Süddeutsche Zeitung

München:"Ich liebe meine Arbeit einfach"

Hamada Saidi ist den Konflikten im Westjordanland entronnen, doch in Deutschland fiel es ihm zunächst schwer, Fuß zu fassen. Die Experten von "Plant-a-Talent" verhalfen ihm dann aber zum Einstieg in die Berufswelt - und zu einer Ausbildung zum Programmierer

Von Johannes Korsche

Als Kind gehörte Hamada Saidi nie dazu, er wurde "von beiden Seiten diskriminiert", erinnert er sich. Saidi wuchs im Westjordanland auf, als Sohn einer "gemischten" Liebe. Weder die israelische, noch die arabische Bevölkerung wollte mit ihm zu tun haben. "Ich war vollkommen fremd in meinem eigenen Land." Knapp zwei Jahre nach seiner Ankunft in Deutschland ist der 27-Jährige verheiratet und absolviert eine dreijährige Ausbildung zum Anwendungsentwickler. Eine Erfolgsgeschichte, an der eine gemeinnützige Gesellschaft erheblichen Anteil hat, die versteckt in dem Gewerbegebiet an der Balanstraße sitzt. "Plant-a-Talent" vermittelt Geflüchtete in Jobs - vom Lagerarbeiter im Aldi-Depot bis hin zum Software-Entwickler.

Schon beim Zuhören erkennt man, was Plant-a-Talent ausmacht. Aus den Geflüchteten werden Job-"Kandidaten". Denn "der größte Faktor für die Integration ist die Arbeit", sagt Gesellschafterin Dinese Hannewald. Sie kennt die Probleme, wenn man aus dem Ausland nach Deutschland kommt und sich ein Leben aufbauen will. Nur flüchtete sie nicht vor dem Krieg, sondern folgte ihrem Mann aus den USA nach Deutschland.

Saidi floh aus anderen Gründen. "Ich wollte meine Zukunft nicht in einem Land planen, das mich nicht will", sagt er. Ganz zu schweigen von der allgegenwärtigen Bedrohung durch "den Konflikt", wie Saidi den Nahost-Konflikt um Grenzen, Siedlungen und anerkannte und nicht-anerkannte Hauptstädte nur nennt. Also machte er sich auf. Nach Europa, Richtung Freiheit. Er wollte nach Österreich zu seinem Onkel, doch weil er per Flugzeug anreiste und zunächst in Deutschland landete, wurde er wieder nach Deutschland zurückgeschickt. Schließlich muss Asyl dort beantragt werden, wo der Geflüchtete zuerst europäischen Boden betreten hat.

In Deutschland kannte Saidi niemanden. Bis er zum ersten Mal zu einer Veranstaltung von Plant-a-Talent ging. Gehört hatte er von der Hilfsorganisation in der Erstaufnahmeeinrichtung. Jeden Donnerstagnachmittag veranstalte sie ein offenes Kennenlerntreffen im Eine-Welt-Haus an der Schwanthalerstraße. Dort lässt sich Saidi in die Datenbank der Organisation aufnehmen, in der momentan etwa 440 Kandidaten verzeichnet sind.

Der erste Schritt zum Job ist ein langes Gespräch zwischen einem Helfer und Saidi. Welche Interessen hat er? Welche Vorerfahrung? Arbeitserlaubnis? Die Ergebnisse des Interviews gleicht Plant-a-Talent mit den Stellengesuchen der etwa 26 Partnerunternehmen ab. Gibt es Übereinstimmungen, vermitteln sie den Kontakt. Zusätzlich begleiten ehrenamtliche Mentoren die Kandidaten und helfen ihnen, wenn sie gegen kulturelle Türen rennen. Für Saidi war das eine wichtige Hilfestellung. Im Westjordanland läuft die Jobsuche nämlich ein wenig anders ab, sagt er lachend. "Wenn man bei jemandem arbeiten will, geht man eben zu dem hin und fragt." In Deutschland ist das erheblich schwieriger, formaler. Da ist auf der einen Seite das "Gesetz", wie Saidi Arbeitserlaubnis und Steuer-Identitätsnummer nennt, und auf der anderen Seite das Vorstellungsgespräch. "Das Auftreten ist in Deutschland sehr wichtig."

Für Saidi kein Problem - er ist ein höflicher, intelligenter Mann - doch manches muss man eben einfach wissen, damit der Start ins Arbeitsleben gelingt, in einem, der Ausbildung und Erfahrung voraussetzt. Saidi hat zum Beispiel in seiner Heimat bei dem Unicef-Projekt "child-friendly cities" mitgearbeitet, das sich für die lokale Umsetzung von Kinderrechten einsetzt. Deswegen schlägt Plant-a-Talent ihm eine Stelle für ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) bei dem Verein "Spielkultur" vor, Beginn September 2016. Saidi ist sofort begeistert. Zum Beispiel von deren "trickfilm"-Projekt. Kinder dürfen dabei eine eigene Fantasiegeschichte als Stop-Motion-Film erzählen. Saidi hilft ihnen während des FSJ unter anderem beim Filmen und Schneiden.

Bei all dem "Spaß bei der Arbeit" nimmt er in Kauf, dass die ersten sechs Monate als FSJ-ler eine anstrengende Zeit sind. Er verlässt damals in der Früh um halb sieben das Haus. Und kommt erst nachts gegen halb elf zurück. Dank dem FSJ darf er endlich auch einen Deutschkurs beim Goethe-Institut belegen. "Ich war damals eigentlich wie tot", sagt er. Aber hätte er sich nicht so reingehängt, wäre er nun nicht so weit, sagt er.

So körperlich anstrengend die Zeit war, sie habe ihn aus einem "Loch der Depression" herausgeholt. Schließlich wollte er immer arbeiten. Nicht den ganzen Tag nur sinnlos in einer Unterkunft mit Nichtstun verbringen. So wie ihm gehe es vielen Geflüchteten, die zur Untätigkeit verdammt sind, aber eigentlich arbeiten wollen.

Manche ließen sich auch von dem bürokratischen Aufwand abschrecken, gerade wenn sie dabei keiner unterstützt. Denn eine Arbeitserlaubnis bekommt nur, wer einzeln geprüft wurde, teilt das Kreisverwaltungsreferat (KVR) mit. Es gebe zwar dabei nicht die prinzipiell immer geltenden, entscheidenden Kriterien, betont das KVR. Doch gewisse Voraussetzungen gibt es schon. Geflüchtete, über deren Asylantrag noch nicht entschieden ist, müssen zum Beispiel seit mehr als drei Monaten in Deutschland sein. Zudem ist Geflüchteten aus "einem sicheren Herkunftsstaat während des Asylverfahrens die Ausübung einer Beschäftigung nicht erlaubt". Mehr Hoffnungen kann sich machen, wem eine sogenannte gute Bleibeperspektive attestiert wird. Dafür müssen mehr als die Hälfte der Antragssteller aus dem jeweiligen Land Schutzstatus erhalten. Bei Saidi ist das alles noch komplizierter. Als Palästinenser ist er in Deutschland staatenlos. Da Plant-a-Talent ihm hilft, klappt es mit der Arbeitserlaubnis.

Über seine Kollegen bei Spielkultur erfährt Saidi von der Ausbildungsstelle zum Anwendungsentwickler bei Cyprych Kalienke, einer kleinen "Kreativagentur für Digitales", wie sich die Programmierer selbst nennen. Ohne einen Tag Urlaub nach dem FSJ beginnt Saidi die Ausbildung zum Fachinformatiker. Bereits in seiner Heimat hatte er vier Semester Informationstechnik studiert. "Ich liebe meine Arbeit einfach." Er wirkt, als habe er in Deutschland das freie und friedliche Leben gefunden, das er gesucht hat, als er sich einst in die Fremde aufmachte. Mit Hilfe von Plant-a-Talent.

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Quelle:
SZ vom 13.01.2018
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