In einer solchen Gemeinschaft sollten dann idealerweise nicht nur Händler aktiv werden, sondern auch Gastronomen und Immobilieneigentümer. Auch einheitliche Öffnungszeiten könnten dem Geschäft zuträglich sein. "Gemeinsam kann man sich besser vermarkten", sagt Ohlmann. Vor allem die kleinen Händler kommen schwer gegen den Online-Handel an. In vielen Stadtteilen und Umlandgemeinden sind in den vergangenen Jahren Shoppingcenter entstanden. Und wenn die Leute sich dann auf den Weg nach München machen, ist die Kaufingerstraße offenbar zuweilen die erste Wahl.

An der Hohenzollernstraße vollzieht sich der Wandel inzwischen leiser, das Auge hat sich an große Markennamen entlang der Straße gewöhnt. "Ich meine, es hat sich etwas beruhigt", sagt Werner Lederer-Piloty (SPD), der Vorsitzende des Bezirksausschusses Schwabing-Freimann. In jüngster Zeit hätten ihn jedenfalls aus den Reihen der Stadtteilvertreter keine Beschwerden erreicht. Folgte früher die Mode auf Geschäfte des täglichen Bedarfs, so folgt inzwischen oft Mode auf Mode - etwa im Fall des Berliner Labels "Liebeskind", das im vergangenen März nach nur anderthalb Jahren dem dänischen Modelabel "Only" Platz machte.

Manchmal kommt aber auch eine ganze Weile gar nichts auf den Verkaufsflächen nach. Miriam Jacks etwa fand über ein Jahr hinweg keinen Nachmieter; kalt kostet die gut 130 Quadratmeter große Fläche 7500 Euro. "Da ist man mit allen Drum und Dran bei 10 000 Euro im Monat", sagt sie, "wie soll sich das jemand leisten, der keiner Kette angehört?"

An manchen Tagen ist niemand auf der Straße

Leerstand. Der Gedanke daran begeistert Alexander Bertrand nicht. Er blickt auf die andere Straßenseite. Zu dem Haus, in dem früher mal eine Metzgerei war. Und jetzt? Nichts. "Je mehr Läden leer stehen, desto uninteressanter wird eine Straße", fürchtet der Händler. In den Regalen hinter ihm türmen sich die Jeans bis unter die Decke, sein Vater hatte den Laden 1931 als Geschäft für Berufskleidung gegründet. Im Nachbarhaus hat sich nun ein Immobilienbüro eingerichtet, erzählt er - und seine Mimik verrät, dass er sich einen anderen Nachbarn gewünscht hätte. Denn auch Bertrand gefiele die Hohenzollerstraße lebendiger besser. Andererseits, nicht alle Neuzugänge seien schlecht. "Deargoods" zum Beispiel, die Kette für vegane Mode, findet er spannend. Nur wann die Kunden kommen, das lasse sich kaum mehr absehen. An manchen Tagen sei viel los, an anderen wenig. "Und an manchen Tagen ist niemand auf der Straße."

Unberechenbar, das mag die Hohenzollernstraße vielleicht sein. Und manchmal sicherlich auch zu ruhig. Sie ist aber auch eine urbane Flaniermeile, die sich trotz der Filialisten eine gute Mischung bewahrt hat. Anders als die Edelvariante in den "Fünf Höfen" ist Rewe-City hier ein ganz normaler Supermarkt, es gibt noch alteingesessene Buchläden, Schreibwarengeschäfte und inhabergeführte Boutiquen. Potenzial, findet Handelsverbandssprecher Ohlmann, habe die Hohenzollernstraße in jedem Fall. "Das ist ein klassisch gewachsener Einzelhandelsstandort." Und wo, abgesehen vom Rotkreuzplatz, gibt es das in München noch ...

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SZ vom 11.02.2017
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