Untergiesing:Gefährlich undurchsichtiger Immobiliendeal

Wohnanlagen am Mittleren Ring, Baufeld

Ein großes Baufeld, direkt am Mittleren Ring gelegen: die Anlage zwischen Candid-, Hans-Mielich-, Krumpter- und Agilolfingerstraße.

(Foto: Robert Haas)

Entlang der Candidstraße könnte die Stadt über ihr Vorkaufsrecht auf einen Schlag mehrere Hundert Wohnungen erwerben - das Kommunalreferat aber rät eindringlich davon ab.

Von Sebastian Krass

Ein heruntergekommener Bau aus den Fünfzigerjahren, an dem unerbittlich der Autoverkehr vom Mittleren Ring vorbeirauscht. Wie es wohl sein muss, in diesen Wohnungen zu leben? Diese Frage kam einem stets, wenn man an der Candidstraße 2 bis 16 in Untergiesing vorbeikam. Inzwischen hat sich die Frage erledigt, der Gebäuderiegel ist abgerissen. Dahinter zum Vorschein kommen ein schmutzig-gelber Block in schlechtem Zustand und drei blütenweiße Riegel, saniert, mit angebauten Balkons und ein Stockwerk höher. Alles zusammen bildet das Immobilienprojekt "Wohnen am Candidplatz", das kürzlich für bis zu 160 Millionen Euro verkauft wurde und am Dienstag wegen eines Vorkaufsrechts im Kommunalausschuss des Stadtrats behandelt wird.

Allerdings rät Kommunalreferentin Kristina Frank wegen "erheblicher rechtlicher und finanzieller Risiken" davon ab, das Vorkaufsrecht auszuüben, wie es in der nicht-öffentlichen Beschlussvorlage heißt, die der SZ neben anderen Dokumenten zu dem Thema vorliegt. Zu undurchsichtig ist offenbar der Deal zwischen zwei Firmen aus Grünwald und zu knapp sind die Fristen, die einzuhalten wären.

Um die Geschichte zu verstehen, hilft ein Blick zurück: Die Anlage zwischen Candidstraße, Hans-Mielich-Straße, Krumpterstraße und Agilolfingerstraße mit 228 Wohnungen war vom Bau im Jahr 1952 bis ins Jahr 2010 im Eigentum der Wohnungsgesellschaft GBW. Schon bevor der Freistaat die ganze GBW an Patrizia verkaufte, stieß er die Anlage in Untergiesing an das private Unternehmen Rock Capital ab. Dieses erhöhte die Mieten und verkaufte die Anlage später weiter an die Candid Immobilien Projekt GmbH. Deren Geschäftsführer entwickelten den Plan, den vorderen Block abzureißen und in größerem Stil neu zu bauen sowie die hinteren Blöcke zu sanieren und aufzustocken. Die Stadt gewährte den Investoren Befreiungen von den Vorgaben des Bebauungsplans, mit denen das Baurecht sich auf 355 Wohnungen erhöhte. Im Gegenzug verpflichteten diese sich, 69 Mietwohnungen gemäß der "Einkommensorientierten Förderung" (EOF) zu bauen. Der erste von drei Bauabschnitten ist fertig, der Rest soll bis 2024 folgen.

Nun haben die bisherigen Eigentümer das Projekt an eine GmbH namens Core 3 Grundstücksgesellschaft Projekt 1 verkauft, hinter der die Grünwalder Vermögensverwaltungsfirma KGAL steht. Der vorläufige Kaufpreis beträgt 148 Millionen Euro, kann aber je nach Mietertrag auf 160 Millionen Euro steigen. Die "Zielmieten" für die frei finanzierten Wohnungen betrügen laut Kaufvertrag 15,50 bis 26 Euro pro Quadratmeter, heißt es in der Vorlage aus dem Kommunalreferat.

Das städtische Bewertungsamt ermittelte einen Verkehrswert der Anlage von 155 Millionen Euro. Die Stadt müsste aber die Preise aus dem Kaufvertrag zahlen, wenn sie das Vorkaufsrecht zieht. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft Gewofag, in deren Eigentum die Anlage dann fiele, rät in einer Stellungnahme dringend davon ab. Sie schreibt von "vielen offenen und ungeklärten Punkten des umfassenden Vertragskonvoluts", einem "finanziellen Risiko im zweistelligen Millionenbereich" und einem "sehr hohen Verlustrisiko bei Insolvenz der Vertragspartner". Zudem würde die Erstvermietung der frei finanzierten Wohnungen durch den Verkäufer erfolgen, die Gewofag mithin erst später die Mietpreise gestalten können.

Das Kommunalreferat verweist zudem darauf, dass eine erste Rate von 79 Millionen Euro schon im dritten Quartal 2021 fällig würde, 33 Millionen Euro davon würden an niederländische und luxemburgische Konten von ausländischen Gesellschaften gehen, die "in nicht erkennbarer Weise" mit den Verkäufern verbunden seien, was zusätzliche Risiken berge. Die vielen offenen Fragen waren dem Kommunalreferat zufolge nicht zu klären, da die Frist von zwei Monaten, innerhalb der das Vorkaufsrecht ausgeübt werden muss, bald abläuft. Zudem haben die Verkäufer und die Käufer erklärt, dass sie kein Vorkaufsrecht der Stadt sähen und klagen würden, wenn die Kommune es geltend mache.

Ein Geschäftsführer der Verkäuferfirma ist gleichwohl um das Wohlwollen des Stadtrats bemüht. In einem Brief an die Mitglieder des Kommunalausschusses schildert er, dass man darauf verzichtet habe, die Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umzuwandeln, obwohl das anfangs möglich gewesen wäre, weil damals für das Gebiet noch keine Erhaltungssatzung galt. Zudem habe man das Ziel, "die vorhandene Mieterstruktur zu erhalten". Es habe nach der ersten Modernisierung auch "kein einziger Mieter aufgrund der Mieterhöhung seine Wohnung verlassen" müssen, da dem eine erhebliche Ersparnis bei den Betriebskosten gegenüberstehe.

Die Stadtratsfraktionen berieten am Montag über ihre Position zum Thema. Aus der größten Fraktion von Grünen/Rosa Liste gab es keine Aussage dazu, wie man abstimmen wird. Man begrüße den geplanten Wohnungsbau generell, es sei aber immer noch schade, dass die GBW das Areal damals nicht an die Stadt verkauft habe. Der Koalitionspartner SPD/Volt ließ eine Anfrage unbeantwortet. Aus der CSU hieß es, man überlege, "wie man den Mieterschutz optimal realisieren kann". Die Fraktion FDP/Bayernpartei kündigte an, man werde wie üblich gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts stimmen. ÖDP/Freie Wähler teilen die Einschätzung der Verwaltung, dass die Risiken bei diesem Vorkaufsrecht für die Stadt enorm wären. Für Linken-Stadtrat Stefan Jagel stellt sich die Frage, "warum die Stadt in den Verhandlungen über das deutlich größere Baurecht nicht mehr bezahlbaren Wohnraum rausgeholt hat".

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