München:Immer auf dem Sprung

Wer sich der Isar an der Marienklause mit wachen Sinnen nähert, der taucht ein in das unablässige Rauschen des Flusses. Und Wasserwachtlerin Daniela Haupt hat stets ein offenes Ohr für alle jene, die ihre Hilfe brauchen

Von Jürgen Wolfram

Den Ghettoblaster in der rechten, die Bierflasche in der linken Hand, so nähert sich das feierwütige München dem Objekt seiner Begierde. Ungleich berauschender aber wirkt die renaturierte Isar in der Stadt, wenn man sich ihr mit wachen Sinnen nähert. So wird etwa der Aufenthalt an und auf der Marienklausen-Brücke in Thalkirchen leicht zum akustischen Abenteuer. Vor allem, weil der Fluss hier, über eine Dükerkante stürzend, tatsächlich unablässig rauscht. Das ist sonst keineswegs der Fall - wenn nicht gerade Hochwasser herrscht und dem Fluss implantierte Schwellen zu überwinden sind, bewegt sich die Isar unglaublich leise auf die Stadtmitte zu. Vielleicht ein Gurgeln rund ums Schwemmholz, ein sanftes Plätschern entlang der Kiesbänke und Floßrutschen.

An der Marienklause schwillt im Sommer weniger das Wasser als eine typische Geräuschkulisse an. Ein Potpourri aus Stimmengewirr, dem Aufstampfen von Joggerbeinen, dem Scheppern von Fahrradketten. Dazu das Juchzen jener Hartgesottenen, die sich in die eiskalten Fluten trauen. Und aus der Ferne manchmal ein Robbenschrei aus dem Tierpark Hellabrunn oder Fetzen eines Trinkliedes, die von der Floßlände herüberwehen. Seltener, glücklicherweise viel seltener ertönt ein Hilferuf aus einem kenternden Schlauchboot oder der Schmerzensschrei eines Radlers, der auf Splitt gestürzt ist und sich den Unterarm aufgeschürft hat. Sofern die Station Marienklause der Wasserwacht München-Mitte besetzt ist, verhallen solche Alarmsignale garantiert nicht ungehört. Dafür sorgt Daniela Haupt, die ehrenamtliche Vorsitzende der Wasserwacht für den Bereich zwischen Brudermühlbrücke und Großhesseloher Brücke.

München: Auf Empfang: Daniela Haupt ist verantwortlich für die Sicherheit.

Auf Empfang: Daniela Haupt ist verantwortlich für die Sicherheit.

(Foto: Stephan Rumpf)

Daniela Haupt, 33 Jahre alt und im Hauptberuf Buchhalterin, hat während ihrer 16-jährigen Mitgliedschaft bei der Wasserwacht, einer Organisation des Bayerischen Roten Kreuzes, ein feines Gehör und einen scharfen Blick für das Treiben entwickelt. Bei Hochwasser steht Alarm bei ihr und ihrer Crew gewissermaßen auf dem Dienstplan. Denn dann entsteht unterhalb der Marienklausenbrücke eine tückische Wasserwalze, in der schon viele Bootsfahrer unterzugehen drohten, die einem Kurs des Leichtsinns folgten. Auch Baumstämme, die an Brückenpfeilern oder Floßrutschen hängen bleiben, sind brandgefährlich. "Schlauchboot!" - das ist denn auch eine Art Alarmschrei bei der Wasserwacht, der eine Kette von Reaktionen in Gang setzt. Vom Ufer oder von einem Steg aus fliegen dann Wurfsäcke ins Wasser, an die sich Verunglückte klammern können, bis sie aus dem Nass gefischt werden. In besonders kritischen Fällen dröhnt ein Rettungshubschrauber im Isartal, meistens aber nimmt der Passant den Ernst der Lage durch intensiven Digitalfunkverkehr der Wasserwacht-Helfer wahr. So oder so ist es mit der Ruhe im Ausflugsparadies erst einmal vorbei. "So was kommt aber nicht oft vor", berichtet Daniela Haupt, denn Hochwasser-Warnungen würden durchaus wahrgenommen.

München: Viele suchen bei warmen Temperaturen eine Abkühlung in der Isar oder lassen sich im Wasser treiben.

Viele suchen bei warmen Temperaturen eine Abkühlung in der Isar oder lassen sich im Wasser treiben.

(Foto: Robert Haas)

Daniela Haupt kommt gerade von einer Übung zurück. Angenommenes, sehr praxisnahes Szenario: Ein Kind stürzt am Uferweg vom Fahrrad, bricht sich den Arm, die Mutter reagiert hysterisch. Drei Helfer sind im Nu zur Stelle, funken ihre Hütte an, die wiederum bei der Leitstelle einen Rettungswagen ordert. Klappt alles wie am Schnürchen. Was sicher auch damit zu tun hat, dass Mitglieder der Wasserwacht es gewohnt sind, eine Qualifikation auf die andere zu packen. Die Leiterin der Stationen Marienklause und Flaucher - beide gehören zusammen - ist unter anderem Rettungsschwimmerin, Ersthelferin, Sanitäterin; sie ist am Defibrillator ausgebildet und beherrscht die Reanimation, hat Wachleiter- sowie Motivationsschulungen absolviert und Konfliktmanagement gelernt. Zweimal jährlich sichert sie mit ihrem Team sogar Kanurennen ab. An solchen Tagen verstärken Anfeuerungsrufe den Sound am Fluss und seinen Kanälen. "Es ist der Spaß am Wasser, der uns verbindet", sagt Daniela Haupt über sich und ihre Kolleginnen und Kollegen. Die Kombination aus nassem Element, Hilfsbereitschaft und Gemeinschaftserlebnis scheint Wunder zu wirken, Nachwuchssorgen haben die neun Ortsgruppen der Kreiswasserwacht München jedenfalls nicht. Mitmachen darf, wer mindestens acht Jahre alt ist und schwimmen kann. Den mehr als 20 Kilogramm schweren Einsatzrucksack muss man in diesem Alter freilich noch nicht schleppen.

Sommer an der Isar in München, 2015

Kies, kühles Wasser und ein Sonnenbad: Auf den Kiesbänken an der Marienklause lassen sich auch heißeste Sommertage gut ertragen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Die Sache mit dem Konfliktmanagement wird zunehmend wichtiger. Je mehr Partyvolk sich lärmend an der Isar tummelt, desto häufiger sind dezente Hinweise auf Gefahren oder Appelle an die Vorbildfunktion Erwachsener vonnöten. Die mögen noch so gut gemeint sein, bei manchen kommen sie als unliebsame Belehrung an. Was man sich bei der entwaffnenden Freundlichkeit Daniela Haupts eigentlich kaum vorstellen kann: "Wir verstehen uns keineswegs als Spaßverderber, uns geht es nur um die Sicherheit." Die meisten Leute zeigten sich hilfsbereit und nutzten im Ernstfall unterstützend ihr Handy. Wen die Wasserwachtler einmal verarztet haben, wenn er sich eine Fleischwunde zugezogen oder einen Sonnenstich hat, der zeigt sich sowieso dankbar. Respekt vor der Wasserwacht kommt auch auf andere Weise zum Ausdruck: Im Unterschied zu vielen Isar-Kiosken ist die Hütte der Retter an der Marienklausenbrücke noch nie das Ziel von Vandalismus geworden.

Am späteren Abend, wenn die Wasserwacht ihr Domizil längst zugesperrt hat und nur noch wenige am Ufer entlang bummeln, wird die Marienklausenbrücke zu einem der lauschigsten Plätze in München. Mit etwas Fantasie verwandelt sich der Schwall am Düker in einen Wasserfall, und die Großstadt verschwimmt akustisch zu einem romantischen Stück Natur.

Am Mittwoch lesen Sie: Der Sound der Stadt auf dem Olympiaturm

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