Noch arbeiten sie mit Kreide. Mit der haben sie auf den Asphalt ihre Wünsche geschrieben: "Spielplätze statt Parkplätze", "Öffis für alle! Sonst gibt's Krawalle!", "Autokonzerne entmachten + enteignen". Die Gegner der IAA, der Internationalen Automobilausstellung, haben zum Straßenfest in die Maxvorstadt geladen. Zwischen TU und Alter Pinakothek treffen sie sich zum Warm-up. "ACAB". Auch das steht auf der Arcisstraße, es ist ein beliebtes linkes Akronym, eine Beleidigung der Polizei. Aber hier haben die vier Buchstaben eine neue Bedeutung: "All Cars Are Barricades" - alle Autos sind Hindernisse.
Junge Leute sind da, und auch Senioren, politisch Halblinke und ganz Linke. 22 Gruppen und Organisationen haben sich dem Slogan "No IAA - Klima vor Profit - Mobilitätswende jetzt!" angeschlossen. Lisa Poettinger von Extinction Rebellion ist Gesicht und Stimme dieses Bündnisses. Die Münchner Studentin berichtet, dass ein paar von ihnen jüngst schon aktiv gewesen seien, beim "Adbusting". So sagen sie, wenn sie Plakate von Parteien bearbeiten oder umgestalten, die sich für die IAA ausgesprochen hätten. Poettinger zählt auf: Grüne, CSU, FDP, SPD.
Man ahnt, dass es während der IAA vom 7. bis 12. September nicht beim Kreidemalen bleiben dürfte. Blockaden beispielsweise sind beliebt bei solchen Anlässen. Stellt sich die Frage, ob sich auch in der politischen Mitte punkten lässt. Klar, meint Poettinger, man wolle ja nicht die Menschen im Auto verteufeln, sondern ein System ändern, das viele Menschen ins Auto zwinge.
"Die Straße ist nicht für die Autos da, sondern für die Menschen."
Robert Bagin gehört zu diesen Zwangsautomobilisten. Er ist mit seiner Gruppe "Mittwochsdisko" mit einem Tisch voller Infomaterial zu diversen Welt-Problemen vertreten, was einer kurzen Erklärung bedarf. Bagin, 52, Diplompädagoge, wohnt auf der Westseite des Ammersees und trifft sich jeden zweiten Mittwoch mit politisch Interessierten zur "Disko", zur Diskussion - über Frauen, Rüstung, Klima, und neulich auch über den Verkehr.
IAA? "So was stattfinden zu lassen in dieser Zeit ist eigentlich eine Katastrophe", sagt er. "Das Auto als individuelles Massenverkehrsmittel ist eine Katastrophe." Und selbst? Hm, er habe schon auch ein Auto, einen VW, einen Touran. Soso, großes Auto. Naja, er arbeite in München. Er pendle mit der Bahn, inklusive umsteigen, das klappe oft nicht gut. Seine Frau aber schaffe es ohne Auto nicht zum Arbeitsplatz nach Landsberg, und überhaupt, mit zwei Kindern auf dem Land komme man ohne Auto schlecht über die Runden.
Ein Trambahn-Imitat auf acht Beinen pendelt zwischen den Infoständen. Einer bietet Bier feil, eisgekühlt aus einer hellblauen Babywanne. Daneben steht eine improvisierte Wurfbude. Zehn Dosen sind aufgestellt, darauf die Gesichter von Auto-Lobbyisten, das Motto lautet: "Smash IAA". Jeder Treffer lässt es scheppern.
Wie radikal der Protest wohl während der IAA wird? Ziemlich gesittet dürfte es beim Klimacamp zugehen. Die Organisatoren haben sich für ihre etwa fünf Hektar große Zeltstadt zum Tagen und Übernachten die Theresienwiese ausgesucht, aber bis Freitag hatten sie noch kein grünes Licht vom Kreisverwaltungsreferat. Weil am 11. September die Radl-Sternfahrt dort enden soll, befürchtet das KVR Platzprobleme. Echt? Auf der 42 Hektar großen Wiesn? Die Camp-Organisatoren fühlen sich nicht gerade unterstützt von der Stadt.
"Die Straße ist nicht für die Autos da, sondern für die Menschen." Christoph von Gagern sagt das, Aktivist beim Öko-Verkehrsclub VCD. Er ist optimistisch, "der Wandel wird ganz schnell gehen", hin zur klimafreundlichen Mobilität, immer mehr Menschen verstünden, dass sich was ändern müsse. Tatsächlich? Ja, sagt auch sein Mitstreiter Rolf Schiener, kommt dann aber ins Grübeln: "Ob das Tempo ausreicht, ist die Frage." Die beiden, gekleidet in grüne VCD-Hemden, wissen jedenfalls, wie sie den Wandel beschleunigen wollen: "Nicht zu sehr anecken", sagt von Gagern, "und trotzdem was bewegen." Das Klima mit Sanftmut retten? Ja, schon, sagt Schiener, man habe "durchs Anecken nie viel erreicht, oder gar nix."
Auf der Bühne klingt das jünger und kämpferischer. Dort steht jetzt Lisa Poettinger und gibt ein Seminar in Rechtshilfe. Welche Rechte und Pflichten Demonstrierende allgemein haben, zum Beispiel bei zivilem Ungehorsam. Das sei aber, betont Poettinger, kein Aufruf, ungehorsam zu sein das müsse jede und jeder für sich entscheiden. Zwei Polizisten, routinemäßig für die Versammlung abgeordnet, stehen neben ihr in der Sonne, mal nicken sie, einmal korrigieren sie freundlich. Im juristischen Crash-Kurs hören die Aktivisten, dass sie der Polizei zwar ihre Identität offenbaren müssen, nicht aber ihre Handynummern. Und wenn sie sich zu einer Sitzblockade entscheiden, dann müssten sie wissen, dass die Polizei sie wegtragen dürfe. An die 20 IAA-Gegner sitzen auf der Geradeaus- und Linksabbiegespuren der Arcisstraße. Hier wird während der IAA die "Blue Lane" verlaufen. Auf ihr sollen nur E-Autos, Busse und Wagen mit mindestens drei Insassen fahren dürfen, um bequem zwischen Messegelände und Königsplatz voranzukommen - Teil des "Greenwashings", das die Aktivisten kritisieren.
Poettinger erzählt, dass sie kürzlich daheim Besuch von der Polizei bekommen habe. Gefährderansprache durch den Staatsschutz. Sie sei also eine gefährliche Person, so übersetzt sie lachend, und man fragt sich, ob sie sich empört oder ein wenig stolz ist ob ihrer amtlich attestierten Gefährlichkeit. Dann spricht sie über mögliche Straftaten, Hausfriedensbruch etwa, und über anderes Ungemach. Die Polizei als solches dürfe man kritisieren, aber: "Sag niemals "du" zu einem Polizisten", weil: Du ist gleich Beleidigung.
Die Musik ist laut und live, auf dem Asphalt liegen Decken zum Draufsitzen beim Aktionstraining. Die ökologisch-antikapitalistische Szene bleibt weitgehend unter sich. Fridays for Future wirbt für den nächsten großen Klimastreik am 24. September, sie tun das etwa mit grün-weißen Bierdeckeln und der alarmierenden Botschaft: "Die Klima-Krise macht das Bier teurer." Wegen Hitze und Dürre.
In einer Ecke ist ein SUV geparkt. Lädiert ist er, es fehlen zwei Räder, und überhaupt, er ist rasch aus Pappe zusammengebastelt, von der Satirepartei "Die Partei". Ein Partei-Vertreter sagt, dass die "Partei" Volksfahrräder fordere. Und für einen staatlichen Zuschuss für SUV-Fahrende eintrete. Weil, so ein SUV sei so groß, dass er schon als Wohnung tauge, und zwecks Gerechtigkeit sollten dann auch alle autolosen Menschen Zuschuss zur Miete bekommen. Jemand geht zum SUV und rammt einen Mercedesstern in die Kühlerhaube.