Blockadeaktion:"Verkehrskollaps in 2000 Metern"

Klimaschutz-Aktivisten legen aus Protest gegen die IAA den Autoverkehr in Richtung München teilweise lahm. Es folgen ein Großeinsatz der Sicherheitskräfte - und heftige Debatten.

Von Martin Bernstein und Joachim Mölter

Die ersten Joggerinnen, die am Dienstagmorgen auf der Neuen Gautinger Straße nach Germering trabten und dabei die Lindauer Autobahn A96 überquerten, ließen sich noch nicht aufhalten von dem, was nebenan auf der alten Eisenbahnbrücke passierte. Zwei Menschen seilten sich vom Geländer in die Tiefe ab und nestelten ein weißes Transparent an den mattgrünen Stahl; zwei weitere passten neben dem Gleis auf. Erst als oben auf der Landstraße die ersten Streifenwagen hielten und einige weitere Polizeiautos unten die Autobahn in Richtung München sperrten, blieben immer mehr Spaziergänger stehen und beobachteten das Geschehen. Es war unschwer als Protest gegen die Internationale Automobil-Ausstellung zu erkennen: "Block IAA" stand auf dem Transparent.

Damit hatte das von Gegnern der Internationalen Automobilausstellung (IAA) seit Wochen angekündigte Katz-und-Maus-Spiel mit den Sicherheitsbehörden begonnen: Die Abseilaktion an der A 96 bei Germering war ja nicht die einzige gewesen an diesem Morgen um kurz nach acht Uhr. Auch an vier weiteren stadteinwärts führenden Strecken legten Klimaschutz-Aktivistinnen und -Aktivisten nur wenige Stunden vor der Eröffnung der Autoschau durch Bundeskanzlerin Angela Merkel den Verkehr teilweise lahm: bei Hofolding (A8), Fürholzen (A9), Freising-Süd (A92) und Parsdorf (A94). Kilometerlange Staus auf den Autobahnen, heftige Debatten im Netz und ein Großeinsatz der Sicherheitskräfte waren die Folgen der insgesamt rund zweistündigen Aktion.

"Schon krass, was man mit zwei Leuten alles schaffen kann", fand eine Sprecherin von Extinction Rebellion, einer der vielen an der konzertierten Aktion beteiligten Gruppen, die auf ihr Anliegen aufmerksam machen wollten: eine "echte solidarische und klimagerechte Mobilitätswende" statt "Scheinlösungen wie E-Autos als Ausweg aus der Krise". Dazu gehören nach Ansicht der Aktivisten autofreie Städte, ein kostenloser öffentlicher Nahverkehr, vor allem auf dem Land, und der sofortige Baustopp aller Autobahnprojekte. So eines ist ja in unmittelbarer Nähe der Aktion an der A96 geplant: Dort soll der Freihamer Landschaftspark für den sechsstreifigen Ausbau des Autobahnrings A99 massiv gestutzt werden.

Auf der Germeringer Brücke schauten die meisten Passanten einfach zu, wie immer noch mehr Einsatzfahrzeuge eintrafen - Polizei in Uniform und in Zivil, Sanitäter, Freiwillige Feuerwehren. Nur ein älterer Mann schimpfte laut auf die Demonstranten: "Ich tät' sie runterhauen, wenn sie mich lassen würden." Was die anwesenden Polizisten aber nicht taten. Ein anderer murmelte etwas von "Studenten, nixtaugerten". Aber insgesamt blieb es friedlich, auch an den anderen Schauplätzen; niemand sei verletzt worden, teilte ein Polizeisprecher später mit, als alle fünf Autobahnen wieder frei befahrbar waren.

Auf der Passauer Autobahn hatten sich zuvor ebenfalls zwei Aktivisten an einer Brücke abgeseilt, nahe Angelbrechting. Die A94 führt direkt zum Messegelände, einem der Schauplätze der erstmals über die Stadt verteilten und mit dem Zusatz "Mobility" versehenen IAA. Diese Aktivisten spannten ein Transparent mit der Aufschrift "Scheuer und Co auf der falschen Spur - ÖPNV statt Autobahnausbau". Nach eigenen Angaben wollten sie auch ihre Solidarität mit den Bewohnern des Isentals und deren jahrzehntelangen Kampf gegen den Bau der A94 zeigen.

Auch auf der A 92, die vom Flughafen in Richtung München führt, waren Aktivisten unterwegs, zumeist ältere in diesem Fall. Ihre Forderung: Absage der IAA und Abschaffung des motorisierten Individualverkehrs - "egal mit welchem Antrieb". Einer der Teilnehmer plädierte zudem dafür: "Lasst uns Aktionen zusammen mit den jungen Menschen machen. Unser Vorteil: So leicht lassen wir uns nicht kriminalisieren, so leicht lässt sich uns nicht vorwerfen, wir seien arbeitsscheues Gesindel. Wir schauen auf ein langjähriges Arbeitsleben und mussten teilweise Urlaub nehmen." So viel zum Thema "Studenten, nixtaugerte".

Nur wenige Kilometer weiter nördlich verkündeten Protestierende der "Aktion autofrei": "Die Welt steht Kopf. Und wir stehen auf Autobahnbrücken." Von einer Schilderbrücke über der A9 kurz vor dem Rasthof Fürholzen West hatten sie sich abgeseilt und die Beschriftung geändert. Statt "Kreuz Neufahrn 2000 m" stand dort: "Verkehrskollaps 2000 m" und "no IAA". Die Menschheit müsse dringend "ihre Lebens- und Wirtschaftsweise überdenken und schnellstmöglich radikale Veränderungen tun", so eine Aktivistin. Stattdessen organisiere die Automobilindustrie "die größte PS-Pornoshow der Welt".

Auf der Autobahn durch den Hofoldinger Forst wurde von einer Brücke ein großes Transparent "Autolobby in Ketten - Klima retten" entrollt. Um Gefahren für kletternde Menschen und den Autoverkehr unter der Brücke auszuschließen, fand nach Angaben der Protestierer "die gesamte Aktion oberhalb des Lichtraumprofils der Autobahn" statt. "Dass die Aktion nicht nur auf Zustimmung und Verständnis stößt, sondern auch Wut bei Autofahrenden hervorruft, ist zwar schade, aber die Wut und Hoffnungslosigkeit, die durch das Versagen der Politik in der Verkehrswende entsteht, ist eben mindestens genau so groß", sagte die an der Aktion beteiligte Julia Fernandes: "Es ist schrecklich, tatenlos mit anzusehen, wie die eigene Zukunft verheizt wird."

Nach ein bis zwei Stunden wurden die Plakat- und Blockadeaktionen an allen Stellen beendet, ohne dass die Polizei die Protestierer mit Zwang von den Brücken holen musste. Die Sprecherin von Extinction Rebellion hatte zuvor bereits angedeutet, dass die Aktivisten freiwillig wieder hochkommen würden, sobald die im Klettern geübten Spezialisten der alpinen Einsatzgruppe der Münchner Polizei eingetroffen seien: Sie wollten keine Beamten gefährden, die hinuntersteigen müssten.

Nur zwei Stunden vor dem Auftritt der Bundeskanzlerin auf der Messe blockierten Aktivisten erneut die A94. Gegen 12.30 Uhr seilten sie sich kurz vor der Ausfahrt zur Messe von einer Brücke ab. Nach etwa einer Stunde war auch diese Aktion beendet und die Zufahrt zur Messe wieder frei.

Die meisten der rund 25 Aktivisten wurde zwecks Identitätsfeststellung zur Kripo Erding gebracht, weil das Polizeipräsidium Nord in Ingolstadt für alle betroffenen Autobahnen zuständig ist, außer für Teile der A94 (München) und der A8 (Rosenheim). Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaften ermitteln jetzt wegen des Verdachts der Nötigung und der Straßenverkehrsgefährdung.

Die Reaktionen im Netz waren derweil sehr kontrovers: "Wegen ein paar Wichtigtuern muss die Autobahn gesperrt werden, um nicht andere zu gefährden", schimpfte etwa ein Twitter-User. "Menschen auf dem Weg zur Arbeit müssen Umwege in Kauf nehmen, was nicht im Sinne von Umweltschutz sein kann." Andere warfen den Protestierern vor, Menschenleben zu gefährden.

Auch Bayerns Staatskanzleichef Florian Herrmann kritisierte die Aktion. Selbstverständlich seien Proteste und Meinungsäußerungen möglich, aber wenn andere Menschen gefährdet würden, sei dies nicht zu tolerieren, sagte der CSU-Politiker nach einer Sitzung des Kabinetts. Die Proteste auf der Autobahn hätten eine akzeptable Grenze überschritten. Eine Twitter-Userin dagegen forderte die Münchner Polizei unter deren Tweet auf: "Bitte bringt doch den Aktivisten was zu essen und etwas zu trinken! Die kämpfen auch für den Menschen unter der Polizeiuniform."

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